Screen Lights: Reifenopern to Remember — »Furiosa: A Mad Max Saga« von George Miller

Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal widmet er sich dem leidigen Thema Prequels und dem aktuellen Beispiel »Furiosa: A Mad Max Saga«.

© Jasin Boland / Warner Bros. Entertainment — Anya Taylor-Joy in »Furiosa: A Mad Max Saga«

Es ist kompliziert, mal wieder. Dabei könnte sie im Prinzip ja einfach sein, die Sache mit den Filmen und der höchst­persönlichen Einordnung derselben in die Erinnerung. An erster Stelle kommen da für gewöhnlich ein, zwei Handvoll unver­gesslicher cineastischer Götter­gaben, die im besten Fall einst dazu beigetragen haben, das eigene Leben mit ganz neuen Augen zu betrachten. Danach kommen fix ein paar Dutzend Pracht­filme, die sich aus diversen Gründen auf ewig ins Gedächtnis einge­brannt haben. Am anderen Ende des Spektrums gibt es natur­gemäß eine Vielzahl von Produktionen, die irgendwann aus dem Fokus der Aufmerk­samkeit gefallen oder mit unter­schiedlichen Halbwerts­zeiten gleich komplett in Vergessen­heit geraten sind. Und schließlich bleibt dann noch die Kategorie der richtig fiesen Werke, die man am liebsten überhaupt nie zu Gesicht bekommen hätte. Weil sie entweder so grottig sind, dass einem schon das Anschauen wehtut. Oder weil – und jetzt wird es eben kompliziert – sie es sogar hinbe­kommen haben, die Erinnerung an die eingangs beschworenen Lebens- und Lieblings­filme nachträglich zu beflecken.

Übererklärende Prequels

Die Rede ist natürlich von den unzähligen, selten künstlerisch motivierten Prequels zu populären Filmen. Dies soll freilich keine Pauschal­schelte gegen selbige werden – schließlich gibt es ja auch genügend gelungene nach­gereichte Ein­führungen in existierende Film­welten. Nein, es soll um und gegen diese ganz spezifische Spielart des filmischen Präludiums gehen, die eine vormals perfekt auf den Punkt gebrachte Erzählung gnadenlos mit neuen Informationen und Bot­schaften über­frachtet, obwohl es doch gerade das Ungewisse und die Leer­stellen waren, die bisher den Reiz ausmachten. Am liebsten würde man sie für immer ungesehen machen, all die irreversiblen Mythen­entzauberer der Schrott­marke »Terminator: Genisys« oder »Alien: Covenant«. Und doch weiß man nur zu gut, dass Lobotomie natürlich auch keine Lösung sein kann.

Womit wir nach einigem Hin und Her (sorry!) endlich beim Anlass dieser Kolumne wären, bei »Furiosa: A Mad Max Saga«, einem weiteren an sich kaum befriedigend zu lösenden Fall eines nach­gereichten Vorspiels zu einem Meister­werk, nämlich »Mad Max: Fury Road«. Ja, klar, auch dieser Film war 2015 schon die Fort­schreibung eines damals bereits jahrzehnte­alten Franchises – aber auch dessen elektrisierende Neuaus­richtung: als wüsten­staubige, chrom­blitzende und öl­spritzende Stunt- und Choreo-Extravaganza; als Meister­klasse in Sachen visuelles Story­telling; als lean and mean das atomar verstrahlte Nichts durch­stoßende post­apokalyptische Reifen­oper, der zu Recht der Ruf anhaftet, die Gesetze des Action­kinos noch einmal besonders aufregend umge­schrieben zu haben.

Warum also der aufständischen Warlord-Adjutantin Furiosa nach­träglich eine bis ins kleinste Detail ausbuch­stabierte Backstory in Form eines eigenen Films verpassen, wenn die spärlich eingestreuten faszinierenden Facetten ihrer Figur bislang für das große Leinwand­glück völlig ausgereicht haben? Die Argumentation von »Mad Max«-Mastermind George Miller leuchtet ein: Das »Furiosa«-Skript sei bereits in der Vorbereitung auf »Fury Road« entstanden, es sei praktisch die Basis gewesen, auf der Charlize Theron dann ihre Rolle einer der ikonischsten Action­heldinnen der Gegen­wart überhaupt erst aus­arbeiten konnte.

So weit, so gut. Und noch besser, dass diese Prequel-Odyssee, die über 15 Jahre aus einem entführten Mädchen durch eine Reihe ein­schneidender Erlebnisse in der allgegen­wärtigen Freakshow des Waste­lands schließlich eine ein­armige, stoppel­haarige No-Bullshit-Kriegerin macht, dann auch noch einen ganz anderen Antrieb sucht, als nur die maßlose Nonstop-Verfolgungs­jagd des Vorgängers wieder­holen zu wollen. Denn: Der bald 80-jährige Miller mag einer der begnadetsten Größen­wahn­sinnigen des Kinos sein, aber er ist nicht so größen­wahnsinnig, dass er seine selbst gesetzten wahn­witzigen Superlative noch über­bieten will. Statt sich auf eine Mission zu begeben, die zum Scheitern verurteilt ist, tritt er in »Furiosa« nicht ständig aufs Gaspedal, sondern schaltet auch mal einen Gang zurück – zum großen Segen für das ganze Unterfangen.

Gehaltvollere Action

Die von hinten aufgerollte Vorgeschichte der Heroine Furiosa, die von Alyla Browne (als Kind) und Anya Taylor-Joy (als junge Erwachsene) nun mit der gleichen wort­kargen Intensität verkörpert wird wie einst von Theron, über­nimmt gewisser­maßen die Funktion einer emotionalen Rahmung für das, was wir in »Fury Road« bereits gesehen haben. Die Stunt­choreografien haben dabei erfreulicher­weise nichts von ihrer formalen Kühnheit eingebüßt – wie nicht nur, aber vor allem, eine orgiastische XXL-Plan­sequenz im Mittelteil beweist: Alles ist immer noch so unver­gleichlich elektrisierend, dass man zuverlässig immer wieder mal kurz vor der Schnapp­atmung steht.

Das einnehmende, empathische Eintauchen in die Gefühls­welt der Protagonistin inmitten der bewährt rausch­haften Symphonie der Zerstörung erlaubt es nun aber, »Furiosa« zwar noch als Einleitung zu den Ereignissen von »Fury Road« zu lesen (der gute alte Mad Max selbst ist übrigens nur noch eine Randnotiz), im Umkehr­schluss könnte »Fury Road« aber mit gleichem Recht auch als bloßer Epilog der nun hier erzählten, gehalt­volleren Geschichte inter­pretiert werden. Auf dem nicht immer ruhm­reichen Terrain der Prequels ist dies zwar keine singuläre, aber doch eine seltene Errungen­schaft, die eine weitere Variante unseres filmischen Langzeit­gedächtnisses bespielt: Sehr selten, aber eben manchmal doch, beschädigen Prequels die Erinnerung an Lebens­filme nicht nur nicht, sondern lassen sie retro­spektiv in unbekannten Farben erstrahlen – in diesem Fall quasi in 50 neuen staubig-schönen Shades of Wüsten­sand­braun. Fast & Furiosa, bitte bald noch mehr davon!

»Furiosa: A Mad Max Saga« startet am 23. Mai 2024 in den österreichischen Kinos.

Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Serien­­geschehen. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen bzw. auf X (vormals Twitter) unter @prennero zu finden.

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