Hakenkreuze werden von allen gesehen, verstanden und meist rasch übermalt. Doch was tun gegen Hass-Graffiti, die nicht aus unserem Kulturkreis stammen? Was empfehlen Behörden der Bevölkerung?
Von der Maroltingergasse erkennt man kaum etwas. Man muss Anfang Juli schon näher ran und ein wenig um die Metallsäule herumgehen, um den Schriftzug zu erkennen. Dann prangt, in großen, ungelenken Lettern da, ein mit Edding gemalter Schriftzug: „CROATIA – SRBE U JASENOVAC“. Kommt man von der Remise an der Montleartstraße zum Wiener-Linien-Gebäude am Joachimsthalerplatz 1, fällt es noch deutlicher auf. Wer also keinen Tunnelblick hat, muss dieses Graffito bemerken.
Zu Deutsch bedeutet der Satz: „Kroatien – Serben nach Jasenovac“. Jasenovac ist ein Dorf in Kroatien, in dem die faschistischen Ustaše (serbokroatisch für „Aufständische“) 1941 ein KZ errichteten. 85.000 Menschen, vorrangig Serben, Roma und Juden, fanden hier den Tod. Auch oppositionelle Kroaten und Bosniaken wurden im Lager ermordet. Die Ustaše stellten in Zagreb damals das Marionettenregime Berlins und Roms. Ihr Vasallenstaat hieß dennoch „NDH“ (Deutsch: Unabhängiger Staat Kroatien).
Auf der Säule in Wien-Ottakring steht übrigens auch ein U mit Halbserifen und einem Kreuz. Es ist eine geläufige Abwandlung des Logos der Ustaše, einem U mit einer Handgranate. Das private „Institut für Graffitiforschung“ dokumentierte bereits 2007 solche wie auch serbisch-nationalistische Symbole und Schriftzüge.
„So was hat bei uns wirklich keinen Platz“, heißt es auf Anfrage bei den Wiener Linien zum Ustaše-Schriftzug in Ottakring. Sie bitten alle Fahrgäste, fremdsprachige Hass-Graffiti an und in ihren Gebäuden wie Fahrzeugen umgehend beim Kundendienst zu melden, so sie diese erkennen. Gegenüber The Gap versprachen Wiener Linien, dass das Ustaše-Geschmiere im 16. rasch verschwinden wird. Trotzdem mutet es seltsam an, dass es offenbar noch keinem Chauffeur auffiel. Vermutlich wird es auch unter ihnen einige Ex-Jugoslawen geben.
Aber hier beginnt das Problem erst. Außerhalb der Community decodiert das niemand, der weder das Handgranaten-U kennt, noch Serbokroatisch versteht. Hasskommentare und Fake News meldet, kennzeichnet und widerlegt die Crowd schnell. Mit Glück verschwinden sie auch aus den sozialen Netzwerken. Auf der Straße stellt sich die Sache anders dar: Hakenkreuze und Nazicodes werden sehr bald überschmiert, weil sie alle kennen. Ein Handgranaten-U, ein fremdsprachiges oder kulturell fremdes Hass-Graffiti bleibt jedoch schonmal länger stehen. Unterdessen wandern immer mehr Menschen ein, die von solchen Botschaften betroffen sind.
Herausforderung 2-Millionen-Stadt
Am 1.1.2016 knackte Wien offiziell die 1,8-Millionen-Marke. Zum Stichtag leben genau 1.840.226 Menschen in der Bundeshauptstadt. 38,3 Prozent von ihnen (oder: 704.902 Personen) haben Migrationshintergrund. Damit hat die Meldestatistik die offizielle Bevölkerungsprognose für denselben Zeitraum bereits um drei Prozentpunkte übertroffen. 27,4 Prozent der Wienerinnen und Wiener hatten 2016 keinen österreichischen Pass. Alle Trends deuten darauf hin, dass diese Anteile weiter steigen, auch durch Umzug und Tod gebürtiger Österreicher. Noch in den 2020ern wird die Donaumetropole zur 2-Millionen-Stadt anwachsen.
Graffiti gehören zur Großstadt, ob man sie als Straßenkunst betrachtet oder nicht. Sie sind oft Ausdruck von Protest und Rebellion und zieren graue Gassen, aber auch Züge. Auf der Homepage der Wiener Wand, die legale Sprühflächen zur Verfügung stellt, hält Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) fest: „In vielen Städten wird Graffiti als ein rein krimineller Akt gesehen, dem nur durch rigorose Verbote zu begegnen ist. Wir sind davon überzeugt, dass Toleranz und eine von allen Seiten getragene Diskussion der bessere Weg sind.“
Wiener Wand-Chef Franz Kratzer erklärt gegenüber The Gap, es habe seit dem Bestehen des Projekts (2004) nur einmal eine Beschwerde in Sachen Hass-Graffiti gegeben. Der Fall ereignete sich heuer im Mai und betrifft die Wand im Kardinal-Nagl-Park. „Da ich gerade auf Urlaub war, verwies ich auf die Parkbetreuung vor Ort. Die übermalten dieses hetzerische Graffito“, sagt Kratzer. Der genaue Inhalt ist ihm nicht bekannt. Für die legalen Sprühflächen empfiehlt er generell: „Naja, einfach übermalen.“
„Immer grauslicher und schlimmer“
Seit Herbst 2016 ist Siegfried Lachner als Polizist Sicherheitskoordinator für Ottakring und Hernals, seit Frühjahr kümmert er sich um die Dokumentation und Entfernung von Tags, die in Wien-West virulent zunähmen und „immer grauslicher und schlimmer werden.“ Im Moment gäbe es drei „Intensivtäter“, die, ähnlich wie Puber, ganz Ottakring mit ihren Tags zupflastern. Darunter fällt etwa der Tag „13“. Erfahrungsgemäß sei es die beste Prävention, wenn Hausbesitzer, Geschäftsleute und Anrainer genau auf ihre Gebäude achten, meint Lachner. Es koste einen Writer mehr Überwindung, eine völlig nackte oder wenig beschriebene Wand zu bemalen, als eine, die bereits viele Signaturen trägt: „Dort, wo man schaut, dass alles in Ordnung ist, passiert recht wenig oder gar nichts.“
Lachner bietet auch Tipps in Graffiti-Entfernung, versucht, Behörden, Bürger und Firmen in der Sache zu vernetzen. Die Wienerinnen und Wiener sollen Tags ruhig bei der Polizei zur Anzeige bringen, rät der Beamte. Je früher, desto besser könnten Graffiti-Remover wirken. Und je besser sie wirken, desto billiger falle die Entfernung für die Eigentümer aus.
Dem Sicherheitskoordinator geht es darum, dass auch polizeifeindliche Sprüche, wie etwa das bekannte ACAB-Kürzel, neben rassistischen und sexistischen automatisch verschwinden: „Nicht weil wir Polizisten so dünnhäutig oder sensibel wären, sondern weil es auch einen Angriff auf den Staat darstellt und es auch um eine Deeskalation der Worte geht“, erklärt Lachner.
Obwohl der Sechzehnte wie Siebzehnte sichere Bezirke seien, tragen laut Lachner Tags zum Unwohlsein bei. Vollgesprühte Grätzel wirken heruntergekommen, obwohl sie es nicht sind – so die Meinung des Sicherheitskoordinators. Man müsse lernen, solche Probleme zu benennen und realistisch einzuschätzen. Dem Polizisten geht es aber explizit nicht um Straßenkunst oder Jugendkultur. Im Gespräch lobt er etwa das Projekt der Wiener Wand.
Grundsätzlich sind, so sagen Lachner und Kratzer übereinstimmend, immer die Eigentümer für die Meldung beziehungsweise Entfernung hetzerischer Writings und von Tags zuständig. Das betrifft die Flächen der Wiener Wand ebenso wie zum Sprayen nicht freigegebene Bauten. Es gibt nach Kenntnis der beiden Herren keine zentrale Stelle, welche sich dieses Themas annimmt.
Genau das wäre aber eigentlich im Interesse der, von Bürgermeister Häupl eingeforderten, Toleranz und Diskussion in einer wachsenden, durchmischten Stadt. Nicht-österreichische rechte Codes zu erkennen, fremdsprachigen Hassbotschaften über das eigene Grätzel hinaus zu begegnen, sollte nicht nur der Polizei oder den Hauseigentümern überlassen werden. Die Debatte muss in die Communities und die Szene hinein.
In einem weiteren Artikel werden wir uns mit Antworten der Szene auf Hass-Graffiti beschäftigen.