In Wolfgang Fischers Film »Styx« kämpft Susanne Wolff als segelnde Ärztin zuerst mit dem offenen Meer und dann mit ihrer Moral. The Gap traf den Regisseur und die Schauspielerin zum Doppelinterview.
Ich würde nun gerne über den Titel des Films sprechen. Der Fluss Styx stellt in der griechischen Mythologie die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Reich der Toten dar. Wie ist es zu diesem Titel gekommen und was bedeutet er für Sie?
Wolfgang Fischer: Der Styx trennt die Lebenden von den Toten und wir leben ja in so einer Parallelwelt, in der es eine Trennlinie gibt. Und diese Trennlinie verläuft über die Meere und über die Küsten der europäischen Außengrenzen, wo die Menschen sterben. Daher fand ich den Titel sehr passend. Ich wollte der Frage nachgehen, was es bedeutet, in den Styx zu gehen. Achilles hat ja darin gebadet und wurde unverwundbar. Was heißt das für uns und unsere Hauptfigur, wenn sie sich in den Styx begibt?
Wie war für Sie das Zusammenspiel mit Gedion Oduor Wekesa, dem anderen Hauptdarsteller? Vor allem auch die Szenen, in dem Sie ihn aus dem Wasser ziehen.
Susanne Wolff: Diese Szene haben wir vorher zweimal geprobt. Wir dachten alle, es ginge schneller und einfacher jemanden so an Board zu ziehen. Aber das war nicht möglich, also bin ich ins Wasser gesprungen und habe versucht, ihn herauszuziehen. Das dauerte irrsinnig lange und war sehr kräftezehrend. Ich habe dann auch festgestellt, dass es ohnehin nicht möglich gewesen wäre, hätte er mich nicht in irgendeiner Weise unterstützt. Das empfand ich als einen sehr erschreckenden Moment. Die Zusammenarbeit mit Gedion war insofern außergewöhnlich, da ich es faszinierend fand, mit welcher Hingabe er sich zur Verfügung gestellt hat. Wobei vieles, glaube ich, für ihn nicht ganz verständlich war, da er noch nie zuvor als Schauspieler gearbeitet hatte. Ob es nun ein Filmset ist oder die Tatsache, dass da ein Meer ist, das ist ihm alles davor wohl noch nicht so häufig begegnet. Er musste auch schwimmen lernen. Dass er sich so furchtlos auf die Reise begeben hat, das hat mich schwer beeindruckt.
Ich habe den Film mitunter als eine Metapher für Sprachlosigkeit wahrgenommen. Würden Sie mir da zustimmen oder nicht?
Wolfgang Fischer: Die Grundidee bestand darin, ein profundes emotionales Erlebnis kreieren zu wollen, so dass da jede Person in die gleiche Situation geschmissen wird wie unsere Hauptfigur und sich die Frage stellen muss: Wie würde ich mich verhalten? Das läuft nicht über Sprache, sondern das ist ein sehr physischer Film und auch Prozess. Man muss dieser Figur folgen und ihr beim Denken zuschauen. Man bekommt nicht gleich eine verbale Hilfestellung und keine Reflexion über Sprache. Es war uns sehr wichtig, dass es ein physischer Film wird, der allgemeine Gültigkeit besitzt. Man muss jede Emotion der Figuren gleich lesen können.
Wie zeigt sich der Charakter eines Menschen, wenn er alleine ist? Haben Sie sich über diesen Aspekt – in Bezug auf die Hauptfigur – Gedanken gemacht?
Wolfgang Fischer: Klar, man muss sich die Frage stellen, wie man sich selbst in so einer Situation verhält. Was man tun würde, welche Möglichkeiten man hat. Diese Figur ist uns Schritte voraus: Sie ist Ärztin, also kann sie helfen, und sie hat das nötige Wissen.
Susanne Wolff: Ich finde, das ist eine sehr interessante Frage. Wenn man diesen Gedanken nun weiterspinnt, merkt man eigentlich, dass sie zwar auf dem Boot alleine ist, dann aber eben das andere Boot sieht. Ab diesem Moment ist sie also nicht mehr alleine. Sie wacht auf und sie sieht, dass sie gesehen wird. Das macht ja alles – finde ich – unausweichlich. Sicher, sie könnte sich auch noch entscheiden, wegzufahren, aber diesen Blick wird sie nie vergessen. Es ist ja nicht so, dass sie im Dunkeln etwas erkannt hat und dass sie niemand gesehen hätte. Es ist auch nicht so, als hätte sie einen Funkspruch gehört, auf den sie bewusst nicht reagiert hätte. Ich denke, diesen Moment hat sie nicht.
In einem Interview zum Film heißt es, dass er keine Antworten gibt, sondern nur Fragen aufwirft. Welche Fragen haben sich für Sie durch die Arbeit an »Styx« ergeben?
Wolfgang Fischer: Der Film enthält schon die Frage danach, wie man sich in so einer Situation verhalten würde. Da kann man nicht so einfach eine Antwort finden, wenn man nicht gerade selbst in der Situation ist. Das war die elementarste Frage, und die muss jeder Mensch für sich selbst beantworten. Diese Frage nimmt man auch nach dem Film für sich mit. Was kann man tun in der Welt, in der wir leben? Das Publikum, das den Film bisher gesehen hat, hat eine emotionale Reise durchgemacht, es wurde vielleicht sogar wachgerüttelt. Ich habe schon solche Reaktionen vonseiten des Publikums erlebt. Viele wollen nun etwas tun. Es ist toll, wenn ein Film so etwas leisten kann und Leute ebenso in einen Dialog treten.
»Styx« ist seit heute, 23. November 2018, in den österreichischen Kinos zu sehen.