Aus unserem Archiv: Flex-Coverstory, The Gap 052, Februar/März 2004
Seit 14 Jahren heißt Subkultur in Österreich auch und manchmal sogar vor allem: Flex. Geschichte(n) einer Jugendbewegung an der Schnittstelle von Musik, Profit und angewandter Politik.
Und noch ein Manko wurde in der Zeit immer deutlicher: Mit der neuen Größe gingen neue Zwänge einher. Während früher hundert Besucher für einen gepflegten Mulatschak locker ausgereicht hatten, beginnt sich die neue Halle erst ab der dreifachen Anzahl einigermaßen zu füllen. Und auch die engere Kooperation mit der öffentlichen Hand (die in Österreich bekanntlich eine durchaus strenge sein kann) brachte die Notwendigkeit erhöhter Professionalität mit sich. Was, wie könnte es anders sein, schon in dieser frühen Phase die ersten Ausverkaufsvorwürfe nach sich zog. Dennoch zeichnete sich das Flex auch weiterhin durch bemerkenswerte Offenheit aus. Auch wenn die Situation für die Betreiber eine andere sein mochte: Fürs Publikum blieb Zwanglosigkeit oberste Flex-Prämisse. Und so rückte am Donaukanal vieles, was anderswo undenkbar gewesen wäre, in den Bereich des Möglichen. Man denke nur, beispielsweise, ans selige Soft Egg Café, Drehli Robniks Sonntagsirrsinn, wo türkische Abende inklusive Bauchtanz ebenso stattfinden konnten wie Monochroms hinterfotziges Puppentheater oder nationalfeiertäglicher Besinnungsterror. Diese Freizügigkeit, mit der man im Flex 1995 ff in vielerlei Hinsicht konfrontiert war, darf letztlich getrost als ausschlaggebender Grund dafür angesehen werden, dass das Lokal sich mehr und mehr zum allseits geliebten Superclub entwickelte, dessen Ruf bald auch über die Landesgrenzen hinaustönte und der auch am einen oder andern Wien-Hype (siehe Kruder & Dorfmeister) nicht unwesentlich beteiligt war – bis hin zur Tatsache, dass das Flex heute gewissermaßen als Stephansdom aus den jugendrelevanten Wiensehenswürdigkeiten herausragt. Dass mit einer solchen Offenheit auch gewisse Unschärfen einhergehen, ist so selbstverständlich wie unvermeidbar. Das Flex, ehemals Austragungsort von Außergewöhnlichem, ja für Außenstehende durchaus Bedrohlichem, ist heute mehr oder weniger im Konsens angelangt, markiert keine ausgeprägte Differenz mehr zum Gewohnten. Dass mangels Differenz aber auch Bedeutung verloren gehen kann, werden nicht bloß Semiologen bestätigen. Auch wenn das Flex, in den Spex-Lesercharts der letzten Jahre immerhin stets im Spitzenfeld der Kategorie "bester Club", auch heute noch für durchwegs spannende, ja meinetwegen auch: prickelnde Abende am Puls aktueller Jugendkultur zwischen Indierock, House und Drum & Bass zu haben ist: Die wirklichen Innovationen passieren heute anderswo (in ungleich kleineren Clubs vor allem, wie das Fluc einer ist, das zur Zeit mit erstaunlichem Elan völlig neue Freiräume eröffnet).
Und so kann es sehr wohl passieren, dass sogar frühere Mitstreiter wie Paul Poet, ehemals unter anderem als Kurator des Boiler Live Pool tätig, im Flex des Jahres 2004 "bei aller Wertschätzung" zunehmend den "Massenschuppen" sehen, das "Underground-Disneyland" – und dass sich, Gerüchten zufolge, sogar die damaligen Subventionsgeber heute ein wenig mehr an Radikalität wünschen würden. Nicht zuletzt mag auch die Tatsache, dass man für Live-Konzerte in zunehmendem Maße mit den Österreich-Ablegern internationaler Veranstaltungskonzerne kooperiert, passionierten Dissidenzlern sauer aufstoßen. Nichtsdestotrotz ist das Flex auf seine Breitenwirksamkeit angewiesen. Schon zur Zeit der Schmitz’schen Schikanenwelle erkannte man, erläutert Eller, als einzige eigenständig herzustellende Bestandssicherheit, möglichst schnell zu einer Institution zu werden, an der auch massive politische und wirtschaftliche Gegeninteressen abprallen würden. Ein Plan, der durchaus von Erfolg gekrönt war. So konnte man, als vor zwei Jahren durch einen glücklichen Zufall bekannt wurde, dass im Zuge des geplanten U2-Ausbaus an Flexens Stelle ein Abluftkanal installiert werden sollte, die eigene jugendkulturelle (und in diesem Zusammenhang nie zu vergessen: touristische) Bedeutung ins Feld führen, um Bürgermeister Häupl eine Bestandsgarantie abzuringen – was nicht nur Flex-Fans aufatmen ließ, sondern sehr wohl auch die 24 angestellten und dreißig freien Mitarbeiter des gar nicht kleinen Underground-Unternehmens.
In der Grauzone
Reicht all das aber aus, um zu erklären, wie innerhalb von (wie gesagt: wahrscheinlich) fünf Jahren offensichtliches Gewinnstreben an die Stelle von Experiment und Wagnis treten konnten? Flex-Chef Eller führt an diesem Punkt den "Sachzwang ständiger Verbesserung" ins Feld: "Das Flex ist ja immer noch eine Baustelle. Wir bauen tatsächlich jeden Tag irgendwo noch um und weiter. Zwischen 8 und 9 Uhr früh, wenn der Putztrupp fertig ist, kommen die die Leute vom Flex-Bautrupp, wie intern die Handwerker bezeichnet werden. Gerade in den letzten zwei Jahren haben wir haufenweise unspannende, aber sehr teure Umbauten vornehmen müssen, die auch niemand sieht: eine bessere Lüftung, oder auch eine neue Notausgangsstruktur, die durch die U-Bahn-Baustelle notwendig geworden ist."
Geschenkt: Natürlich können Zeit, Muße und Geld für künstlerische und sonstige Experimente in einer solchen Situation leicht verloren gehen. Anton Waldt, Mitherausgeber und Wien-Spezialist des de:bug, würde die Schuld am Flex’schen Status quo dann auch eher im behördlichen Bereich ansiedeln: "Die Rahmenbedingungen für Clubmacher sind in Wien ganz einfach übel. Das ist ja das Elend dieser Stadt: dass es so wenige Spielräume gibt, und dass man durch allerlei Auflagen beinahe gezwungen wird, das eklige Sponsoringspiel zu spielen. In Wien kann man leider kaum einen Mucks machen, ohne alles hochlegal anzugehen. Gute Clubs entstehen aber gerade dort, wo es möglichst ausgeprägte Grauzonen und Freiräume gibt, weil nur da Mut und Kreativität wachsen können. Ich würde ja dafür plädieren, im Sinne einer Kulturförderung auf Subventionen ganz zu verzichten und stattdessen, simpel gesagt: juristische Grauzonen zuzulassen." Ein wahres Wort, angesichts dessen es umso mehr erstaunt, wie lange und mit welcher Effektivität das Flex dermaßen weit vorne agieren konnte, wie es das nun einmal unbestreitbarerweise getan hat. Und hey: Wenn es heute zum Mainstream gehört, sich in einem Lokal, dessen graffitiverzierte Außenwände monströse Embryo-Schlürfer schmücken, konsumzwanglos und per brachialem Bassgeböllere die Hörfähigkeit ein bisserl zu versauen – nun, dann kann doch echt nicht alles falsch gelaufen sein, in den letzten, sagen wir: fünf Jahren.
Weil kein Magazin, und sei es auch The Gap, die persönliche, vor Ort erfolgte Meinungsbildung zu ersetzen vermag, sei an dieser Stelle ein individueller Lokalaugenschein dringend anempfohlen. Programm unter www.flex.at.