»Plötzlich war jeder Sound möglich!« – Trevor Horn blickt zurück und veröffentlicht »Echoes – Ancient & Modern«

Im Interview mit The Gap spricht der Produzent Trevor Horn über sein neues Album, die ungeahnten Möglichkeiten durch Sampler in den 80er-Jahren und Frankie Goes to Hollywood.

© Spitfire Audio

Mit Superlativen wird in der Entertainment-Branche bekanntlich nicht gespart – Filmstars, Rockstars, Regiewunder usw. Ohne jeden Zweifel hat sich auch Trevor Horn Superlative verdient. Er ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Musikproduzenten und wird auch gerne als »the man who invented the eighties« bezeichnet. Das ist schmeichlerisch, aber kaum übertrieben.

Horn ist dafür bekannt, aus einem Song, aus einem Sänger bzw. einer Sängerin das absolute Maximum herausholen zu können. Das ist toll, bedeutet aber auch: stundenlange Studiosessions, unzählige Takes für einzelne Songpassagen und nächtelanges Arbeiten an den Details eines einzigen Songs, um diesen zu perfektionieren.

Kurz nachdem Horn mit seiner Band The Buggles und der Single »Video Killed the Radio Star« einen Überraschungserfolg eingefahren hatte, vollzog er einen Seitenwechsel und konzentrierte sich ausschließlich auf das Produzieren. Damit wurde er zu einem wahren Hitgaranten: ABC, Grace Jones, Yes, Lisa Stansfield, die Pet Shop Boys und auch Seal zählten zu seinen Schützlingen. Ganz nebenbei brachte er einen neuen Trend auf: das Remixen. Von »Relax«, der ersten Single von Frankie Goes to Hollywood, eine der am stärksten gehypten und zugleich umstrittensten Bands Mitte der 80er, kreierte Horn einen 15-Minuten-Remix namens »Sex Mix« mit einer Extraportion Effekte. Horn erinnert sich: »Noch bevor wir mit ›Two Tribes‹ die nächste Single rausbrachten, gab es vier oder fünf Versionen von ›Relax‹ – und alle verkauften sich toll. Das fanden die Plattenlabels ganz wunderbar.« So kam es, dass »Two Tribes« gleich bei seiner Erstveröffentlichung – zuvor vollkommen undenkbar – in zwei unterschiedlichen Versionen erhältlich war.

Technologieschub

Die frühen Erfolge von Trevor Horns Produktionen sind vor allem zwei Dingen zu verdanken: einerseits seinem unermüdlichen Perfektionismus und andererseits dem teilweise experimentellen Einsatz von neuem, anfangs noch analogem Studio-Equipment. Horn erkannte als einer der ersten, welches Potenzial die schöne neue Technik hatte: »Für meinen Erfolg in den 80er-Jahren waren die neuen Technologien und Geräte wie Synthesizer, Sequencer und Sampler extrem wichtig. Sie waren die Basis für bis dahin unvorstellbare Klänge. Plötzlich war jeder beliebige Sound möglich!«

Bestes Beispiel dafür ist Art of Noise, eine Art Hausband von Trevor Horns Label ZTT Records. Auf »Close (to the Edit)« wurden Kettensägengeräusche gesampelt und spielerisch in eine Melodie gegossen. Die Offenheit für neuartiges Studio-Equipment behielt sich Trevor Horn über die Jahre bei.

Zum heißen Technologiethema des Jahres – Artificial Intelligence – meint Horn: »Natürlich ist AI eine nützliche Technologie. Du kannst sie einsetzen, um die Balance in einem Song zu ändern. Aber du kannst nicht aus irgendeiner Stimme einen Paul McCartney machen. Du brauchst eine Stimme wie jene Paul McCartneys und du brauchst die Aussprache von Paul McCartney, damit es wirklich nach McCartney klingt.«

Differenzierter Rückblick

Mittlerweile ist der finanziell bestens etablierte Trevor Horn primär mit dem Verwalten seiner Erfolge beschäftigt: 2019 erschien ein Album mit dem Titel »Trevor Horn Reimagines the Eighties«, mit dem er seine eigenen Produktionen orchestral zu neuem Leben erwecken wollte. Das Album schaffte es zwar in die UK-Charts, wurde aber von einigen Musikkritiker*innen arg verrissen. Im Vorjahr erschien Horns Autobiografie »Adventures in Modern Recording: From ABC to ZTT«, die, mit vielen Details versehen, einen anekdotenreichen Rückblick gewährt – inklusive der Darstellung von Dingen, die da und dort falsch gelaufen sind.

Dieser Tage, rund 40 Jahre nach seinen ersten Charts-Erfolgen als Produzent, veröffentlicht Horn ein neues Studioalbum, auf dem Songs von ausgewählten Künstler*innen neu interpretiert werden. Auf die Frage, warum er nun wieder einen Longplayer produziert hat, gibt es von ihm eine klare Ansage: »Ich liebe es immer noch, Alben aufzunehmen, denn ich glaube an gute Songs und arbeite gerne daran. Allerdings ist es immer ein Problem, wirklich gute Lieder zu finden. Ich hätte für das Album keine zehn Songs gefunden, die erst kürzlich geschrieben wurden.« Überraschend ist Trevor Horns Antwort auf die Frage, was er, rückblickend betrachtet, mit der heutigen Erfahrungen, anders gemacht hätte: »Es gäbe einige Leute, die ich nicht produziert hätte – wie zum Beispiel Frankie Goes to Hollywood.«

Mit den elf Songs des neuen Albums deckt Horn den Zeitraum der 80er- und 90er-Jahre ab. Teilweise stammen diese von Bands, die er selbst produziert hat, aber auch andere, prägende Songs aus dieser Zeit sind mit von der Partie. Die ursprüngliche Idee sei es gewesen, ein akustisches, komplett abgespecktes Album zu machen. Das habe Horn aber bald wieder verworfen, weil ihm das Ergebnis nicht knackig genug gewesen sei. Trotzdem ist »Echoes – Ancient & Modern« ein ruhiges und wohldurchdachtes Album, das von der Reduktion auf das Wesentliche lebt: Vocals und akzentuierte Arrangements, ohne Kitsch.

Passende Stimmlagen

Begonnen habe er mit einer Liste infrage kommender Songs, so Horn: »Wir probierten eine ganze Reihe von Songs im Studio aus. Einige passten, andere nicht. Nach diesem Auswahlprozess machten wir uns auf die Suche nach passenden Sänger*innen. Dabei mussten wir auf deren Stimmlage achten und darauf, ob sie zu den entsprechenden Songs passen würden.«

Mithilfe der handverlesenen Vocals – von Tori Amos über Rick Astley bis Marc Almond – haucht Horn den bekannten Songs frisches, oft unerwartetes Leben ein. Lady Blackbird etwa bringt mit ihrer fantastischen Stimme einen absolut neuen Downtempo-Drive in »Slave to the Rhythm« hinein und überrascht damit vollends. Ähnliches gilt für »Relax«: langsam, aber betörend. Seal lässt Joe Jacksons »Steppin’ Out« in neuem Glanz erstrahlen. Einzige stilistische Ausnahme ist »Personal Jesus«, rockig interpretiert von Iggy Pop.

»Echoes – Ancient & Modern« ist ruhig, aber eindringlich. Es lässt Erinnerungen aufkommen, aber auch neue Seiten entdecken. Am Ende des Interviews deutet Trevor Horn noch an, dass – nicht ganz überraschend – schon an einem Remix von »Owner of a Lonely Heart« gearbeitet werde.

Trevor Horn »Echoes – Ancient & Modern«

»Echoes – Ancient & Modern« ist heute, also am 1. Dezember 2023, bei Deutsche Grammophon erschienen. Zu Trevor Horns Video-Channel geht es hier entlang.

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