Stricken, na und?

Wie es dazu kam, dass das nach biederem Hausfrauen-Sport riechende Handwerk in jüngster Zeit Kunst, Design und den öffentlichen Raum eroberte.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Ausgerechnet Stricken – dass dies einmal Thema für The Gap sein würde, hätten wohl auch die ärgsten Pessimisten nicht erwartet. Für viele ist das Handwerk bis heute gleichbedeutend mit Heimchen und Herd in Biedermannsdorf. Gerade solche Assoziationen forderten es aber geradezu heraus, den Spieß umzudrehen und Stricken zum Beispiel als Waffe der Emanzipation einzusetzen.

So geschehen bei der Demonstration anlässlich des 100. Frauentags am 19. März dieses Jahres, als in Wien zur Guerilla-Knitting-Aktion auf der Ringstraße aufgerufen wurde und zahlreiche Aktivistinnen Gegenstände und öffentliche Möblierung einstrickten. Die Motivation dahinter leuchtet ein. Traditionell fand (und findet) die Handarbeit im privaten Rahmen statt, der öffentliche Raum war seit jeher ein männlich dominierter. Heute wird dieser noch dazu immer stärker von kommerziellen Interessen dominiert, umso mehr kann man mit anarchisch-bunten Strickmustern auf Bäumen, Parkbänken oder Laternen Aufmerksamkeit erregen. Neben Guerilla Knitting sind dafür auch die Begriffe Yarn Bombing oder Urban Knitting gebräuchlich.

Aufgetaucht ist das Phänomen vor mehr als fünf Jahren in den USA, wo sich Strickerinnen in Gruppen zusammenfanden, um Türklingen oder Bäume zu bestricken. Die Wiener Strickerinnen unterstrichen mit ihrer »KnitherStory« genannten Aktion aber nicht nur ihren Anspruch auf den öffentlichen Raum, sondern auch auf Gleichstellung im Erwerbsleben. Denn was seinerzeit Stricken zu Hause war, sind heute schlechtbezahlte Jobs in den typischen Frauenberufen – eine grobe Benachteiligung. In anderen feministischen Aktionen liegt der Fokus eher in der Demontage männlicher Herrschaftssymbolik, wenn etwa historische Denkmäler mit gestrickten Accessoires in ihrer pathetischen Lächerlichkeit entlarvt werden.

Zweite Haut

Zu den vielen Künstlern, die sich in den vergangenen Jahren traditionelle Handwerkstechniken zu eigen gemacht haben, zählt auch Olek, die allerdings nicht auf Stricken, sondern auf Häkeln setzt. Vor der polnisch-stämmigen Wahl-New Yorkerin ist nichts sicher. Ihr bekanntestes Projekt war die Ummantelung der berühmten Bullenskulptur vor der New Yorker Börse, Olek hat Parkbänke, Autos, ganze Galerieräume und sich selbst in Maschenwerk gehüllt, auf dass Leute stehen bleiben, staunen, fotografieren und dann mit Bildern im Kopf weitergehen, die sie nicht vergessen. Oder sie kaufte Obst und Gemüse ein, verpasste ihnen zu Hause eine wollene zweite Haut und brachte sie anschließend zurück in den Supermarkt, wo sie die nächsten Käufer überraschte.

Wie sie zum Häkeln kam, ist leicht erklärt: Eines Abends legte Olek eine DVD ein und begann, beim Filmschauen nebenbei zu häkeln. Daraus hat sich eine Leidenschaft entwickelt, die man durchaus wortwörtlich verstehen kann. Denn Olek leidet unter ihrer Kunstproduktion: »Die Leute denken, dass es Spaß macht. Allerdings ist es sehr langweilig, ich häkle oft sechs, manchmal auch sieben Tage die Woche, jeden Tag 12 bis 18 Stunden. Es ist stumpfsinnig und überhaupt nicht sexy.« Immerhin hat sie das Glück, dass die Filme, die sie anschaut, sie zu immer neuen Kreationen anregen. An der Street Art schätze sie, dass sie mehr Leute erreicht; mit der Vergänglichkeit ihrer Werke muss sie sich ebenso abfinden wie die meisten Strick-Künstlerinnen (auch in Wien wurden die Werke schnell wieder entfernt). Dass Olek Häkeln und Stricken nicht für einen kurzfristigen Gag, sondern für eine echte Kunstform hält, versteht sich von selbst. „Es braucht Zeit, bis die Leute das akzeptieren. Rap und Graffiti war vor langer Zeit auch eine Ausdrucksform des Undergrounds, ab den 90er Jahren dominierte Rap weltweit, und Graffiti findet man heute im Museum.“

Kunst-Masche

Auch viele Designer haben traditionelle Handwerkstechniken wiederbelebt, wenn auch nicht aus politisch-aktionistischen Gründen, sondern weil sie von der Technik fasziniert waren. Vorreiterin auf diesem Gebiet ist die Niederländerin Hella Jongerius, die seit den 90er Jahren Verbindungen zwischen Industrie und Handwerk geknüpft hat. Heute findet man auf Designmessen »Knit Stools« (Claire-Anne O’Brien), »Jumper Chairs« (Bertjan Pot) oder Teppiche mit überdimensionierten Maschen (Sebastian Schönheit). Die Niederländerin Christien Meindertsma entwarf einen »One Sheep Sweater«, der – wie sein Name sagt – aus der Wolle eines Schafes gefertigt wird: Ein Hinweis auf den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.

Zu der jungen Generation der Strick-Begeisterten zählt auch der in London lebende deutsche Designer Jan Rose. Er sei zwar anfangs gegenüber dem Stricken enorm skeptisch gewesen, habe sich aber dann doch gefragt, wie man die Technik auf den nicht-textilen Bereich anwenden könne – auch in ganz neuen Dimensionen. Also kreierte er im Rahmen seines Projekts »The Knitting Craftsman« Sitzgelegenheiten oder Lampen mit überdimensionierten Maschen, die unter anderem aus Leder »gestrickt« werden.

Die Rückbesinnung und Neuinterpretation alter Techniken erklärt er so: »Designer und Konsumenten haben das Verlangen nach individuell gefertigten Produkten. Wir sind müde von den nichtssagenden, endlosen fabrizierten Produkten. Das Handwerk, im Gegensatz zum Rapid Prototyping, kreiert eine unterschwellige Verbindung, wir erkennen Muster und Traditionen, diese wecken Erinnerungen. Außerdem haben wir das Gefühl, den Prozess zu verstehen und verbinden die Produkte direkt mit dem Macher.« Stricken also doch als Rückbesinnung und Abkehr von der kalten Produktwelt unserer Tage? Man müsse schon darauf achten, nicht in die Nostalgiefalle zu tappen, so Rose. Also habe er sich an ein Diktum von Hella Jongerius gehalten: »We don’t repeat, we interpret and reinterpret.« Womit sich der Kreis zum Guerilla Knitting wieder schließt. Und hoffentlich auch die letzten Leser beruhigt sind, die schon das Comeback der Urstrumpftante befürchtet haben.

www.flickr.com/groups/guerilla-knitting/pool

www.agataolek.com

www.jan-rose.com

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...