»Was kann man tun in der Welt, in der wir leben?« – Wolfgang Fischer und Susanne Wolff im Interview zu »Styx«

In Wolfgang Fischers Film »Styx« kämpft Susanne Wolff als segelnde Ärztin zuerst mit dem offenen Meer und dann mit ihrer Moral. The Gap traf den Regisseur und die Schauspielerin zum Doppelinterview.

© Filmladen Filmverleih

Eine Frau, ein Boot, das Meer. In Wolfgang Fischers »Styx« begibt sich Rike (Susanne Wolff), Ärztin und Seglerin, hinauf aufs Segelboot und hinein in die Fluten. Den Urlaub auf Gibraltar, den hat sie sich verdient. Ihr Ziel: die Atlantikinsel Ascension Island. Doch bevor sie diese erreicht, kreuzt ein Fischerboot ihren Weg. Die rund hundert Menschen auf diesem drohen zu ertrinken und Rike muss eine Entscheidung treffen.

Wolfgang Fischers »Styx« ist – vor allem zu Beginn – ganz auf seine Hauptdarstellerin Susanne Wolff zugeschnitten (ihre Performance ist es auch, was KritikerInnen bisher besonders hervorhoben) und verhandelt dabei aktuelle gesellschaftliche Diskurse über Migration und Moral. Der Film feierte seine Premiere im Rahmen der 68. Internationalen Filmfestspiele Berlin, wo er die Sektion »Panorama Special« eröffnete. Im Interview mit The Gap sprechen Wolfgang Fischer und Susanne Wolff über herausfordernde Dreharbeiten, Titel und Gender-Aspekt sowie Wirkung des Films.

Herr Fischer, Sie haben mehrere Jahre am Drehbuch zu »Styx« gearbeitet. Wie sind Sie ursprünglich auf das Thema gekommen?

Wolfgang Fischer: Wir haben vor neun Jahren begonnen, das Drehbuch zu schreiben. Die Idee bestand eigentlich darin, einen Film über uns Menschen zu machen – und nicht unbedingt eine große Thematik wie Migration aufzugreifen. Wir wollten die Frage aufwerfen, wie wir in dieser Welt leben möchten und welche Entscheidungen und Möglichkeiten wir haben. Und auch, was es vom Standpunkt unserer westlichen Sichtweise bedeutet, in so ein Dilemma gestoßen zu werden und einer Figur zu folgen, die sich alleine in eine archaische Welt begibt und ein ungeplantes Abenteuer bestreiten muss. Was würden wir tun, wenn wir in so eine Situation geworfen werden?

Die Hauptfigur steht – vor allem zu Beginn – sehr im Fokus des Films, sie ist in den meisten Szenen alleine zu sehen. Wie bereitet man sich auf so eine Rolle vor? Vor allem auch, wenn man als Schauspielerin kein Gegenüber und nur wenig zu sprechen hat?

Susanne Wolff: Ich glaube, das kann man gar nicht. Ich habe mich natürlich schon auf diese Rolle vorbereitet. Ich spiele ja eine Notärztin, die zugleich Profiseglerin ist, und dafür war ich bei der Feuerwehr und habe einen sechsstündigen Crashkurs besucht, bei dem ich etwa das Intubieren gelernt habe. Zudem war ich auch vier Tage segeln, weil ich zuvor noch nie alleine auf einem so großen Boot gesegelt war. Vor Ort hatten wir immer einen Skipper dabei, der mir immer wieder geholfen hat, da ich natürlich nicht alles wusste. Er hat mir großes Vertrauen gegeben. Darauf konnte und habe ich mich vorbereitet. Zudem passiert natürlich ganz viel während des Drehs – etwa, dass man über den Aufbau einer Szene redet.

Ich habe gelesen, dass die Dreharbeiten sehr fordernd waren. Sie haben ja auch vor Ort gedreht. Was waren dabei die größten Herausforderungen?

Wolfgang Fischer: Wir haben 90 % des Films auf offenem Meer gedreht. Es gibt da keine Erfahrungswerte, weil das niemand macht. Alle meine Regiekollegen haben mir davon abgeraten, das zu tun, weil man diese Welt nicht kontrollieren kann. Man muss darauf reagieren. Das war sehr schwierig, wenn man 42 Tage auf einem Elf-Meter-Boot verbringt und mit Wetterverhältnissen zu tun hat, die sich permanent verändern – Wellenbewegungen, Sonnenständen, Wolken, Regen. Das ist eine wahnsinnige Welt, in die man sich begibt. Aber wir wollten es wagen. Wir wollten einen authentischen Film machen. Ohne Spezialeffekte. Das war sehr schwierig und wir mussten auf allen Ebenen Profis werden. Wir mussten schon vieles vor dem Dreh in Erfahrung bringen, aber wir mussten auch vor Ort auf das Wetter reagieren. Viele Szenen konnten wir nicht so drehen, wie wir sie geplant hatten. Da mussten wir immer schnell reagieren und unser Regieassistent musste zum Beispiel über 40 Drehpläne machen, um eine Logistik in den Drehablauf zu bekommen. Das war sehr schwer. Wir wollten auch so viel wie möglich chronologisch drehen, um den emotionalen Bogen der Hauptfigur nicht zu stören.

»Styx«-Regisseur Wolfgang Fischer © Filmladen Filmverleih

In bisherigen Berichten über den Film wurde oft die Tatsache betont, dass eine »starke Frau« Protagonistin des Films ist und sie sich alleine ins Meer begibt. Inwiefern hat Sie als Regisseur dieser Gender-Aspekt interessiert? Und wie war das für Sie als Schauspielerin?

Wolfgang Fischer: Für mich war es von Anfang klar, dass ich einen Film über eine moderne Frau machen will, die sich in so eine archaische Welt begeben kann, da sie die nötige Ausrüstung und das Wissen hat. Das hat mich fasziniert: eine Figur zu zeigen, die ihre Wohlfühlzone verlässt und Einsamkeit ertragen kann. Dass es eine Frau ist, das fand ich sehr wichtig. Ich wollte keinen Mann zeigen, der das Meer und diese Welt beherrscht – das wäre sonst ein anderer Film geworden.

Susanne Wolff: Mir geht es grundsätzlich nicht darum, ob die Rolle stark oder schwach ist, sondern ob ich das Drehbuch mag. Mich interessieren – obwohl das vermutlich alle behaupten – vielschichtige Figuren. Ich wollte diese Figur nicht spielen, weil sie eine starke Frau ist. Das wäre nicht das, was mich daran interessiert hätte. Es gab vieles, das mich an diesem Projekt fasziniert hat: Ich fand die ganze Geschichte einfach großartig und das Abenteuer, das dahintersteht, sowie die Vorstellung, sich in diese Welt zu begeben.

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