»Rap darf nicht zensiert werden« – Svaba Ortak im Interview

Der Wiener Rapper Svaba Ortak hat vergangene Woche sein neues Album »Atlas oder nada« gedroppt. In einem seiner seltenen Interviews erläutert er, was es mit seinem neuen Langspieler auf sich hat. Er spricht über Autotune im Straßensound und Sexismus im Deutsch-Rap.

© Alex Kardos

Ich treffe Svaba Ortak in seinem Stammlokal in Wien-Landstraße. »Jeder weiß, dass ich hier bin, ich bin jeden Tag hier«, antwortet er auf die Frage, ob er hier erkannt wird. Paki – wie Svaba gerne genannt wird – bestellt ein großes Soda Zitron, ich einen gespritzten Apfelsaft, weil es noch ein bisschen zu früh ist für Bier. Er ist anders, als ich ihn mir erwartet habe. Eigentlich gibt Svaba so gut wie nie Interviews, doch er ist alles andere als medienscheu. Er begrüßt mich mit Faust, grinst breit und fragt mich gleich mal, ob ich eh schon geimpft bin. Nach zwei Minuten fühle ich mich so, als würde ich mit einem alten Bekannten quatschen.

Dein Album heißt »Atlas oder nada«. Wie kann man das verstehen?

Svaba Ortak: »Atlas oder nada« im Sinne von »Die Welt oder gar nichts«. Ich führe die Leute rein in meine Welt, zeige ihnen meine Welt – und sonst gar nichts.

Was ist dein Atlas? Wien?

Haha, nein. Mein Horizont ist größer. Der Sinn des Titels war eigentlich, alles von mir zu geben, was ich kann. Man sagt immer, wir sind Rapper. Ich sehe mich eher als Künstler. Meine vollkommene Kunst will ich den Hörern präsentieren und deswegen gebe ich ihnen alles. Nichts gibt’s nicht.

Zeichnest du immer noch viel? Wie wichtig ist dir das als künstlerischer Output?

Auf jeden Fall zeichne ich noch ein paar Sachen – ich war ja auch auf der Graphischen. Aber da habe ich vielleicht einmal was gezeichnet. Aber ich steh trotzdem drauf. Ich liebe Kunst und verschiedene Künstler. Sei es Gustav Klimt, Picasso oder so. Also ich geb mir schon solche Sachen.

In deinen Texten kritisierst du die Kürze von Deutsch-Rap-Tracks der neuen »Generation Spotify« mit der Line »Die Lieder dauern zwei Minuten und das war’s«. Deine Songs dauern durchschnittlich vier Minuten. Woher kommt die Kritik? Warum passt du dich nicht an?

Ich pass mich nicht an, weil ich einfach verdammt viel zu sagen habe. Diese Leute haben gar nichts zu sagen, wie es aussieht. Deswegen handeln ihre Texte nur von Rolex und Designermarken. Ich kenn schon so viele Marken – ich bin ein verdammtes Lexikon für Garderobe geworden, aber das ist nur so, weil ich mir diese Musik gegeben habe. Ich kenn Marken, von denen habe ich noch nie was gehört in meinem Leben, haha. Das nur wegen der ganzen Leute, die das so zur Schau stellen. Aber das war nie Rap für mich. Für mich hat Rap einen Sinn – es soll berühren, du sollst dich reinfühlen und identifizieren können. Ich habe zum Beispiel auch Texte gehabt, in denen es um den Tod geht, und immer wenn ich jemanden erwähne, der gestorben ist, bekomme ich das Gefühl, dass jedes Mal, wenn du dir das anhörst, diese Person kurz lebt. Das ist Musik für mich.

Und du meinst, dass man solche Texte nicht in zwei Minuten packen kann?

Natürlich kannst du solche Texte in zwei Minuten packen, aber du musst das dann so minimalistisch verpacken, dass das schier unmöglich ist auf Deutsch. Das funktioniert einfach nicht. Die deutsche Sprache ist so komplex und so groß. Es gibt so viele schöne Wörter. Die deutsche Sprache ist eine der schönsten Sprachen der Welt. Obwohl jeder Mensch, der sie nicht spricht, sagt, sie ist grauenhaft. Das weiß ich von mir selbst. Immer wenn ich in Montenegro bin, sagen alle: »Mann, das ist so eine grässliche Sprache, das ist unfassbar.« Dabei wissen die gar nicht, wie schön diese Sprache sein kann. Ich lese auch viel. Somit erweitere ich meinen Wortschatz.

Ist Deutsch für dich schöner als Serbisch?

Ich stelle es gleich. Auf Serbisch hast du Worte, die du auf Deutsch nicht hast, und auf Deutsch hast du Worte, die du auf Serbisch nicht hast. Ich lese sehr viel serbische Literatur, aber auch sehr viel deutsche Sachen. Also, ich bin da schon versiert. Ich liebe Bücher, ich liebe den Geruch von Büchern.

Um noch mal drauf zurückzukommen: Diese Zwei-Minuten-Tracks kommen ja auch nicht von irgendwo – das hat auch mit dem Spotify-Algorithmus zu tun. Denkst du, dass Streamingdienste auch mitverantwortlich sind für den heutigen Erfolg von Deutsch-Rap?

Definitiv. Die haben uns alle gerettet. Ich kenn so viele Menschen, die nicht mal einen Cent verdient haben und jetzt so viel durch diese ganzen Streamingdienste verdienen. Aber so schnell, wie sie dir Erfolg geben können, können sie ihn dir auch wieder nehmen. Und da liegt das große Problem. Eine verkaufte Einheit, die jemand im Geschäft kauft, bedeutet 10.000-mal mehr als ein Stream. Weil da ist jemand ins Geschäft gegangen und hat deine CD gesucht und gekauft. Du kannst den Erfolg von heute nicht mit dem Erfolg von Künstlern von damals vergleichen. Das ist unmöglich. Warum glaubst du, dass die ganzen alten Acts so sauer sind, dass die Leute so schnell Gold gehen? Die sind ja alle total wütend, weil damals war das noch extrem schwer. Das war so ein Kampf für die. Und ich fühle diesen Kampf. Ich meine, ich hatte ihn nicht, ich bin weit davon entfernt, aber ich versteh das alles. Aber das ist alles ganz normal – die Zeit ändert sich.

Ist dir Message wichtiger als Erfolg?

Das stelle ich gleich, weil ich Erfolg durch Message haben will. Das ist mein großes Ziel. Ich will aufmerksam machen auf Geschehnisse, auf Bettler, die ich hier auf der Straße sehe, auf wichtige Aspekte. Auch wichtige soziale und gesellschaftliche Probleme. Natürlich bin ich Rapper, ich bin kein Ultra-Pazifist. Natürlich habe ich auch meine Geschichte zu erzählen. Und ich bin das, was ich bin. Ich bin einfach Svaba Ortak. Ich bin ein Reporter von der Straße und das war’s. Mehr bin ich nicht.

Weil du gesagt hast, du willst auch deine eigene Geschichte erzählen: Ich hab das Gefühl, dass das Album weniger persönlich ist als dein vorheriges. Woher kommt das?

Ja, das stimmt. Weil das Album »Atlas oder nada« heißt, hab ich sehr viel mit dem Wort »Atlas« gespielt, also der Welt. Ich wollte auch auf viele andere Sachen aufmerksam machen, rundherum um mich. Zum Beispiel haben wir den Song »Bullets« aus der Sicht einer Patronenkugel geschrieben. Ich wollte darauf aufmerksam machen, wie viel Krieg und Leid es noch gibt. Die Leute sind alle geblendet von diesen verdammten Rolex-Songs, dass man das einfach nicht mehr raushört.

Das Outro auf »Eva und Adam« hieß ja auch »Atlas«. Kann man »Atlas oder nada« als eine Fortführung sehen?

Natürlich ist es die Fortführung. Das war der Grund, warum das Album so heißt, wie es heißt – wegen dem Outro »Atlas«.

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