Space Is The Place

Sein Meistwerk „Los Angeles“ hat Türen aufgestoßen. Türen zu Räumen voll flirrender Synths, rauschender Samples und holpernder Beats, die Flying Lotus nun mit „Cosmogramma“ organisch erweitert. Mit Thom Yorke aus Innenarchitekt.

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Der Kreis stellt das Universum dar. Das Quadrat die Erde, der Mittelpunkt das Individuum. So sagt es eine weit verbreitete Lesart von Mandalas und Kosmogrammen. Dass am Cover von Flying Lotus’ neuem Album „Cosmogramma“, welches ein solches schmückt, nun gerade das Quadrat fehlt, liegt wohl daran, dass sich der kalifornische Producer mit seiner dritten Platte endgültig von diesseitigen musikalischen Konventionen verabschiedet hat. Die Schwerkraft scheint ausgehebelt. Flirrende Sounds oszillieren frei zwischen hopsenden Beats und verrauschten Samples, Referenzen – J Dilla, Sun Ra, IDM, britische Psychedelia, Dubstep, Soulstreicher – poppen im Sekundentakt auf, wechseln das Jahrzehnt schneller als Doc Brown im DeLorean. Und machen Flying Lotus’ Mission Statement neuerlich deutlich: Space Is The Place.

Anderthalb Jahre ist es her, dass der Heimstudio-Tüftler Steve Ellison alias Flying Lotus zum neuen Beat-Propheten avanciert ist. Sein minimalistisches Experimental-Hiphop-Album „Los Angeles“ auf Warp Records – ein Tribut an seine Heimatstadt – öffnete die Augen all jener, die den Glauben an das Fortschrittsmoment elektronischer Musik bereits verloren hatten.

„Eine der besten Soul-Platten des 21. Jahrhunderts“, jubelte der britische Feinkostladen Boomkat, Gilles Peterson erklärte das Werk zur einem der wichtigsten seines Jahrgangs, die BBC-Dubstep-Botschafterin Mary Anne Hobbs feierte Flying Lotus gar als Jimi Hendrix der Gegenwart. Zu Recht. Denn mit „Los Angeles“ war dem 26-Jährigen etwas Großes gelungen: Zur Mitte des Jahrzehnts brodelte die damals noch recht überschaubare Bleep-Hop-Küche. Ob Clark in England, Rush Hour Recordings in Holland oder Mark Pritchard in Australien – alle arbeiteten an neuen Derivaten, an einem postmodernen Vokabular, das HipHop zwischen Dubstep, Jazz und IDM neu verortete. Jeder für sich, mehr oder minder.

Eine große Brainfeeder-Familie

Flying Lotus war der erste, der es verstand, die diversen Formen zu kanalisieren und dieses Amalgam mit einer eigenen, faszinierenden Handschrift zu versehen. Die Beats holperten, als kämen sie von J Dillas Festplatte, gepitchte Stimmen und sprudelnde Synths huschten durchs Spektrum. Es knisterte, knarzte und rauschte. Ohne Unterlass. Gerade dieses dreiste, kunstvolle Knistern, so als läge die Nadel in einer staubigen Vinylrille, zog sich wie ein roter Faden durch die Platte. Was andere Produzenten mühevoll rausfiltern, erhob FlyLo zur großen Kunst. Musik mit hörbaren Fußnoten, Retro-Futurismus, der stolz auf seinen Ahnenbaum verweist. „Da wo ich herkomme, gab’s keine Beat-Szene“, erklärt er den Grund für seine unbedarfte Herangehensweise. „Ich lebte damals im Valley. In Northridge um genau zu sein. Samiyam und Teebs wohnten zwar im gleichen Gebäude wie ich. Aber wir waren einfach Freunde, die sich gegenseitig ihre Musik vorgespielt haben.“ Aus dem Valley-Boy ist mittlerweile ein Star, aus den Freunden eine Familie geworden, eine Familie namens Brainfeeder.

Kurz nach dem Release von „Los Angeles“ hat Flying Lotus das Label ins Leben gerufen, um für sich und eine Kollegen eine Homebase zu schaffen. Anfangs umfasste das Brainfeeder-Kollektiv vorwiegend kalifornische Künstler wie den Beatbastler Samiyam und Visual-Künstler Teebs. Wie den verschrobenen Psychedelia-Experte The Gaslamp Killer, Ras G, die Newcomerin Tokimonsta oder den L.A.-Szeneveteran Daedalus. Mittlerweile hat sich das Label zum weltumspannenden Netzwerk gleichgesinnter Producer entwickelt, die auf Brainfeeder ihre Musik, visuelle Kunst, DJ-Mixes oder Podcasts präsentieren.

Hudson Mohawke aus Glasglow gehört dazu, genauso wie Dorian Concept aus Wien oder Martyn aus Amsterdam. „Die Brainfeeders erinnern mich immer an die Muppets. Gaslamp Killer wäre in diesem Fall natürlich Animal“, sagt Letzterer. „Oder an die X-Men. Jeder hat eine stark ausgeprägte Persönlichkeit. Jeder bringt seine Spezialkräfte mit ein.“ Die große Klammer stellt ganz simpel Einzigartigkeit dar, wie es Oberhaupt Flying Lotus formuliert, der Mut zum Experiment. „Anfangs dachte ich, hey, lass uns einfach total abgedrehte Sachen rausbringen – MP3 only. Ihre großen Tunes sollen meine Homies weiterhin auf Labels wie Warp rausbringen, ich will ihr komisches Zeug.“

Wonky Eraser

Unter diesem Gesichtspunkt hätte auch „Cosmogramma“ gut und gern auf Brainfeeder anstatt auf Warp erscheinen können. Schon die ersten Sekunden des Intros „Clock Catcher“ stellen klar, vom formalen Minimalismus des Vorgängers hat sich Flying Lotus weitgehend gelöst. Ein Sturm aus HiHats, fiepsigen Apreggio-Synths, Harfenklängen und nahöstlichen Oud-Gezupfe zieht auf, braut sich im zweiten Track „Pickled!“ noch weiter zusammen, lässt kurze Bass-Soli an krachigen Break-Beats zerschellen. „Ich habe diesmal mit mehr Instrumenten gearbeitet. Mit mehr anderen Musikern, mit mehr Texturen. Und endlich den Punkt erreicht, an dem ich das Album machen kann, das ich schon immer machen wollte“, sagte Flying Lotus unlängst im Interview mit Pitchforkmedia. „Viele Ideen habe ich diese ausformuliert und weitergesponnen. Mit Hilfe von Thundercat (Bassist von Suicidal Tencencies, Erykah Badu und SA-RA, Anm.) oder Miguel-Atwood Ferguson, der die Streicher für das Album arrangiert hat. Dadurch ist alles etwas unberechenbarer geworden. Die erste Minute eines Tracks läuft im 4/4-Takt. Bevor er plötzlich eine ganz andere Richtung einschlägt.“

…And the World Laughs With You“, das Stück, dem Thom Yorke seine Stimme schenkt, wirkt da im Albumkontext fast harmlos homogen. Statt den Radiohead-Frontmann mit einem eiernden HipHop-Track ins kalte Wasser zu stoßen, serviert er ihm einen Track, der auch auf Yorkes Album „The Eraser“ gute Figur gemacht hätte. Raschelnde Hihats, Uptempo-Glitch, verwaschen digitaler Soul. Und ein Wonky-Break als großes Finale.

Wie denn dieser Husarenritt, dieser akustische Hurrikan letztlich zum kosmologischen Albumkonzept passt? „Es ist witzig, der Titel beruht auf einem Missverständnis“, erklärt Flying Lotus. „Ich hörte einen Vortrag meiner Tante (die Jazzmusikerin Alice Coltrane, Anm.). Sie sprach darüber wie trügerisch die Welt doch sei, sie sagte, ‚it’s like a cosmic drama, you know?’ Und ich verstand Cosmogramma. Ich hab die Bedeutung des Begriffs nachgeschlagen und erkannt, dass es eigentlich genau widerspiegelt, was ich mit der Platte ausdrücken wollte. Sogar das mit dem Cosmic Drama passt. Denn es fasst den Sound der Platte ziemlich gut zusammen.“ Ob nun Gramma oder Drama, kosmisch jedenfalls muss es sein. Denn die Erde allein ist Flying Lotus längst zu wenig.

Flying Lotus „Cosmogramma“ ist am 3. April 2010 bei Warp Records erschienen.

www.brainfeedersite.com

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