Aus unserem Archiv: Flex-Coverstory, The Gap 052, Februar/März 2004
Seit 14 Jahren heißt Subkultur in Österreich auch und manchmal sogar vor allem: Flex. Geschichte(n) einer Jugendbewegung an der Schnittstelle von Musik, Profit und angewandter Politik.
Wie lange es her ist? Ich weiß es, leider, nicht genau. Aber klar: Erinnerung trügt. Manchmal sogar ganz ordentlich (wie ich übrigens, im Laufe der Recherchen für diesen Artikel, nicht bloß an mir selbst bemerkt habe). Aber egal: Nehmen wir an, es sind fünf Jahre, die seither in dieses Land gezogen sind, das – erfreulichen, erfreulicher Weise immer zahlreicheren Ausnahmen zum Trotz – noch immer subkulturelles Entwicklungsgebiet ist. Vor fünf Jahren also, da gab es in dem Lokal, von dem hier die Rede sein soll, seltsame Dinge zu sehen; schauderhafte Dinge sogar. In kleinen Nischen hinter der – damals vielleicht noch ein wenig forcierter als heute – um distinktive Langsamkeit bemühten Kellnerschaft bewegten sich, hinter zwielichtig beleuchteten, straff gespannten und halb durchsichtigen Membranen, menschenähnliche Wesen. Ruckartig sich rührend, sorgten diese mechanisch zuckenden Körperteile, Köpfe, Arme, Schultern bei nicht wenigen Gästen für Verstörung. Vergnügen? Nicht unbedingt. Spannung? In jedem Fall.
Risiko des Ruhms
Heute, fünf Jahre (wahrscheinlich) später, prangen an derselben Stelle, regungslos, aber großformatig und beinahe ebenso unübersehbar: vom Hersteller vorgedruckte Reklametafeln für wahnwitzig überteuerte Alkopops. Irgendetwas ist, ganz offensichtlich, geschehen in diesen fünf Jahren. Aber was liegt wirklich zwischen diesen beiden Anblicken, von denen doch ein jeder mit einer ganz spezifischen, kaum zu vergleichenden Qualität von Schrecken aufwartet? Was hat sich verändert in dem Mikrokosmos, den dieses Lokal darstellt, mit all den vielfältigen Verhältnissen, Spannungen, Entwicklungen, Abhängigkeiten, Freiräumen und Zwängen, die einen solchen Mikrokosmos ausmachen? Einen Mikrokosmos selbstverständlich, der nicht abzulösen sein wird von der Welt, die ihn umgibt, von all den vielfältigen Verhältnissen, Spannungen, Entwicklungen etc., denen zum Beispiel die Stadt unterworfen ist, in dem er sich breitgemacht hat, oder auch das Land, in dem sich in der Zwischenzeit bekanntlich – auch nicht unwesentlich – ein politisches Spießertum installiert hat, das seinerseits wiederum mit seiner ganz spezifischen Qualität von Schrecken ganz und gar nicht spart.
Auf den ersten Blick, aus der streng subjektiven Perspektive, scheint ein gewisser Kulturpessimismus durchaus angebracht: Ein Lokal, das jahrelang mit Fug und Recht für sich beanspruchen konnte, wie kein zweites eine Form von Subkultur in Österreich zu repräsentieren – erfolgreich zu repräsentieren –, die für eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Menschen wenn schon nicht lebens-, so doch lebensabschnitts- und lebenseinstellungsverändernd, mit anderen Worten: gesellschaftlich in höchstem Grad relevant und wirksam war; dieses Lokal also hat sich, so scheint es, den Vorgaben ökonomischer Rationalität unterworfen und dabei dem Künstlerischen, im engeren Sinne Kulturellen – also dem für die angesprochenen Veränderungen vorrangig Zuständigen – abgeschworen. Einmal mehr hat das liebe Geld, so scheint es, der Subversion gezeigt, wer am längeren Ast sitzt und damit immer noch bestimmt, wie weit Radikalität und Widerständigkeit zu gehen vermögen.
Und doch gibt es, auf den zweiten Blick, nichts Blöderes, als die Schuld an diesem, tausendfach wiederholten und variierten, Vorgang bei der Subversion selbst zu suchen und einer subkulturellen Initiative vorzuwerfen, dass ihr am eigenen finanziellen Überleben gelegen ist. Ein derart subkulturpessimistischer Ansatz, so putzig und leicht hinzuschreiben er auch sein mag, geht von den falschen Prämissen aus. Beruht er doch auf unhaltbaren Voraussetzungen, ja auf einem geradezu moralischen Anspruch, der so grundverdächtige Angelegenheiten wie Treue, Konsequenz oder Verlässlichkeit einfordert und damit spießiger ist als alles, was er zu kritisieren beliebt. Call it: Revolutionsromantik. Call it: weltfremder (und damit politisch höchst problematischer) Idealismus. Wer glaubt, dass die Subkultur dauerhaft den Spielregeln kapitalistischer Logiken entkommen kann, soll meinetwegen selber Konzertveranstalter werden. Und wer meint, sich ein von außen erstelltes Urteil darüber anmaßen zu müssen, inwieweit bestimmte subkulturelle Strukturen noch radikal genug, im subversiven Sinne okay oder doch schon vom Profitgeist zerfressen seien (Journalisten zum Beispiel, die ihre Geschichten mit peppigen Anspielungen in genau diese Richtung beginnen), sollte sich vielleicht die Worte Jochen Distelmeyers zu Herzen nehmen, der anno ’96, in einem anderen Kontext, aber mit großer Weisheit Folgendes sprach: "Ihre Kritik (also jene der mit Vorliebe ‚Ausverkauf!‘ schreienden Journalisten – Anm.) ist nur möglich als Behauptung, als Teil einer Immunisierungsstrategie, mit der sie primär sich und ihre Texte behaupten wollen. Schließlich sind ihre Texte immer schon geschrieben; es sind ja immer dieselben Texte, die sie schreiben. Der Anlass wird immer beliebiger, ihre Absicht ist entscheidend: Es muss immer etwas geben, das nicht dazugehören darf – bis es nur zwei Sprachen gibt, die jeweils eigene und die von vorneherein auszuschließende. Deshalb richtet sich die Kritik im Kern auch nicht wirklich gegen mangelndes Engagement, mangelnde Explizität, sondern vielmehr gegen die Kunst, Musik, Literatur selbst, die sich durch ihre Mehrstimmigkeit, Vielsprachigkeit von der Geste des absoluten, autoritären Schreibens unterscheidet." Und vergessen wir nicht: Eine solche, leicht zu kritisierende Kunst kann natürlich auch das Betreiben eines Clubs sein.