Zwischen kollektiver Gewalterfahrung und »Queer Joy« – Trans* Erfahrungen in Comics und Graphic Novels

Zwei unterschiedliche Generationen, zwei unterschiedliche Herangehensweisen an Comics, zwei unterschiedliche Erfahrungen, trans* zu sein: Auf dem Papier könnten Steven Appleby und Ari Ban kaum unterschiedlicher sein. Wir haben uns mit den beiden darüber unterhalten, für wen sie Comics machen, wie ihre trans* Erfahrungen ihre Arbeit beeinflussen und warum es mehr »Queer Joy« braucht.

© Ari Ban

»Generation« ist ein merkwürdiges Konzept. Menschen unterschiedlichster Herkunft, Sozialisation und Erfahrungen sollen nur aufgrund ihres Geburtsjahres in einen Topf geworfen werden. Andererseits scheint unbestreitbar, dass Steven Appleby und Ari Ban unterschiedlichen Generationen angehören. Die beiden trennen nicht nur vier Jahrzehnte an Lebenszeit, sondern vier Jahrzehnte an gesellschaftlichen Entwicklungen, Jahrzehnte in denen trans* Identitäten in das Bewusstsein des Mainstreams gerückt sind. Die unterschiedliche Zeit, in der sie aufgewachsen und ihre Geschlechts­identität gefunden haben, prägt sowohl ihre Arbeit als auch sie selbst.

Steven Appleby lebt und arbeitet in Großbritannien. Seit Anfang der 80er-Jahre zeichnet und schreibt er Cartoons, Zeitungscomics, Bücher, sogar eine Zeichentrickserie. »Ambitious and Engaging«, dieses Motto prangt groß über seinem Arbeitsplatz. Sein neuestes Buch »Dragman« ist soeben in der deutschen Übersetzung erschienen und wird diesem Motto vollends gerecht. Über die Jahre hat Steven für Zeitungen wie die Zeit, die FAZ, den Observer, den Guardian oder die Times gezeichnet. Er hat sich dabei ein Publikum erarbeitet, das ihn als Steven Appleby kennt, auch, wenn sich der Umgang mit seiner Identität über die Jahre geändert hat: »Als ich anfing, Frauenkleider zu tragen, wurde das von der Gesellschaft immer noch als sexuelle Perversion oder als Fetisch gesehen. Mein Hauptproblem war also, dass ich mich schuldig, besorgt, verstohlen und ängstlich gefühlt habe. Es hat Jahre gebraucht, bis ich damit Spaß haben konnte, bis ich glücklich war und es für mich eine Bereicherung war. Offen trans* zu sein, ist vergleichs­weise neu. Vor 20 Jahren habe ich angefangen, es Familie und Freunden zu erzählen, erst seit zwölf Jahren lebe ich offen so.«

»Dragman« von Steven Appleby ist teils Coming-out-Story, teils Superheld*innen-Comic © Steven Appleby

Steven ist trans*-feminin, sieht das mit Pronomen, wie er selbst sagt, aber nicht so eng. Aufgrund seiner langen Karriere benutzt er professionell nach wie vor den männlichen Namen, unter dem er bekannt wurde, und männliche Pronomen: »Mein professioneller Name ist Steven Appleby. Wenn ich Steven genannt werde, bevorzuge ich er / ihm-Pronomen. Der andere Name, den ich benutze, ist Nancy, aber den nutze ich nicht professionell. Ich sehe mich eher als trans* Person, denn als Frau. Irgendwo in der Mitte zwischen Mann und Frau. So zu sein, wie ich mich wohlfühle, das ist meine Version von trans*.«

Auch für Ari Ban ist das »trans*« wichtiger Bestandteil seiner Identität. Er identifiziert sich als trans*-maskulin, benutzt ausschließlich männliche Pronomen, besteht aber auf den Zusatz trans*: »Womit ich schon eine Schwierigkeit habe ist, wenn Leute einfach nur hinschreiben ich bin ein Mann. Wenn ich dann sehe, wie Cis-Männer als Gruppe funktionieren, bin ich sehr froh, dass ich nicht Teil davon bin.«

Ari steht im Vergleich zu Steven noch eher am Anfang seiner Arbeit. Er illustriert für Magazine, veröffentlicht Zeichnungen auf seinem Instagram-Account @ari__ban, besucht die Akademie der bildenden Künste Wien und arbeitet daneben an seinen ersten Graphic Novels. Ari versteht sich selbst als Teil einer expressiven, diskursiven queeren Kunstszene. Sein Publikum sind dezidiert andere queere / trans* Menschen: »Mich persönlich interessiert es nicht so sehr, Figuren für einen heterosexuellen, Cis-Mainstream zu machen. Meine Geschichten müssen nicht immer für alle verständlich sein. Ich will nicht immer einer nicht-queeren Welt erklären, wie die queere Welt funktioniert. In meinen Comic­sachen geht es mir sehr viel darum, Beziehungen herzustellen. Das ist auch die Schönheit an queeren Bubbles, dass man ganz viel neue Familien­kontexte herstellt.«

Aber auch Steven geht es in seiner Arbeit immer um Verbindungen zu anderen Menschen. Sein Publikum ist allerdings allein aufgrund seiner jahrzehntelangen Zeitungsarbeit wesentlich breiter. Verbindungen sucht er demnach auch mit einer breiteren Öffentlichkeit: »Geheim trans* zu sein, hat meine Arbeit sicherlich beeinflusst. Viele meiner Charaktere waren nicht, was sie zu sein schienen, und ich habe jede Menge trans* Metaphern in meiner Arbeit versteckt. Aber ich bin es gewohnt, Comics für alle zu machen, für den Mainstream. Ich liebe es, Verbindungen zu Menschen zu bauen. In meiner Arbeit versuche ich, Verbindungen mit einer breiten Schicht an Menschen aufzubauen.«

Sensibilität durch Erfahrung

Dennoch ist die Erfahrung die Steven in »Dragman« schildert höchst spezifisch und sehr spezifisch trans*. Trotz all der surrealen Elemente, dem Superheld*innen-Motiv und dem Thrillerplot, ist die Basis der Geschichte ein Coming-out-Narrativ. Er stützt sich dabei sehr stark auf seine eigenen Erfahrungen: »In ›Dragman‹ habe ich alles von meiner Perspektive aus gemacht. Der Hauptcharakter bin nicht ich, aber ich habe viel von meiner eigenen Erfahrung für ihn verwendet. Die meisten die Dinge, die ihm passieren, habe ich selbst erlebt. Ich fühlte mich auf sicherem Grund, wenn ich meine eigene Erfahrung verwende.«

Seit einigen Jahren herrscht eine – oft scharf geführte – Debatte darüber, wer die Erfahrung marginalisierter Menschen darstellen darf. Bücher, Filme oder Comics über marginalisierte Erfahrungen von Personen aus derselben marginalisierten Gruppe, werden dort als »own voice« bezeichnet. »Dragman« wäre also in diesem Sinn »own voice«. Steven und Ari sind sich jedoch einig, dass Cis-Personen Geschichten von trans* Personen prinzipiell schon erzählen können, wenn sie die nötige Arbeit hineinstecken. Dennoch sieht zumindest Ari schon einen Unterschied im Zugang von queeren und trans* Menschen, wenn sie über ihre eigenen Erfahrungen sprechen: »Queere Personen haben eine andere Sensibilität für die Komplexität, mit diesen Identitäten zu leben, für die Spannungsverhältnisse, die man als queere Person im Alltag immer irgendwo hat. Dieses Bewusstsein von einer kollektiven Gewalterfahrung. Dafür fehlt mir dann oft die Sensibilität bei Cis-Personen oder nicht-queeren Personen.«

Ari Ban zeichnet für ein queeres Publikum und nicht für einen Cis-Mainstream. © Ari Ban

Trotzdem scheint für Steven seine eigene Identität als trans* Person weniger von einer Gewalterfahrung als mehr von Freude bestimmt zu sein, auch wenn er beides kennt: »Ich nehme keine Hormone und in diesem Sinn hatte ich keine Transition. Mein Körper sieht nicht immer aus, wie ich möchte, aber ich bin absolut froh, die Person zu sein, die ich bin. Ich verstehe Dysphorie und ich kenne trans* Personen, die nicht mal in den Spiegel schauen können. Ich selbst fühle mich glücklich, so leben zu können, wie ich möchte. Ich habe viel Spaß dabei und ich finde es surreal. Vielleicht ist das Euphorie?«

Von Dysphorie zu Queer Joy

Für Ari herrscht hier vor allem ein Mangel in der Darstellung. Trans* zu sein, wird immer als traumatische Erfahrung dargestellt – durch Demütigungen, durch Mord, durch Isolation. Deswegen fordert Ari andere Darstellungs­formen ein: »Mir fehlt die Darstellung von ›Queer Joy‹. Also das Leben damit und das Glücklichsein damit. Ich glaube, dass eine Cis-Welt sehen will, wie wir darunter leiden, dass wir nicht zu ihr gehören. Aber ich bin auch echt sehr froh darüber, nicht dazuzugehören, aus ganz vielen unterschiedlichen Gründen. Queer Joy ist immer auch eine Rebellion gegen die Vorstellung, was Unterdrückung mit uns macht.«

So etwas wie Queer Joy offen darzustellen, war für die Generation, in der Steven Appleby aufgewachsen ist, undenkbar. Ari Ban kann es einfordern, weil sich die Gesellschaft seither verändert hat. Gewalt­erfahrungen sind immer noch Teil einer queeren und insbesondere einer trans* Lebens­realität. Doch sind die Räume, die queeren Bubbles, näher und leichter zugänglich als je zuvor. Die Comics, die Steven und Ari machen, sind Zeichen dieser gesellschaftlichen Veränderung. Sie sind Ausdruck von Queer Joy, von Trans* Joy. Ganz egal, ob sich dieser Ausdruck an einen breiten Mainstream oder eine queere Bubble richtet.

Die Comics von Ari Ban finden sich derzeit vorwiegend auf seinem Instagram-Account @ari__ban. »Dragman« von Steven Appleby ist soeben in der deutschen Übersetzung im Schaltzeit Verlag erschienen.

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