Bright Lights, Small City – Wie Thaliwood Filmflair nach Graz brachte

Es ist mittlerweile fast in Vergessenheit geraten, aber am Gelände des heutigen Flughafens Thalerhof in Feldkirchen bei Graz wurden zwischen 1947 und 1953 einige frühe Highlights des Nachkriegsfilms produziert. Diesen ist mit »Come and Shoot in Thaliwood« bei der diesjährigen Diagonale ein historisches Special gewidmet.

© Sammlung filmexil@synema.at — International Erfolgreiches aus Thaliwood: »Die Vier im Jeep«

»Dem mehr oder minder unvermutet hier Eintretenden steigen nicht unerheb­liche Bedenken auf. (…) Sollte er am Ende nicht an das gewollte Ziel gekommen sein? Doch nein, der Ruf ›Achtung, Aufnahme!‹ zeigt ihm, dass er doch richtig ins Atelier der AFA gefunden hat. Hier im Film­gelände am ›Thalerhof‹, das von den Zünftigen ›Thaliwood‹ genannt wird, werden zur Zeit die letzten noch ausständigen Szenen des neuen Filmes ›Schuss durch’s Fenster‹ gedreht.«

Der Reporter der Kleinen Zeitung konnte im August 1950 seine Begeis­terung kaum verbergen. Ein großer Film wurde gedreht – in der Steier­mark! Lauter Filmstars in und rund um die steirische Hauptstadt. Was fantastisch klingt, war jedoch keine Ausnahme­erscheinung für diese Zeit. Zwischen 1947 und 1953 wurden in einem Filmstudio am Thalerhof, dem heutigen Flughafen neun Kilometer südlich von Graz, 17 Filme realisiert. Eine Tatsache, die bei der Bevölkerung größtenteils in Vergessen­heit geraten ist. Umso mehr Grund für die Diagonale, die Aktivitäten in Thaliwood in Kooperation mit Synema – Gesell­schaft für Film und Medien wieder vor den Vorhang zu holen.

»Come and Shoot in Thaliwood – Drei Filme aus der Grazer Traumfabrik« heißt das historische Special, das Michael Omasta und Brigitte Mayr von Synema kuratiert haben. »Mit unserer historischen Recherche­arbeit und deren Vermittlung mittels drei der uns am wichtigsten erscheinenden Filme des Studios, setzten wir einen Akzent, der einen grenz­über­schreitenden Diskurs zwischen Künstler*innen und Wissen­schaftler*innen anregen will«, erklären die beiden ihre Motivation. »So setzen sich diese historischen Begeben­heiten in der Gegenwart im Gedächt­nis fest.«

Thaliwood entstand zu einer Zeit, in der die Besatzungs­mächte in Österreich das Verbot öster­reichischer und deutscher Film­produk­tionen aufzuheben begannen. So lautete die Verkün­digung im Steirer­blatt im Dezember 1946, »dass nun allen Pessimisten zum Trotz der Beginn einer steirischen Film­produktion unmittelbar bevorstehe«. Das Programm der neuen Alpenfilm-Austria-Gesellschaft, kurz AFA, sollte schon bald »der repräsentative öster­reichische Film sein, auf ein hohes kulturelles und künstle­risches Niveau gestellt und der Wiener Heurigen­duselei entrückt«, wie eine Presse­mitteilung 1947 wissen ließ.

Mutiger Versuch

Gründer der Gesellschaft waren der Theater­schauspieler und Kultur­film­regisseur Hans Schott-Schöbinger und der Industrielle Anton Sternig, Besitzer der Grama Metall­waren­fabrik, die Dauer­brand­öfen herstellte. Der Versuch, außerhalb von Wien etwas in dieser Dimension auf die Beine zu stellen, war mutig, wie Omasta und Mayr betonen: »Die ersten Studios wurden in der Haupt­stadt aufgebaut, weil dort auch alle Ressourcen technischer Natur vorhanden waren. Es schien sich niemand zu trauen, eine Produktion zu initiieren, die nicht vor Ort auf alles zurückgreifen kann, was es für einen Film braucht.«

Dieser Mangel an Ressourcen brachte für die AFA gleich zu Beginn die ersten Heraus­forderungen. Als Studio­standort hatten die beiden Gründer eigentlich eine nicht fertig gebaute Flieger­siedlung im Süd­westen von Graz, im Kaiser­wald, anvisiert. Dort fehlte es aber an der notwendigen Infra­struktur – und so musste man Richtung Osten auf den Flughafen Thalerhof ausweichen, wo zwar die Alliierten stationiert waren, Ende der 1940er-Jahre aber noch keine Flugzeuge abhoben.

»Prämien auf den Tod« nahm Anleihen beim frühen deutschen expressio­nistischen Kino. (Foto: Filmarchiv Austria)

Die zweite Heraus­forderung für das Studio war die filmische Themen­setzung. Ursprüng­lich sollten Abhand­lungen über den öster­reichischen Widerstand und die Angst vor der Atom­bombe entstehen. Diese befand man aber 1947 als »nach Ansicht der künst­lerischen Leitung bereits unaktuell«. Letztlich orientierten sich die ersten Produk­tionen an den für den Nach­kriegs­film typischen historisch-nostalgischen Legenden, Komödien und Lustspielen. Der Film »Hexen«, mit Schott-Schöbinger im Regie­sessel, entpuppte sich als romantisch-dramatische Dreiecks­beziehung mit Happy End und ohne Scheiter­haufen. Er konnte Publikum und Kritik nicht gerade begeistern.

»Er wurde von der Lokal­presse als geistlos und zum Gähnen langweilig verrissen«, resümieren Omasta und Mayr. Schott-Schöbinger bot daraufhin den beiden Schau­spielern Curd Jürgens und Siegfried Breuer die Möglichkeit, ihre eigenen Regie­debüts umzusetzen. So schrieb Jürgens in seiner Auto­biografie, dass ein »Ofen­fabrikant aus Graz« einen Narren an ihm gefressen habe. Sein »Prämien auf den Tod« sowie Breuers »Schuss durch’s Fenster« sind zwei der Filme, die Omasta und Mayr für die Diagonale pro­grammiert haben.

Drogenerfahrungen

Der 1949 entstandene »Prämien auf den Tod« nahm Anleihen beim frühen deutschen expressio­nistischen Kino und nutzte surreale Effekte, um den geistigen Verfall des Protagonisten zu symboli­sieren. Jürgens selbst deutete an, dass er darin seine Erfahrungen mit der Droge Pervitin verarbeitet habe. Die Kritik war begeistert, vor allem auch von Breuer in der Hauptrolle als Versicherungs­agent. Dieser führte dann 1950 bei »Schuss durch’s Fenster« Regie, in dem wiederum Jürgens in einer Neben­rolle zu sehen ist. Der Film spielt mit den Nachwehen des Krieges, den entstandenen rechts­freien Räumen, wie Christoph Fuchs in seinem Buch »Come and Shoot in Austria« schreibt. Originell auch die Titel­sequenz, in der die Filmtitel und Namen der Schau­spieler auf die Außen­wand des Studios gepin­selt wurden.

Der wohl erfolgreichste Film aus Thaliwood war mit »Die Vier im Jeep« jedoch eine Schweizer Produktion. Er ist der dritte im Bunde des historischen Specials. Schauplatz der Handlung ist Wien während der Besatzungs­zeit. 1951 entstanden, deutet die Handlung bereits auf den aufkeimenden Kalten Krieg hin. Die drei Vertreter der West­mächte versuchen darin, der Frau eines öster­reichischen Kriegs­gefangenen gegen den vierten, den russischen Alliierten zu helfen, der die Order hat, deren flüchtigen Ehemann festzunehmen. Auch der Regisseur des Films steht beispielhaft für ein Kriegs­schicksal: Der jüdische Wiener Leopold Lindtberg war 1933 in die Schweiz geflüchtet. Dem gerade erst gegründeten Film­festival Berlinale gefiel der Film – er gewann den allerersten Gol­denen Bären.

Unter jenen, die über die Jahre Thaliwood beehrten, war auch der Regisseur Franz Antel, der hier »Der Obersteiger«, »Kaiserwalzer«, »Das Früchtchen« und »Die süßesten Früchte« drehte. Auch Paula Wessely machte mehrmals mit ihrer eigenen Produktions­firma, unter anderem für »Cordula«, Halt – ihr Auftritts­verbot nach der Mitwirkung an einem NS-Propaganda­film war da bereits aufgehoben.

1950 inszenierte Hans Schott-Schöbinger das Epos »Erzherzog Johanns große Liebe« mit O. W. Fischer in der Titelrolle und Marte Harell als Anna Plochl. Der Nachbau eines Teils der Gloriette im 3.200 Quadrat­meter großen Studio war die bis dahin größte Kulisse in Österreich. Gleichzeitig warf die Produktion auch die ersten Schatten auf die Zukunft der AFA. Die Dreh­arbeiten mussten zwischen Mai und Juni unter­brochen werden, weil das Geld fehlte. Schweizer Kapital­geber sprangen ein.

Aufwendiger Studiobetrieb

1953 war dann klar, dass es mit dem steirischen Hollywood vorbei war. »Der Thalerhof scheiterte rein an finanziellen (Nicht-)Gegeben­heiten«, so Omasta und Mayr. Gegründet mit den Geldern eines Ofen­fabrikanten, konnte der aufwendige Studiobetrieb letzt­end­lich nur mehr mit Zumietungen aufrecht­erhalten werden. Doch selbst diese verursachten der Alpenfilm-Austria-Gesellschaft zusätzliche Kosten durch die Bereit­stellung von Personal.

Ein weiterer Grund war die Reaktivierung des Flughafens Thalerhof. Dreh­arbeiten mussten nun immer wieder wegen der Flugzeug­starts unterbrochen werden. Zudem ließ die Wiener Creditanstalt, Haupt­gläubigerin der Produktions­firma, das Gelände am Kaiserwald versteigern. Es sollte zu einem »Siedlungs­werk für Heimat­vertriebene« umgestaltet werden. Die letzten Spuren des Studios ver­schwanden, als die alte Atelier­halle zu Beginn des neuen Jahr­tausends abge­rissen wurde.

Ein Flughafen und seine historische Bedeutung: »Tracing Thalerhof« (Foto: Sixpackfilm)

Der steirischen Filmlandschaft hat das Ende Thaliwoods aus heutiger Sicht aber keinen Abbruch getan. Diese sei »sehr engagiert und bereits belebt genug«, sind Omasta und Mayr überzeugt. Die Erinnerung an das Studio sei das, was zähle. »Dass die Initiatoren – allen voran der Ofen­fabrikant – genug Chuzpe besaßen, es einfach zu versuchen, so aussichtslos es zu Beginn auch schien. Und dann haben sie immerhin die Reali­sierung von 17 Filme hingelegt – in nur wenigen Jahren. Chapeau!«

Die drei Thaliwood-Filme »Prämien auf den Tod«, »Schuss durch’s Fenster« und »Die Vier im Jeep« sind im Rahmen eines historischen Specials bei der diesjährigen Diagonale zu sehen. Ebenfalls im Programm ist Lotte Schreibers Kurzfilm »Tracing Thalerhof«, der von der historischen Bedeutung des Flughafens im Ersten Weltkrieg erzählt. Die Ausstellung »Film und Kino in der Steiermark« im Museum für Geschichte ist noch bis 8. Jänner 2023 zu sehen. Mit gelöstem Diagonale-Ticket kann die Ausstellung bei freiem Eintritt besucht werden. Einen Überblick über unsere Beiträge zur Diagonale findet ihr hier.

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