Farewell Dear Ghost touren knapp zehn Tage lang in Asien und lassen uns im zweiten Teil des Tourtagebuchs an ihren Erlebnissen von übermotivierten Tourmanagern, live geschächteten Lamas und großartigen Auftritten im „Hollabrunn von China“ oder im „chinesischen Chelsea“ teilhaben.
Liebe LeserInnen, geneigte Fans,
ich werde mich in den folgenden Zeilen selbst ermahnend davor hüten, Ihnen jegliches uninteressantes Zeugs hinsichtlich demographischer oder klimatischer Unterschiede zwischen der Volksrepublik China und Südkorea um die Ohren zu knallen, es werden maximal kleine Ausflüge, deren bedeutungsschwangere Folgen Ihnen als mit überdurchschnittlicher Kombinationsfähigkeit ausgestattete Leserschaft nicht mal das Klitzekleinste aller Problemchen bereiten werden.
Justamente nachdem die Farewell-Dear-Ghost-Reisegang ihren Fußabdruck von Koreas Perle Seoul in die chinesische Monsterstadt Shanghai setzte, wurden tendenziell wachsende Modifikationen in Punkto Komfort und Planung bemerkt: Am Flughafen Shanghai wird die müde Truppe von einem auf den wohlklingenden Namen Gu hörenden eigens installierten Tourmanager – die genaue Bedeutung des Wortes »Tourmanager« wird noch detaillierter erläutert – begrüßt. In Gus Schlepptau trippelt ein Fahrer vom linken auf das rechte Bein, freut sich offensichtlich einen Haxen aus. Vielleicht interpretiere ich die chinesische Freundlichkeit einfach nur falsch, doch die Mär vom Kaiser von China bekommt, wenn du dann so in deinem Tourbus mit einem Tourmanager, einer Tour-Filmcrew und den Tour-Kaffee säufst, eine grundsätzlich andere Bedeutung.
Jedenfalls, was soll ich sagen: ohne Gu wären wir mit 150 Sachen ungebremst auf die Nase gefallen. Ein 22-jähriger Chinese sollte in den folgenden Tagen der Wind unter meinen gestutzten Segeln werden, der Gärtner, der seine Pflänzchen behutsam gießt und vor Regen schützt, der Bibliothekar, der die nie geöffneten Brockhaus-Bände mit einem bestickten Swiffer-Staubtuch liebevoll vom sich über Jahre angesammelten Staub befreit. Seien es Probleme mit der lebensnotwendigen WLAN-Verbindung, nicht mehr ausreichend nachgefüllte Mojitos oder auch einfach nur die Organisation einer hüfthohen Box, damit ich im Restaurant zur Aftershow-Zaumsitzaray zum Killers-Überhit „The Man“ ein flottes Söhlchen auf die chinesischen Mauern knallen kann – Gu organisierte quasi alles im Handumdrehen, mit einem Lächeln auf den Lippen, Frieden im Herzen und Axl Rose im Ohr.
Erlauben und verzeihen Sie mir, liebe/r LeserIn, bitte meine pauschalisierten Auswürfe, doch die ChinesInnen sind halt tatsächlich ein amüsant anmutendes Völkchen. Unheimlich diszipliniert und ordentlich süchtig nach Digitalität, werden wir auf der Straße von Shanghai – möglicherweise aufgrund des Filmteams, das uns in deren unendlichen Großmut auf der Suche nach dem perfekten Shot (so sagt man das in der Filmsprache) auf Schritt und Tritt verfolgt – nach Selfies und Fotos, Handschütteleien gefragt. Das ist insofern interessant, als dass manche ChinesInnen gar felsenfest behaupteten, sie seien große Fans von uns. Auf der Nanjing Road, der sprichwörtlich fettesten Straße Shanghais. Aber natüüüürlich seid ihr große Fans von uns, bemerken wir mit Augenzwinkern und schallendem Gelächter. Augenscheinlich genügt halbwegs mit Sternenschein umgebenes Verhalten und schon hast du Fans in China. Ein nettes Verständnis von Superstardom. Sie bemerken, ich hab’ keine Ahnung, wie es weitergeht – aber zumindest so.
Ich kenne Ihre Gedanken, liebe/r LeserIn. Meine Ausführungen über die Konzertreise drehten sich bislang um Karaoke und Schärfe (Seoul), oder über das Filmteam und den Tourmanager. Spitzfindigen LeserInnen ist das Fehlen einer Essenz im Rock-Business vermutlich aufgefallen. Aber keine Sorge, wir sind schon hier, um Konzerte zu spielen. Zwei davon bis dato übrigens absolut großartig. Sie wissen bestimmt, ich nehme es mit der Bescheidenheit wie mit den Goldfischen im morgendlichen Cappuccino – je weniger, desto besser. Fürwahr, das Konzert im ausverkauften shanghai’schen YuYinTang – lassen Sie es mich das „chinesische Chelsea“ nennen – glich nicht weniger als einem einzigen Rausch, zwischen federweichen Luftmatratzen und einer gigantischen Ladung Mooncakes. Selbst der Abstecher ins nah gelegene Ningbo, mit acht Millionen Einwohner quasi das Hollabrunn Chinas, geriet zu einem denkwürdigen Ausflug, wenngleich uns die Absurdität eines frei laufenden Lammes und der darauffolgenden fragwürdigen Schächtung und Häutung mitten auf den bebenden Straßen Ningbos dann doch ein bisserl die Show stahl.
Liebe/r LeserIn, ich bin sehr stolz auf Sie. Sie haben sich hiermit erfolgreich durch den zweiten Eintrag des Tour-Tagebuchs geackert – eine Leistung, die nicht mal mit geglückter Steuerhinterziehung oder einer großzügiger Parteienfinanzierung vergleichbar ist. Bleiben Sie dran, wir lesen uns nach Peking wieder. Übrigens: Ich soll Sie von Mao schön grüßen lassen.
Den ersten Teil des Tagebuchs gibt’s hier, das Tagebuch der letztes Asien-Tour hier. »Neon Nature«, das neue Album von Farewell Dear Ghost, erscheint am 13. Oktober bei Ink Music.