Taking back Jakoministraße

Offenheit, Freiraum und deklarierte Anti-Kunst prägen den Wilden Mann in Graz. Am Freitag wird das neue „Art and Culture Project“ groß eröffnet. Der Kunstverein in der Jakoministraße positioniert sich so als wild gewachsenes Gegenstück zur gesteuerten Kreativwirtschaft der Stadt.

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Düster, verwinkelt und kalt (Heizkosten!) ist es noch als wir den Eingangsbereich betreten. Die 50er-Jahre Architektur mit seinen imposanten Kronleuchtern strahlt einen etwas zwielichtigen Charme aus. Wilder Mann heißt diese neue Art and Culture Project in der Jakoministraße und führt somit jenen Namen fort, den das Gebäude schon hatte als es noch die Kunstuni beherbergte. Allerdings scheint das Ding erst mit diesem neuen Projekt seinem Titel gerecht zu werden. Name und Logo sind fast schon eine Parabel auf die Sache selbst, denn es wirkt wirklich wie etwas Wildes, das das kontrolliert nette Jakominiviertel da aufmischt.

Plural als Projekt

Beim Durchwandern der großzügigen Tanzräume treffen wir auf Spiegelungen von Spiegelungen unserer selbst – fast schon sinnbildlich könnte das dafür stehen, wie man sich hier sich selbst einbringen kann.

Dass der Wilde Mann im so genannten Jakominiviertel (das hatten wir doch schon mal) angesiedelt ist, ist eher Zufall. Das Kulturprojekt schafft es sogar diese allzu sehr gewollten Stadtplanung der CIS zu konterkarieren: Der Wilde Mann bekommt im Moment keinerlei Unterstützung und wird nur durch seine Mitglieder und die Einnahmen von Tanzkursen und der Bar finanziert, erzählt uns der Mitgründer Abraham Martinez. Er hat schon in seiner Heimatstadt Madrid in einem ähnlichen Projekt gearbeitet.

Insgesamt macht der Verein einen sehr uneltitären Eindruck. Die aktiven Personen haben vielfach einen starken DIY-Zugang in ihren Bereichen und zeigen doch ein hohes Maß an Professionalität. Zum Beispiel trifft sich dort die Breakergruppe SMA-Crew, bekannt durch ihre Beteiligung beim Four Elements Festival bekannt und als regelmäßige Gäste bei Physically Fit (die einzige Entschuldigung ins Grazer Univiertel zu gehen). Auch der im Wilden Mann tätige Fotograf und Medienkünstler Aurel Hu hat sich seine Skills größtenteils selbst angeeignet. Er lehnt die Bezeichnung „Künstler“ übrigens ab – und anstatt sich mit solchen Selbstkategorisierungen aufzuhalten gibt er seine Fähigkeiten lieber der Community weiter.

Die wohl außergewöhnlichste Innovation sind die Kabarett-Veranstaltungen, die in dem Raum mit der großen Theaterbühne stattfinden sollen. Bisher gab es hierzu in Graz kaum eine Tradition von alternativen Ideen. Nur das Theatercafé bot bisher seine mühsame Haha-Kultur. Die Poetry-Slam Veranstaltungen in den Minoriten waren die einzige Abwechslung. Eine offene Bühne, jenseits vom kommerziell funktionierenden Schenkelklopfer-Business hat aber bis jetzt gefehlt. Auf die Umsetzung wird schon gespannt gewartet.

Das Interessante am Wilden Mann ist also seine Pluralität (Tanz, Breakdance, Trommel-Gruppen, Proberäume, Kabarett etc.) – es scheint, als hätten unheimlich viele Leute in Graz nur auf ihn gewartet: Denn kaum war der Verein vergangenen Herbst gegründet, wollten sich schon die unterschiedlichsten Leute mit ihren Projekten einbringen. Es wirkt ein bisschen so wie das was das gescheiterte Projekt A-Z mit seinem Autonomen Zentrum erreichen wollte, nur ohne den konkret politischen Ansatz. Melanie Chung richtet zum Beispiel derzeit einen Kost-Nix-Laden ein – eines der Kernziele von A-Z.

Potential als Club

Im Zentrum des Stiegenhauses überblickt Melanie Chung den Eingangsbereich – sie war wesentlich bei der Gründung des Vereins beteiligt und veranstaltet zusammen mit Abraham Martinez, Aurel Hu und anderen die Eröffnungsveranstaltung kommenden Freitag inklusive einer Party mit dem vielleicht etwas fragwürdigen Titel What the Fuck ???. Die Hinweise „doors open at midnight“ und „13 hours of electronic music“ deuten auf einen etwas längeren „Abend“ hin. Nicht umsonst kommen viele der Beteiligten aus der Grazer After-Hour Szene, die dafür bekannt ist ihre Partys nicht „schon“ in den Morgenstunden ausklingen zu lassen.

Beim Betreten der Partylocation im Keller des Gebäudes fallen noch die Überreste früherer Nutzungen der Räumlichkeiten auf. Am Boden sind noch Hinweise auf das Grazer Designfestival zu finden, dessen Headquarters der Wilde Mann vergangenen Mai war. Die Leute vom Wilden Mann sind aber trotz dieser örtlichen Parallelen ganz klar jenseits der Grazer Design-Szene angesiedelt. Die organischen Malereien an der Wand, mit denen die Veranstalterinnen den Kellerclub schon dekoriert haben, geben vielleicht mehr Aufschluss über das Publikum, das hier zuhause ist.

Die Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Eröffnungsparty sehen übrigens gut aus, es gibt diesen Freitag kaum nennenswerte andere Veranstaltungen in Graz.

Der Club im Wilden Mann hätte das Potential ähnlich wie die Kombüse (immerhin laut FM4 der neunt-coolste Club des Jahres 2010) zu einem offenen Veranstaltungsort für weniger etablierte DJs zu werden. Wir hoffen jedenfalls auf mindestens eine regelmäßige Veranstaltung, die dem Namen des Vereins entgegen gesetzt ist. „Die Rote Zora“ würde sich anbieten.

(Die Bilder stammen von Julia Melcher und Wilder Mann.)

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