Ariana Grande wird derzeit mit aller Gewalt zum neuen Megastar aufgebaut. "My Everything" soll nun unter der Anleitung von A-List-Produzenten als sachgerechtes Pop-Manifesto dienen.
Im letzten Jahr tauchte auf unseren Schirmen plötzlich ein kleines Rehkitz mit der Stimme von Mariah Carey auf und servierte tadellose 90s-R&B-Realness auf einem Silberteller. Das war eigentlich ganz gut und tat niemandem weh, wirklich picken blieb Ariana Grandes Debüt "Yours Truly" jedoch nicht und mehr als Mini-Mariah war sie am Ende auch nicht. Das soll sich mit dieser Monsterproduktion gehörig ändern.
Angekurbelt von einem Riesenhype, der Ariana Grande endgültig auf das nächste Superstar-Level katapultieren soll, wird "My Everything" mit ordentlich Karacho auf die Menschheit losgelassen. Kaum ein Mainstream Pop-Album in diesem Jahr erhielt vergleichbar viel Buzz um die Veröffentlichung, und die Namen der Mitverantwortlichen und Featured Artists rechtfertigen das im Grunde nur noch.
Bum Bum Bum
Eine Platte mit einem Intro zu beginnen macht ja vielleicht bei groß angelegten Konzeptalben Sinn, in diesem Fall hätte man sich das jedoch gleich schenken können. Braucht kein Mensch, man darf getrost zu Track 2 skippen: "Problem" war nicht zuletzt wegen Pop-Chef Max Martin und einem schrägen Sax-Break der große Moment für Ariana. Das Iggy Azalea-Feature dürfte auch nicht geschadet haben, und Big Sean flüstert inkognito eine von gefühlten 37 verschiedenen Hooks in dem Song. So geht das.
In der zweiten bereits bekannten Auskopplung, "Break Free" mit Zedd, verschlägt es Bambi zwar ein bisschen zu sehr in Richtung Großraumdisko, aber im Zweifelsfall einfach immer fest an Robyn denken. Das funktioniert sogar bei "One Last Time", und das obwohl die Credits behaupten, David Guetta hätte hier seine Finger im Spiel gehabt. Vom Old School-Sound des Erstlings hat man sich wohl zugunsten von charttauglicheren EDM-Bangern endgültig verabschiedet. Irgendwie hat man sich aber genau das auch erwartet.
Die erste Perle bietet sich mit "Why Try" an. Der Ryan Tedder-Refrain klescht wie gewohnt und Ariana schmettert ihre High Notes raus, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Big Sean darf dann auf "Best Mistake" nochmal ran und lässt doch noch mal kurz die "Yours Truly"-Slow Jam-Ariana durchblicken.
Feature-Fest
"Be My Baby" klingt wie eine moderne Version von R&B-Hits aus den 00ern und hat den norwegischen Cashmere Cat mit an Bord. Dieses Album ist ein wahres Feature-Fest. Wie viel Budget hatten die denn zur Verfügung? Der Nächste ist auch schon Childish Gambino. Auf "Break Your Heart Right Back" singt Ari über einen Exfreund, der sie wohl mit einem Typen betrogen hat. Dazu ein Sample von Diana Ross‘ "I’m Coming Out". Passt, Kopf wippt mit. Man versteht übrigens recht wenig, weil Homegirl offenbar nicht viel von Artikulation hält und die Lyrics in irgendein gebrabbeltes Kauderwelsch verwandelt.
"Love Me Harder" kommt mit Guest-Vocals von The Weeknd daher und klingt dabei wie das ledige Kind von Lady Gagas "Do What U Want" und Drakes "Hold On We’re Going Home". Das hier nennt man dann wohl einen Standout-Track. Genau jetzt, wo es am schönsten ist, kommt mit "A Little Bit Of Your Heart" der erste Totalausfall, der seinen Platz auf dem Album wohl nur aufgrund seines prominenten Komponisten erhalten hat. Schwache Herzschmerz-Piano-Balladen sind echt das Letzte, was man von Harry Styles braucht. Darkchild sei Dank gibt es mit "Hands On Me" dann vollkommen unerwartet nochmals einen Höhepunkt, obendrauf noch mit einem Gastauftritt von A$AP Ferg. What? Das muss laut. Oder auch nicht, unmittelbar danach verliert Ariana nämlich wieder total den Faden und lässt "My Everything" mit dem völlig nichtssagenden Titeltrack ausklingen, der nicht mal zu Ende gehört werden muss.
Zwischen Nickeloden und HipHop
Was ist hier eigentlich los? Ist Ariana Grande jetzt überhaupt noch Teenie Star oder chillt sie inzwischen lieber mit Nicki Minaj? Das Mädel kommt aus dem Kinderfernsehen, trägt plötzlich nuttige Lackstiefel und macht einen auf süße Lolita, bekommt dann aber die besten Gastrapper für ihr Album und lässt ein Boyband-Mitglied Songs für sie schreiben. Das wirkt vielleicht schizophren, ist aber durchdacht. Sie wirkt noch immer greifbar für die Nickeloden-Fans aus ihrer Anfangszeit und ist gleichzeitig cool genug für A$AP Ferg. Diese Art Popstar setzt sich heute immer mehr durch. Die Grenzen zwischen cool und uncool lösen sich auf. Früher dauerte es noch zwanzig Jahre bis ein guilty pleasure eben doch durchging. Heute ist das egal. Ein cleveres Produkt ist sie schon, und eines, das funktioniert noch dazu.
Die Transition vom scheuen Bambi zur emanzipierten Raubkatze ist nicht ganz gelungen, aber vielleicht ist sie es genau deshalb eben doch. Eine zweite Britney wird sie, wie schon so oft behauptet, sicherlich nicht werden. Vorübergehend hätte sie sich mit diesem Album allerdings ein Krönchen verdient. Es ist zwar kein Meisterwerk, um Ariana Grandes Status als nächste Pop-Prinzessin zu zementieren reicht es jedoch allemal.
"My Everything" von Ariana Grande erscheint am 22. August via Universal.