In einem untypischen Ausstellungsraum sind mehrere Stahlstelen aufgestellt. Sie sind Teil einer Ausstellung, die »On/« heißt. Ein Ausschalten hätte fatale Folgen. Für den Moment aber fließt der Strom.
Einst wurden in den Rüsch-Werken Turbinen für Wasserkraftwerke gefertigt. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb dann umgestellt, fortan produzierte man dort vor allem im Auftrag der Luftwaffe. Die rund 450 Kopf starke Belegschaft bestand dabei zu einem Drittel aus Zwangsarbeiter*innen. Über die Geschichte der Rüsch-Werke ist die mittlerweile darin angesiedelte Ausstellungshalle des Kunstraums Dornbirn mit einem Thema verwoben: Strom. Strom als Material und Strom als eine Kraft im Hintergrund. Auch die Künstlerin Judith Fegerl setzt sich intensiv mit Strom auseinander und ringt ihm in ihren Arbeiten Materialität ab. Manchmal leitet sie die zerstörerische Wucht dieser Naturgewalt in eine schaffende Kraft um. Es entstehen Werke wie gegossene Blitzschläge, gewaltige Schönheiten. Manchmal aber hebt sie die andere Seite des Stroms hervor, sein flüchtiges Wesen, seine Eigenart, Dinge wie auf magische Weise – unsichtbar – zu durchdringen.
Fragile Masse
In der ehemaligen Montagehalle in Dornbirn hat Fegerl eine Reihe massiver Stahlstelen aufgestellt. Drei Meter hoch und 30 Zentimeter stark, überlebensgroß und Ehrfurcht einflößend stehen sie unter alten Kränen, mit denen sie über eine dünne Kette verbunden sind. Bedrohlich neigen sie sich vor. Trotz ihrer Größe und Masse hängt ihnen etwas Fragiles an, ein Wanken. Und tatsächlich: Die zwei Teile jeder Stele werden über einen starken Elektromagneten zusammengehalten. Nur darüber. Wenn der Strom ausfällt, wird die Verbindung gekappt und die oberen Teile fallen. Das Fortbestehen des Systems ist abhängig von seiner Versorgung mit Energie. Der Magnet ist das kritische Moment, der der Arbeit ihren Titel gibt. Am ihm hängt das Überleben, von Augenblick zu Augenblick.
Am Boden verlaufen Kabel von den Skulpturen zu Verteilerkasten, Batteriespeicher und Wechselrichter und von dort weiter nach draußen, wo sie an Solarpaneele angeschlossen sind, die an der Außenwand der Halle lehnen. Das alles ist offen sichtbar. Fegerl holt die Technik aus ihrem Versteck und zeigt sie her, was dahintersteckt, die immense Kraft – aber eben auch, wie zerbrechlich diese Ordnung ist.
Die Werke Judith Fegerls, geboren 1977 in Wien, zeichnen sich nicht nur durch ihre Materialität aus, sondern auch durch die besondere Zuwendung, die sie den Stoffen zuteilwerden lässt. Strom – eigentlich ein Nicht-Stoff – nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Fegerl wird von der Galerie Hubert Winter in Wien vertreten. Die aktuelle Ausstellung »On/« ist bis 18. Juni im Kunstraum Dornbirn zu sehen.