Subversive Industries

Aus unserem Archiv: Flex-Coverstory, The Gap 052, Februar/März 2004
Seit 14 Jahren heißt Subkultur in Österreich auch und manchmal sogar vor allem: Flex. Geschichte(n) einer Jugendbewegung an der Schnittstelle von Musik, Profit und angewandter Politik.

Subkulturkonzernstruktur

Schon das erste Jahr der Flexgeschichte brachte denn auch die erste große Spaltung mit sich, als ein Teil des Kollektivs ins frisch besetzte Ernst-Kirchweger-Haus abwanderte. Was aber nichts daran ändern sollte, dass die Adresse Arndtstraße 51 schnell zum Kristallisationspunkt einer hochgradig aktiven Subkultur wurde. Schon in besagter Silvester-Eröffnungsnacht wurde ein hauseigenes Fanzine – das allseits beliebte, bis 1998 aktive Flex’s Digest – aus der Taufe gehoben, dessen Co-Betreiber bald auch für ein eigenes Hardcore-Label verantwortlich zeichnete: Sacro Egoismo, das per Verkaufsstand im Flex seine ausgewählten Kassetteneditionen unters immer zahlreicher erscheinende Volk brachte. Die assoziierte Veranstaltungsagentur Dead Mountains wiederum stellte sicher, dass mehrmals wöchentlich frische HC-/Punkbands für Unmut unter der Anrainerschaft sorgten. Die endgültige Initialzündung für die bis dahin kaum als existent zu bezeichnende alternative Jugendkultur der Stadt brachte jedoch erst der Boiler mit sich, gern auch als "die Caritas der Subkultur" bezeichnet. Erstmals trat diese Initiative im April 1990 in Erscheinung, anlässlich einer Solidaritätsveranstaltung für die zu der Zeit akut absetzungsgefährdete Ö3-"Musicbox" (aus der später Radio FM4 hervorgehen sollte).

Als deren Bestand dann aber doch weniger bedroht war als befürchtet, verlegte sich der Boiler kurzerhand darauf, mit Benefizfesten Geld "für eigenartige Projekte" aufzustellen, sprich: die aufkeimende Szene zu fördern. Was, insbesondere mit dem Start des Boiler Live Pool, einer wöchentlichen, selbstverständlich im Flex abgehaltenen Konzertschiene für aufstrebende Bands, im Oktober 1990 definitiv gelang. Die Konzerte, unter anderem von späteren Fixgrößen der österreichischen Popmusik wie Naked Lunch, Fuckhead oder Fetish 69, wurden mitgeschnitten und in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht, Publikums- wie Presseresonanz erreichten ungeahnte Ausmaße, und immer stärker manifestierte sich, im und um das frühe Flex, eine Aufbruchsstimmung, ein gegenkulturelles Selbstbewusstsein von bis dahin kaum gekannter Ausstrahlungskraft. Und weil man sich, von jugendlichem Tatendrang angetrieben, auf derlei Ausstrahlung allein nicht verlassen wollte, wurde zu Ostern 1991 auch noch damit begonnen, die Botschaft per Piratenradio in die Welt zu tragen – fertig war der kleine Untergrundkonzern.

Bald kam man, als Jugendkulturinteressierter, ums Flex nicht mehr herum (ja sogar der damalige Popkritiker der Presse, ein gewisser Bogdan Roscic, gehörte zur Stammkundschaft); eine Reputation hatte sich herausgebildet, an der auch politisch nur noch schwer zu kratzen war – den fast schon rituellen Boulevardberichten von Straßenschlachten und Drogenexzessen zum Trotz. Zarte Kontakte zur Stadtregierung wurden geknüpft, der damalige Bürgermeister Zilk schickte seinen Jugendbeauftragen (und späteren Drogenkoordinator) Michael Hacker, der als Mittelsmann recht erfolgreich um wechselseitiges Verständnis bemüht war, und mit DI Klaus Steiner, (mittlerweile pensionierter) Stadtplaner im Magistrat, fand sich ein, wie sich bald herausstellen sollte, wertvoller Verbündeter. Denn der Standort Arndtstraße wurde zunehmend unhaltbar – neben der notorischen sanitären Situation und der stresserzeugenden Präsenz eines Skinhead-Treffpunkts in der unmittelbaren Nachbarschaft war dafür vor allem das Faktum ausschlaggebend, dass mit den Anrainern, wenig überraschend, beim besten Willen keine zufriedenstellende Koexistenz zu erzielen war.

Mainstream der Minderheiten

Ende 1992 schließlich konnte Stadtplaner Steiner einen leerstehenden U-Bahn-Abschnitt am Ufer des Donaukanals vermitteln – der Standort für einen Neubeginn war gefunden. Im Juni 1993 wurde die Ära Arndtstraße beendet – nicht auf behördlichen Druck, wie Tom Eller betont, sondern aus freien Stücken, "um die neue Location, durch die andauernden Ruhestörungsscherereien, nicht zu gefährden." Aber für Gefahr sorgten schon ganz andere. Denn obwohl vonseiten der Gemeinde durchaus Goodwill signalisiert wurde, konnte es der damals zuständige VP-Bezirksvorsteher, Richard Schmitz, nicht auf sich sitzen lassen, dass "marodierende Horden von Chaoten" sein Wirkungsgebiet zum Schlachtfeld erklärten. Und auch wenn der heutige Politpensionär dem Kurier vom 17. September 1993 erstaunlicherweise zu Protokoll gab, "dass die im Flex gespielte Musik gut ist", fand Schmitz in der Flex-Verhinderung fortan sein liebstes Steckenpferd. Als sowohl von Ministeriums- als auch Stadtseite millionenschwere Anfangssubventionen in Aussicht gestellt wurden, kannte der Bürgerzorn schließlich kein Halten mehr. Marodierende Horden pelzbemantelter Bedenkenträger stürmten, in aufgeregtem Protest "gegen Chaos, gegen Drogen, gegen Flex", das Büro von Bürgermeister Zilk – ohne Erfolg. Die Würfel des politischen Willens waren gefallen, der Sekretär der Kulturstadträtin, ein gewisser Gerald Matt (heute Kunsthallen-Impresario), ließ ausrichten, dass das Flex definitiv gefördert werde, und im Jänner 1994 begannen schließlich die Bauarbeiten an Flex Nummer 2. Für Tom Eller, bei aller Euphorie über die nicht zu erwartende Dimension der politischen Unterstützung, der Startschuss für "eine tragische Zeit". Denn ein Bezirksvorsteher gibt so leicht nicht auf, und bis zur definitiven, offiziellen Eröffnung am 1. Oktober 1995 musste noch so manche behördliche Schikane umschifft und mehr als nur eine Finanzierungslücke geschlossen werden (Letzteres vor allem durch kaum legale Baustellenpartys).

Bild(er) © Ingo Pertramer (2), Flex (5)
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