Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Susanne Gottlieb aus 2021 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.
Die paar Monate, in denen man heuer doch einmal ins Kino konnte, fühlen sich irgendwie nicht existent an. Bis Mai weiß ich gar nicht so recht, was ich überhaupt die halbe Zeit gemacht habe. Und im Sommer ging es dann Schlag auf Schlag. Sogar ein paar Festivals waren drinnen. Es war schön auch wieder mal im Kinosaal zu sitzen und gemeinsam mit anderen Menschen sich von einem Film unterhalten lassen zu können. Die Dynamik ist ja doch gleich eine ganz andere. Und daher will ich diese Liste streng dem Kino widmen.
Top 10 Filme, die 2021 tatsächlich im Kino waren
1. »Titane« (Regie: Julia Ducournau, Frankreich, 2021)
Provokatives, kompromissloses Kino. Ein feministisches Plädoyer gegen das Schubladendenken und für Intersektionalität. Jede Menge Body Horror, unkonventioneller Sex und Humor. Julia Ducournaus Film ist anders und erinnert uns daran, dass Film noch immer ein innovatives Werkzeug sein kann, um den Status quo herauszufordern.
2. »The Power of the Dog« (Regie: Jane Campion, Neuseeland/Australien/UK/USA/Kanada, 2021)
Für Benedict-Cumberbatch-Fans die einmalige Chance ihn »full nude« zu sehen. Aber auch sonst eine geglückte Wiederkehr für Regie-Grande-Dame Jane Campion, die seit »Das Piano« (1993) nichts von ihrem Handwerk verlernt hat.
3. »Promising Young Woman« (Regie: Emerald Fennell, USA/UK, 2021)
Wenn man als Regie- und Drehbuchnovizin gleich fürs Erstlingswerk einen Oscar abräumt, dann hat man wohl was richtig gemacht. Emerald Fennell und Carey Mulligan erzählen eine Geschichte über weibliche Emanzipierung und Sexismus in der nüchternen Realität nach dem anfänglichen #MeToo-Hoch. Auch das Ende hat es in sich – einerseits brutal ehrlich, andererseits ein Wunschdenken von Gerechtigkeit.
4. »Nomadland« (Regie: Chloé Zhao, USA, 2020)
Dieser Film schafft es, wie ein Teil der anderen 2020er-Produktionen, in die Liste, weil er erst heuer in die Kinos gekommen ist. Der Abräumer der diesjährigen Oscars ist klassisch Chloé Zhao: eine Suche nach Freiheit und alternativen Lebensentwürfen. Ein Film über von der Masse oft nicht beachtete Randgruppen. Ein Plädoyer für die Schönheit der kleinen Dinge.
5. »Bad Luck Banging or Loony Porn« (Regie: Radu Jude, Rumänien, 2021)
Wenn Radu Jude einen Film dreht, dann greift er immer auf humorvoll-zynische Art und Weise gesellschaftliche und politische Befindlichkeiten an. Hier kommt wieder mal alles zusammen: Corona, Faschismus, Sexismus und natürlich der titelgebende Porno und dessen Doppelmoral, was Frauen und Männer betrifft.
6. »The Father« (Regie: Florian Zeller, Frankreich/UK, 2020)
Nichts ist inzwischen ermüdender als das standardisierte »Oscar Bait«-Melodrama, in dem mit tragischer-herzzerreißender Musik, betulichem Schauspiel und vielen emotionalen Andockpunkten versucht wird, auf die Tränendüse zu drücken. Nicht so »The Father«. Dessen immer tieferes Abgleiten in die Diagnose Alzheimer wird aus der Perspektive des alten Manns erzählt. Teils verschachteltes Drama, teils mysteriöser Krimi, führt der Film ernüchternd vor Augen, wie tragisch dieser Zustand wirklich ist.
7. »The Last Duel« (Regie: Ridley Scott, USA/UK, 2021)
Zu Unrecht gefloppt. »The Last Duel« zeigt eigentlich sehr gekonnt, wie man historische Begebenheiten mit einem modernen Zugang analysiert, ohne dabei zeitgenössische Denkmuster und Begriffe der Vergangenheit einfach drüberzustülpen. Eine Frau wird vergewaltigt; der Täter soll zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Erinnerung daran, wie wenig auch heute noch die Erfahrung von Frauen als legitim angesehen wird.
8. »The Green Knight« (Regie: David Lowery, USA/Kanada, 2021)
Das perfekte Beispiel, wie man heute noch die Artus-Saga adaptiert, ohne dabei die nächste 08/15-Verfilmung, die keinen interessiert, aus dem Hut zu ziehen. Das liegt zum einen daran, dass das Skript, das von Gawains Konfrontation mit dem grünen Ritter handelt, Arthur nur im weitesten Sinn als solchen benennt und thematisiert. Zum anderen liegt es an David Lowerys abstrakt-mystischem Bilderrausch. Und Dev Patels Darstellung von Gawain ist abermals Beweis dafür, dass er einer der besten Schauspieler seiner Generation ist.
9. »Quo Vadis, Aida?« (Regie: Jasmila Žbanić, Bosnien und Herzegowina/Österreich/Deutschland/Frankreich/Niederlande/Norwegen/Polen/Rumänien/Türkei, 2020)
Das Massaker von Srebrenica (auch bekannt als Völkermord von Srebrenica), das sich ungefähr zwischen 11. und 19. Juli 1995 ereignete, ist nach wie vor eines der schlimmsten Ereignisse auf europäischem Boden jüngerer Zeitrechnung. Mehr als 8.000 Bosniaken wurden von der Armee der Republik Srpska – den eigenen Landsleuten – ermordet. Zeitgleich ist es auch ein Mahnmal für ein Totalversagen der Vereinten Nationen. Die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić hat einen Film darüber gedreht. Und der ist keine leichte Kost.
10. »James Bond 007: No Time to Die« (Regie: Cary Fukunaga, USA/UK, 2021)
Gut, die Handlung mag zum Teil etwas drüber sein. Aber »No Time to Die« ist ein gelungener, emotionaler Abschluss für Daniel Craigs durchaus lange, erfolgreiche Zeit als Bond. Und eine Erinnerung daran, dass man sehr wohl filmisch auch in einer Saga einen emotionalen, alle losen Enden auffangenden Schlussstrich ziehen kann. Bond ist natürlich nicht weg vom Fenster. Aber das Franchise wird sich trotzdem erst mal wieder neu erfinden müssen.
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