Thomas Köck erfindet das zeitgenössische Theater neu

Wortmassen, Erdmassen, Erbmassen – in Thomas Köcks Stücken bewegt sich einiges. Wem es gelingt hier mitzuhalten, erlebt dafür ein Theater, das unsere Zeitordnung infrage stellt.

»Ich hatte Lust, einen großen theatralen Entwurf hinzuknallen und mir anzusehen, was ein Theatertext wirklich kann. Das war Theater ja auch einmal – man hat sich an einer literarischen Form, die Theatertext heißt, abgearbeitet. Gleichzeitig wollte ich der Form auch die Möglichkeit zurückgeben als literarische Form über die Welt zu reden. Auch, weil ich überzeugt davon bin, dass dramatische Texte viel mehr Freiheit bieten als beispielsweise ein Prosatext«, erklärt Theaterautor Thomas Köck, wenn man ihn nach dem Ausgangspunkt seiner viel gespielten Klima-Trilogie (paradies fluten, paradies spielen und paradies hungern) fragt. Der große Wurf sozusagen, der ein möglichst allumfassender Entwurf sein möchte. Kennt man die Arbeiten des 32-Jährigen nicht, klingt das vermutlich nach der weit ausholenden dramatischen Pranke der Weimarer Klassik – etwas angestaubt und ein wenig anmaßend. Von dieser Vorstellung wird man sich aber schleunigst wieder verabschieden müssen, wenn man sich in ein Stück des gebürtigen Steyrers setzt. Dort wird zwar auch weit ausgeholt, also vielzitiertes »Welttheater« gemacht, jedoch auf eine Weise, die viel zu unberechenbar zwischen scheinbaren Gegensätzlichkeiten hin und her springt, als dass sich hier jemals Staub ansetzen könnte. Mit diesem Ansatz wollte Thomas Köck auch dem entkommen, was er als »klassischen Österreich-Ästhetizismus« bezeichnet und sich für ihn vor allem darin ausdrückt, große Themen auszuklammern. Es ist das fehlende historische Bewusstsein der Österreichischen Literatur, das ihn stört und das ihn, im Zuge seines Umzugs von Wien nach Berlin, auch dazu brachte, gar nichts mehr mit dieser Art der Literatur zu tun haben zu wollen. »Ich war während meiner Anfangszeit in Berlin so anti-sprachmelodisch eingestellt, dass ich mit Sprache eigentlich gar nichts mehr zu tun haben wollte und deshalb erstmal auch lieber nur noch Performance gemacht habe. Das Lustige daran ist, dass ich dann in Deutschland als ›österreichischer Autor‹ rezipiert wurde – obwohl ich dachte, dass ich auf eine ganz eigene Sprache hingearbeitet hätte«, erklärt er und lacht, weil er diese Kategorisierung heute nicht mehr ganz so tragisch nimmt. Sich für das erste große Projekt dann gleich auf ein Thema wie den Klimawandel zu stürzen und hier den Begriff Klima so weit aufzudröseln, dass sich darin Natur und Kultur zwar oft scheinbar widersprüchlich, aber untrennbar miteinander verbinden, kann durchaus als größenwahnsinnig bezeichnet werden. Aber das muss man als Theaterautor und Erdenker ganzer Welten vielleicht ohnehin sein. Das Ohnmachtsgefühl, das manche, gerade beim Thema Klimawandel oft verspüren, weil sie nicht glauben können, dass ihr ökologischer Fußabdruck jemals groß genug sein kann, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen, kennt allerdings auch Thomas Köck: »Ich hatte anfangs beim Schreiben der Klimatrilogie dieses klassische Bild von einem Eisberg, der im Meer treibt, vor mir, vor dem ich als kleine Kaulquappe hocke. Es kam mir unmöglich vor, das Thema in den richtigen Blick zu kriegen. Gleichzeitig hat das eine große Lust und Energie freigesetzt, weil ich dachte, dass man daran eh nur scheitern kann. Wenn Kunst alles kann, dann schließlich auch scheitern.«

Krisenstimmung

Aus dem Nachdenken über spekulativen Realismus und Futurismus entwickelte sich bei Köck eine Utopie gegen das Denken der Alternativlosigkeit und daraus eine philosophische Auseinandersetzung mit den Themen Klima und Klimawandel. Der erste Teil seiner Klimatrilogie, der aus diesem Nachdenk- und Rechercheprozess entstand, war paradies fluten, das in der Spielzeit 2017/18 am Akademietheater gezeigt wurde. Die Bühne des Akademietheaters schien dabei fast zu klein für all die Farben, Kostüme, den Schlamm und das Wasser, das Regisseur Robert Borgmann für seine Inszenierung einsetzte. Sehr viel Raum, um Gedanken entstehen zu lassen, nahm sich auch der Autor beim Erstellen des Textes und spannte den Bogen so weit, dass die Konzentrationsfäden einzelner ZuseherInnen wohl hie und da mal kurz abzureißen drohten. Im Stück selbst geht es einerseits um eine Kleinfamilie der Gegenwart, die an der Pleite ihres Unternehmens zu zerbrechen droht, andererseits um die Ausbeutung indigener Völker bei der Kautschukgewinnung Ende des 19. Jahrhunderts. Als produktive Metapher funktioniert Klima bei Thomas Köck auf sehr vielen verschiedenen Ebenen, die er zu einem hochexplosiven Bündel verschnürt. Obwohl die beiden darauf folgenden Stücke, paradies hungern und paradies spielen, nicht ganz so weit ausholen, verbinden sich auch hier persönliche und gesellschaftliche Krisen mit der Klimakrise. Auch das Thema Erben dringt in der Klimatrilogie immer wieder durch, schließlich verschieben sich Erdmassen und Erbmassen nicht völlig unabhängig voneinander. In Köcks Stück Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt), das am 9. November 2017 im Schauspielhaus uraufgeführt wurde und in Ko-Regie mit Elsa-Sophie Jach entstand, ist dann überhaupt in erster Linie von einem anstehenden Erbe, das nur leider niemand haben möchte, die Rede. Dafür versammelte Köck vierzehn trotzige Teenager zu einem Chor und ließ sie stimmgewaltig erklären, dass den Toten endlich ein Strich durch die Erbschaftsrechnung gemacht werden muss. Unter einer derart verhunzten Erbmasse möchten sie nämlich sicher nicht begraben werden.

© Georg Soulek/Burgtheater

Vergangene Zukünfte

Thomas Köck setzt gerne Chöre in seinen Stücken ein und möchte auch, dass diese als solche inszeniert werden. »Ich fand es schon öfter sehr spannend, dass selbst wenn man ›Chor‹ in den Theatertext schreibt, man nicht immer auch einen Chor bekommt. Es ist eben auch einfach ein Mittel, das Arbeit erfordert – in dem überhitzten, schnellen Betrieb möchte sich diese Zeit aber leider kaum jemand nehmen. Als wir für Klagt, Kinder, klagt mit den Kindern gearbeitet haben, fand erstmal eine Woche lang ein Workshop statt, bevor wir danach ganze zehn Wochen proben konnten. Als Standard gelten mittlerweile allerdings leider eher sechs Wochen«, so Köck. Dabei liegt für den jungen Theaterautor genau im Chor der Nukleus von Theater überhaupt, denn einen Chor bekommt man ausschließlich auf einer Theaterbühne.

© Matthias Heschl

Die Klagen seines Teenager-Chors lässt Köck aber immer wieder von eingespielten PolitikerInnen-Zitaten durchbrechen, die in den Text hineinmontiert wurden. Durch Methoden wie Montage, Collage und Sampling wird das Schreiben für den jungen Theaterautor auch immer zu einer Form von Handwerk. ghostdance, eine Performance, die gemeinsam mit Andreas Spechtl entstand und am heurigen ImpulsTanz-Festival gezeigt wird, bedient sich dieser Methodik auf ganz spezielle Weise. Die Soundinstallation lässt sich am einfachsten als Kreis unterschiedlicher Soundquellen vorstellen, die verschiedene Sound- und Sprachsamples abgeben. Die Materialsammlung ist jedoch nicht immer die gleiche, sondern wird von Performance zu Performance verändert. »ghostdance ist eigentlich das Projekt, an dem ich momentan am liebsten arbeite. Eigentlich wollte ich Andreas schon bei Klagt Kinder, klagt als Musiker haben, damals ging es sich aber leider nicht aus. Der Kontakt blieb aber bestehen und wir begannen uns, vor allem zum Thema Hauntology, intensiv auszutauschen. Außerdem arbeitet Andreas auf sehr ähnliche Weise mit Found Footage wie ich.« Die Gespenster der Vergangenheit aus Thomas Köcks Stücken und Performances müssen jedoch nicht immer aus der Vergangenheit stammen, sondern können auch aus der Zukunft sein. In der Wendung »es wird gewesen sein«, die in seinen Stücken immer wieder in unterschiedlichen Formen vorkommt, verkapselt sich dieser Gedanke. Damit wird es möglich, sich selbst immer aus der Zukunft heraus zu betrachten – als ginge es dabei um jemanden, der schon tot ist. So möchte Thomas Köck dem Terror der ständigen Gegenwart und andauernden Verfügbarkeit entkommen und einen neuen Zeitbegriff einführen, der auch für ghostdance zentral ist. Ob man den heurigen Preisträger des Mülheimer Dramatikerpreises dann überhaupt als einen der spannendsten TheaterautorInnen der Gegenwart bezeichnen kann? Wir tun es ganz einfach.

Am 13. und 16. Juli kann man sich ghostdance im Rahmen des ImpulsTanz Festivals anschauen. 

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