Aus unserem Archiv: Flex-Coverstory, The Gap 052, Februar/März 2004
Seit 14 Jahren heißt Subkultur in Österreich auch und manchmal sogar vor allem: Flex. Geschichte(n) einer Jugendbewegung an der Schnittstelle von Musik, Profit und angewandter Politik.
Trotzdem muss es doch eine Möglichkeit geben, jener Veränderung, für die die eingangs angeführten Anekdoten subjektiv stehen mögen, kritisch habhaft zu werden. Stellt sich die Frage: Auf welches Fundament kann eine solche Kritik gestellt werden, ohne in ungerechtfertigte Hierarchisierungen (durch unweigerlich sich aufdrängende "Wer ist denn nun der Radikalere/Subversivere/Geilere?"-Spielchen) auszubrechen? Wie wäre es, als vorläufige Grundlage, zum Beispiel mit Geschichte? Mit Ereignissen – oder besser: Erinnerungen an und Erzählungen von vielleicht tatsächlich so ähnlich Passiertem? Es mag den Versuch wert sein.
Nun denn: Die Geschichte des Flex beginnt (wenn man denn unbedingt einen Anfang setzen muss) im sechsten Wiener Gemeindebezirk, genauer: in einem Haus in der idyllischen Aegidigasse. Wir schreiben das Jahr 1988, der damals so genannte "Häuserkampf" liegt in den letzten Zügen. Nichtsdestotrotz behaupten die Bewohner der Hausnummer 3 ihren besetzten Freiraum. Bis zum 12. August, an dem sie von freundlichen Herren in grünem Gewand vor dem Tod durch Hauseinsturz "gerettet" werden. Die Aegidigasse wird geräumt. Die Bewohner, eine heterogene Mischung verschiedenster Interessensgruppen (darunter auch eine Punk- und Hardcore-Abteilung, die schon damals begonnen hatte, Konzerte zu veranstalten), stehen mehr oder weniger auf der Straße. Ein Plenumsentscheid ergibt: Das WUK ist zu besetzen. Was auch prompt geschieht: Ein Dreivierteljahr lang wird der erste Stock des Kulturzentrums zur neuen Heimat der ehemaligen Aegidigassenbewohner. Bis zu jener traumatischen Erfahrung im Herbst des Jahres 1989, als der Versuch, ein leerstehendes ÖBB-Gebäude in der Oswaldgasse zu besetzen, tragisch scheitert und die Bewegung sich rettungslos zersplittert. Die Gemeinde Wien, um Kalmierung bemüht, bietet den verbleibenden Hausbesetzern ein Gebäude am Währinger Gürtel an – für viele eine inakzeptable Alternative. Die Lösung naht, gegen Ende November, in Form einer Kurier-Annonce: "Haus in der Arndtstraße, 1120 Wien, günstig zu vermieten." Kurz entschlossen ergreift eine Gruppe – in Gestalt des Vereins für Gegenkultur – die Gelegenheit und beginnt, das Haus zum Kultur- und Veranstaltungszentrum umzubauen. Nicht unbedingt die leichteste Aufgabe, liegt das einstöckige Gebäude doch inmitten von Wohnhäusern – und auch der Holzschuppen im Innenhof, der zur Konzerthalle mutiert, erweist sich bald als nur geringfügig schalldicht. Dieser und andere Schönheitsfehler (etwa ein nicht vorhandener Wasseranschluss im Gebäude) tun dem Idealismus der Beteiligten jedoch keinerlei Abbruch – in einem knappen Monat entsteht: das Flex. Eröffnet wird in der Silvesternacht ’89/’90 mit einem Fest, das sich als wegweisend erweisen sollte für die folgenden Jahre, wie sich Tom Eller, Exiltiroler und damals wie heute die treibende Kraft des Projekts, erinnert: "Schon während des Konzerts ist die Polizei gekommen. So wie bei jedem weiteren der ungefähr dreihundert Konzerte, die wir in der Arndtstraße veranstaltet haben." Dass dies nervlich und finanziell überhaupt durchzustehen war, hing – von dem aus heutiger Sicht wahrhaft erstaunlichen Durchhaltewillen der Betreiber einmal völlig abgesehen – auch mit der damaligen Gesetzeslage zusammen, die auch für ruhestörende Wiederholungstäter halbwegs leistbare Strafen vorsah. Dennoch mussten die juristischen Folgekosten schon bald in die Kalkulation der Eintrittspreise einfließen. Was weitere, interne Kämpfe mit sich brachte.
Wie das nun einmal so ist, in basisdemokratischen Gruppen, sahen sich die am Subkulturbetrieb interessierten Pragmatiker mit radikalanarchistischen Fundamentalisten konfrontiert, die höchst allergisch auf alles auch nur irgendwie Monetäre reagierten. Der völlige Stillstand qua Endlosdiskussion konnte damals nur dadurch vermieden werden, "dass zwar über alles Mögliche abgestimmt wurde, im Endeffekt aber doch der Tom gesagt hat, was gemacht wird", erklärt Doris Knecht, frühe Flexlerin und heutige Grande Dame des Wiener Printjournalismus: "Damals waren wir ja schnell als die verschrien, die nebenbei einer Arbeit nachgingen – höchst suspekt! –, und dann auch noch für Konzerte Eintritt verlangen wollten." In einem zeitgenössischen Fanzine-Artikel erläutert Tom Eller die prekäre Lage: "Ökonomisch sind wir gezwungen, denen ihr Spiel zu spielen. Finanziell tragt’s sich nicht durch die zehn Superanarchos und die fünf ‚echten‘ Punks von Wien. Ich habe immer die These vertreten, dass man jede Arbeit wenn möglich bezahlen sollte; andere meinten, es sei überhaupt schlecht, wenn Geld im Spiel ist." Einen weiteren Grund, von der – damals vor allem durch eine konsequent selbstausbeuterische "Geschäftsgebarung" aufrechterhaltenen – strikten Niedrigpreispolitik abzurücken, liefert Eller heute nach: "Die vielleicht prägende Geschichte in dem Zusammenhang war für mich, dass viele Konzertbesucher nach dem Konzert im Flex, das damals ja mit Abstand das billigste Lokal in Wien war, mit dem Taxi ins U4 gefahren sind, um dort ihr restliches Geld zu verpulvern. Da ist es für mich betriebswirtschaftlich und subkulturell echt interessanter, wenn ein größerer Teil des Taschengeld-Kuchens bei uns bleibt."