»Rap darf nicht zensiert werden« – Svaba Ortak im Interview

Der Wiener Rapper Svaba Ortak hat vergangene Woche sein neues Album »Atlas oder nada« gedroppt. In einem seiner seltenen Interviews erläutert er, was es mit seinem neuen Langspieler auf sich hat. Er spricht über Autotune im Straßensound und Sexismus im Deutsch-Rap.

Sicher hast du auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Samra und die daraus entstehende #deutschrapmetoo-Bewegung mitbekommen. Hat Deutsch-Rap ein Sexismusproblem?

Nein, hat es nicht.

Wieso?

Rap ist Rap. Rap muss Rap bleiben. Rap kommt von der Straße, muss für die Straße sein. Wer die Musik nicht hören will, weil sie zu abartig ist, soll sie nicht hören. Wenn mir Musik nicht gefällt, dann höre ich sie nicht. Aber ich zensiere sie nicht. So etwas sollte man nicht tun, weil das unter künstlerische Freiheit fällt. Meiner Ansicht nach. Aber ich befürworte keinen Rapper, der rappt, wie er einem Mädchen die Zähne rausschlägt oder ihr K.-o.-Tropfen reinhaut, weil er einfach keine Scham hat. Anstatt dass er einem Mädchen schön begegnet und sie normal ins Bett kriegt und einen normalen Song darüber macht. Wenn er das nicht draufhat, dann ist er – darf ich das sagen? – ein Hurensohn. Aber ich würde niemals sagen, du musst zensiert werden. Dich muss man jetzt streichen. Weil das Simpelste ist einfach, die Musik nicht zu hören und sie nicht zu unterstützen. Damit tut man dem Künstler am meisten weh.

Aber es gibt ja trotzdem das Problem, dass es Leute gibt, die das sehr unreflektiert hören. Eine große Zielgruppe von Deutsch-Rap sind zum Beispiel Jugendliche. Wenn dann jemand Lines rappt, wie »Baller der Alten Drogen ins Glas / Hauptsache, Joe hat seinen Spaß« (aus dem Song »Lebenslauf« von Gzuz & Bonez MC, Anm. d. Red.) – wo ist da die Grenze zwischen Kunstfreiheit und problematischer Vorbildfunktion?

Das, was ich dazu sagen kann, ist, dass Eltern aufpassen sollten, dass wir nicht ein Elternersatz werden für Kinder. Denn wir werden zu einem Elternersatz gemacht. Wir werden zu einem Elternersatz, weil Kinder Kinder bekommen und diese nicht erziehen können. Und dann sind wir die Schuldigen.

Du siehst die komplette Verantwortung also bei den Eltern?

Natürlich, wo sonst? Meine Eltern haben gearbeitet, deswegen bin ich das geworden, was ich bin. Deswegen höre ich die Musik, die ich höre. Die haben keine Zeit gehabt, um mich zu erziehen. Ich habe meine Schwester erzogen und meinen Bruder. Ich als Vater werde genau aufpassen, was mein Kind hört. Ganz genau. Mein Kind soll nicht solche Sachen hören. Die Verantwortung liegt bei den Eltern und nicht beim Künstler. Der Künstler ist ein Künstler, und der kann tun und lassen, was er will, in seiner künstlerischen Freiheit. Ich war mal bei einem Freund und er hatte Kinder und im Hintergrund ist 187 (Strassenbande, Anm. d. Red.) gelaufen. Die Kinder haben Lines mitgerappt wie »Wichs ihr in die Fresse und frag sie, wie’s schmeckt«. Wenn meine Kinder das machen würden, würde ich das sofort eindämmen. Ich würde sie das nicht hören lassen. Aber natürlich, Kinder halten sich nicht daran. Aber dadurch, dass ich ihnen sage, das ist nicht gut, werden sie doch ein bisschen Verstand besitzen und wissen, ich kann mir das anhören, aber das, was der sagt, ist nicht gut.

Aber genau in Zeiten von Social Media wird die Kontrolle darüber, was deine Kinder konsumieren, immer schwieriger. Es gibt außerdem genug Eltern, die nicht mal Zeit haben, sich damit zu beschäftigen.

Das stimmt. Ich kann nur von mir selbst reden. Ich achte darauf, was ich sage. Ich sag solche Sachen nicht. Ich würde niemals irgendwelche Vergewaltigungstexte machen. Ich habe eine Schwester. Allein wenn die das hören würde – sie würde durchdrehen. Aber was ich noch dazu sagen kann: Ist die Musik wirklich das größte Problem für Kinder heute? Oder sind das die Drogen und die Diebstähle?

Svaba Ortak (Foto: Alex Kardos)

Das ist doch Whataboutism und ein Relativieren des Problems. Nur weil es auch andere Probleme gibt, geht dieses eine nicht weg. Du wirst wahrscheinlich besonders gut wissen, dass Sprache einen extremen Einfluss hat. Es müssen nicht gleich Vergewaltigungstexte sein, damit’s problematisch wird. Allein, dass Leute in ihren Sprachgebrauch aufnehmen, Frauen »Bitch« und »Hure« zu nennen, reicht doch. Findest du das nicht problematisch?

Nein, ich seh da kein Problem, weil ich weiß, wann ich in meinen Songs eine Bitch eine Bitch nenne und wann ich eine Frau eine Frau nenne. Ich sag ja nichts Schlimmes. Das ist Rap. Ich kann ja nicht einfach über Blümchen und Rosen rappen. Wem Rap nicht gefällt, der soll Rap nicht hören. Ganz einfach. Ich kann ja auch nicht zu Metallica gehen und denen sagen, bitte hört auf über den Satan zu singen, weil ich bin Christ und kann nicht auf euer Konzert kommen. Das macht ja keinen Sinn. Wem die Musik nicht gefällt, der soll sie nicht hören. Rap darf nicht zensiert werden. Wenn dir der Künstler nicht gefällt, dann geh und boykottier den Künstler, aber boykottier doch nicht das Genre. Ich trag keine Schuld daran, dass Samra so etwas macht.

Weißt du, wie viele Rapper jetzt ihre Sachen zensieren mussten, wegen dem Hause Universal (gemeint ist Universal Music, Anm. d. Red.). Nimo musste seinen Song runternehmen, Massiv kann seinen Künstler jetzt nicht rausbringen. Weißt du, wie viel Geld da verloren geht, wenn man die Texte umändern muss? Das ist Studiozeit, Videos wurden da gedreht. Und die Leute denken nur daran, dass man eine Frau Bitch nennt in dem Lied? Also sei mir nicht böse … Nur weil Samra das getan hat, trifft doch Nimo und Massiv keine Schuld.

Der Track von Nimo hatte ziemlich sexistische Lines – in den Tagen nach Bekanntwerden der Vorwürfe.

Sexistische Lines, hm? Sollen wir »Doin’ It« von LL Cool J vergessen? Sollen wir alle nicht mehr Tupac hören, weil er vier Jahre wegen sexueller Belästigung bekommen hat? (Wäre eine Überlegung wert, Anm. d. Red.) Tupac bringt Songs wie »Wonda Why They Call U Bitch«. Du wunderst dich, warum man dich so nennt? Ja, weil du dich so benimmst. Dann macht Tupac einen Song wie »Keep Ya Head Up«, und der wird auf einmal von allen gefeiert. Unsere Gesellschaft ist so manipulativ. Die Leute verstricken sich in irgendwelche Sachen und wissen nicht mal mehr, was die Realität ist. Da liegt das Problem. Das Problem liegt nicht bei mir, sondern bei dir, wenn du das nicht verstehst.

Denkst du Deutsch-Rap beziehungsweise Hip-Hop generell wird sich von Sexismus »wegentwickeln«?

Auf gar keinen Fall. Wenn die Leute normal denken, sicher nicht. Wohin entwickeln? Das ist doch Rap. Wohin soll ich mich entwickeln?

Du hast selbst mal gesagt Frauen haben einen hohen Stellenwert in deinem Leben, deswegen hast du dein letztes Album »Eva und Adam« genannt.

Ja, deswegen nenne ich sie auch Frauen.

Du hast auch Lines, wo du Frauen als Huren bezeichnest. Beispielsweise: »Sie gehen auf Huren und ich lass blasen im Bett.«

Wenn ich sag, das ist eine Hure oder Fotze, dann ist diese Fotze in meinem Kopf, deswegen sag ich das. Das bin ich. Ich kann ja nicht für Tausende Leute sprechen. Die Musik ist eine Verkörperung meiner selbst. Das Wichtigste ist, dass man Leuten ihre Meinung lässt. Ich kenne sehr viele Leute, die mich angreifen, weil ich so eine Meinung habe. Ich sag einfach nur: Hör die Musik nicht! Und das checken die Leute nicht … Ich werde immer gewinnen in dieser Diskussion. Du kannst mich zu Markus Lanz zerren, ich werde gewinnen. Alle Feministinnen können kommen, ich werde gewinnen. Man kann mir das nicht ausreden. Ich kann dir fünf Millionen sexistische Rap-Lieder aufzählen, zu denen du getanzt hast, und jetzt hast du so eine feministische Meinung. Nur weil der Künstler eine Frau augenscheinlich vergewaltigt hat? Ich verurteile das aufs Schärfste. Ich hasse Samra selbst und ich hasse Vergewaltiger und Kinderschänder. Es ist aber immer noch nicht bewiesen, ob er’s getan hat – das ist eine offene Debatte. Alle Leute springen dann immer auf diesen Zug auf. Sie haben schon eine Meinung, bevor sie sich damit tiefer beschäftigen. Sie kratzen nicht mal am M der Materie und haben schon eine Meinung.

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