Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal widmet er sich dem leidigen Thema Prequels und dem aktuellen Beispiel »Furiosa: A Mad Max Saga«.
Es ist kompliziert, mal wieder. Dabei könnte sie im Prinzip ja einfach sein, die Sache mit den Filmen und der höchstpersönlichen Einordnung derselben in die Erinnerung. An erster Stelle kommen da für gewöhnlich ein, zwei Handvoll unvergesslicher cineastischer Göttergaben, die im besten Fall einst dazu beigetragen haben, das eigene Leben mit ganz neuen Augen zu betrachten. Danach kommen fix ein paar Dutzend Prachtfilme, die sich aus diversen Gründen auf ewig ins Gedächtnis eingebrannt haben. Am anderen Ende des Spektrums gibt es naturgemäß eine Vielzahl von Produktionen, die irgendwann aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gefallen oder mit unterschiedlichen Halbwertszeiten gleich komplett in Vergessenheit geraten sind. Und schließlich bleibt dann noch die Kategorie der richtig fiesen Werke, die man am liebsten überhaupt nie zu Gesicht bekommen hätte. Weil sie entweder so grottig sind, dass einem schon das Anschauen wehtut. Oder weil – und jetzt wird es eben kompliziert – sie es sogar hinbekommen haben, die Erinnerung an die eingangs beschworenen Lebens- und Lieblingsfilme nachträglich zu beflecken.
Übererklärende Prequels
Die Rede ist natürlich von den unzähligen, selten künstlerisch motivierten Prequels zu populären Filmen. Dies soll freilich keine Pauschalschelte gegen selbige werden – schließlich gibt es ja auch genügend gelungene nachgereichte Einführungen in existierende Filmwelten. Nein, es soll um und gegen diese ganz spezifische Spielart des filmischen Präludiums gehen, die eine vormals perfekt auf den Punkt gebrachte Erzählung gnadenlos mit neuen Informationen und Botschaften überfrachtet, obwohl es doch gerade das Ungewisse und die Leerstellen waren, die bisher den Reiz ausmachten. Am liebsten würde man sie für immer ungesehen machen, all die irreversiblen Mythenentzauberer der Schrottmarke »Terminator: Genisys« oder »Alien: Covenant«. Und doch weiß man nur zu gut, dass Lobotomie natürlich auch keine Lösung sein kann.
Womit wir nach einigem Hin und Her (sorry!) endlich beim Anlass dieser Kolumne wären, bei »Furiosa: A Mad Max Saga«, einem weiteren an sich kaum befriedigend zu lösenden Fall eines nachgereichten Vorspiels zu einem Meisterwerk, nämlich »Mad Max: Fury Road«. Ja, klar, auch dieser Film war 2015 schon die Fortschreibung eines damals bereits jahrzehntealten Franchises – aber auch dessen elektrisierende Neuausrichtung: als wüstenstaubige, chromblitzende und ölspritzende Stunt- und Choreo-Extravaganza; als Meisterklasse in Sachen visuelles Storytelling; als lean and mean das atomar verstrahlte Nichts durchstoßende postapokalyptische Reifenoper, der zu Recht der Ruf anhaftet, die Gesetze des Actionkinos noch einmal besonders aufregend umgeschrieben zu haben.
Warum also der aufständischen Warlord-Adjutantin Furiosa nachträglich eine bis ins kleinste Detail ausbuchstabierte Backstory in Form eines eigenen Films verpassen, wenn die spärlich eingestreuten faszinierenden Facetten ihrer Figur bislang für das große Leinwandglück völlig ausgereicht haben? Die Argumentation von »Mad Max«-Mastermind George Miller leuchtet ein: Das »Furiosa«-Skript sei bereits in der Vorbereitung auf »Fury Road« entstanden, es sei praktisch die Basis gewesen, auf der Charlize Theron dann ihre Rolle einer der ikonischsten Actionheldinnen der Gegenwart überhaupt erst ausarbeiten konnte.
So weit, so gut. Und noch besser, dass diese Prequel-Odyssee, die über 15 Jahre aus einem entführten Mädchen durch eine Reihe einschneidender Erlebnisse in der allgegenwärtigen Freakshow des Wastelands schließlich eine einarmige, stoppelhaarige No-Bullshit-Kriegerin macht, dann auch noch einen ganz anderen Antrieb sucht, als nur die maßlose Nonstop-Verfolgungsjagd des Vorgängers wiederholen zu wollen. Denn: Der bald 80-jährige Miller mag einer der begnadetsten Größenwahnsinnigen des Kinos sein, aber er ist nicht so größenwahnsinnig, dass er seine selbst gesetzten wahnwitzigen Superlative noch überbieten will. Statt sich auf eine Mission zu begeben, die zum Scheitern verurteilt ist, tritt er in »Furiosa« nicht ständig aufs Gaspedal, sondern schaltet auch mal einen Gang zurück – zum großen Segen für das ganze Unterfangen.
Gehaltvollere Action
Die von hinten aufgerollte Vorgeschichte der Heroine Furiosa, die von Alyla Browne (als Kind) und Anya Taylor-Joy (als junge Erwachsene) nun mit der gleichen wortkargen Intensität verkörpert wird wie einst von Theron, übernimmt gewissermaßen die Funktion einer emotionalen Rahmung für das, was wir in »Fury Road« bereits gesehen haben. Die Stuntchoreografien haben dabei erfreulicherweise nichts von ihrer formalen Kühnheit eingebüßt – wie nicht nur, aber vor allem, eine orgiastische XXL-Plansequenz im Mittelteil beweist: Alles ist immer noch so unvergleichlich elektrisierend, dass man zuverlässig immer wieder mal kurz vor der Schnappatmung steht.
Das einnehmende, empathische Eintauchen in die Gefühlswelt der Protagonistin inmitten der bewährt rauschhaften Symphonie der Zerstörung erlaubt es nun aber, »Furiosa« zwar noch als Einleitung zu den Ereignissen von »Fury Road« zu lesen (der gute alte Mad Max selbst ist übrigens nur noch eine Randnotiz), im Umkehrschluss könnte »Fury Road« aber mit gleichem Recht auch als bloßer Epilog der nun hier erzählten, gehaltvolleren Geschichte interpretiert werden. Auf dem nicht immer ruhmreichen Terrain der Prequels ist dies zwar keine singuläre, aber doch eine seltene Errungenschaft, die eine weitere Variante unseres filmischen Langzeitgedächtnisses bespielt: Sehr selten, aber eben manchmal doch, beschädigen Prequels die Erinnerung an Lebensfilme nicht nur nicht, sondern lassen sie retrospektiv in unbekannten Farben erstrahlen – in diesem Fall quasi in 50 neuen staubig-schönen Shades of Wüstensandbraun. Fast & Furiosa, bitte bald noch mehr davon!
»Furiosa: A Mad Max Saga« startet am 23. Mai 2024 in den österreichischen Kinos.
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen bzw. auf X (vormals Twitter) unter @prennero zu finden.