Ein Electro-Pop-Duo aus Manchester, das auf den prägnanten Namen Hurts getauft wurde, setzt mit einer wohltemperierten Melange aus 80er Sounds, großen Melodien und Helmut Newton zum großen Wurf an.
„Wir wollen eigene Vorstellungen und Gedanken zulassen. Wir wollen inspirieren.“
„If you love and get hurt, love more. If you love more and hurt more, love even more. If you love even more and get hurt even more, love some more until it hurts no more…”, schrieb William Shakespeare.
Theo Hutchcraft (Gesang) und Adam Anderson (Elektronik, Klavier, Gitarre) sind Hurts, ein 21st-Century-Destillat der Zeilen ihres großen Nationaldichters mit dem sie gerade im Begriff sind, mit großen Melodien und musikalischen 80er-Jahre-Zitaten größtmögliche Wellen zu schlagen. Die beiden Protagonisten sind keine Unbekannten mehr, auch wenn frühere Projekte bewusst verwischt werden und sie mit Informationen zu den beteiligten Personen hinter Hurts geizen. Ihr Wikipedia-Eintrag ist gerade einmal ein paar Zeilen lang, ihre Web-Adresse informationhurts.com darf wörtlich genommen worden. Das ist kein Zufall, sondern konsequent. Und Mysterien fördernd.
Begibt man sich dennoch auf Spurensuche, stößt man auf eine Band namens Daggers. Diese wurde im September 2007 vom /Guardian/ als „New Band of the Day“ vorgestellt, als „messed-up take on early 80s electro-pop“, der mit Konfusion und manischen Human-League-Keyboards durchaus zu glänzen vermochte. Am nächsten Tag wurde „One Republic“ vorgestellt.
Auf Party folgt Wandel
Anfang 2009 bedeutete das Ende von Daggers und den Beginn von Hurts. Es war Zeit für Veränderung. „Wir wollten ausdrücken, was wir wirklich fühlen. Daggers war eine Partyband, aber das ist es nicht, was das Leben ausmacht. Es gibt diese amerikanische Version von „shiny-happy people-music“, während am anderen Ende totale Dunkelheit und Pessimismus regieren. Wir wollten beide Seiten in unserer Musik haben. Schwarz und Weiß. Das war die Lücke unserer musikalischen Welt, die wir für uns gefunden haben und die es zu füllen gilt“, spricht Hutchcraft und wirkt ebenso charmant wie selbstbewusst, ein sprachlich versierter Gentleman par excellence, der vor großen Brüchen nicht zurückschreckt.
„Veränderung ist von großer Wichtigkeit. Menschen ändern sich, Menschen entwickeln sich. Künstler genauso, aber weil die Vision und das Bild, das die Öffentlichkeit sieht, enorm stark sein können, sind sie dazu gezwungen radikaler zu sein. Alle großen Künstler die wir verehren, wie David Bowie oder Prince, hatten stilistische Wendepunkte in ihrer Karriere. Mehrere. Die Öffentlichkeit sehnt sich auch danach, sie wäre sonst gelangweilt.“
Anders wäre der Wechsel seines Outfits vom Wham!-Lookalike zu klassischen Anzügen aus den frühen 80ern und streng gegeelten Scheiteln auch nicht zu erklären. Die visuelle Komponente spielt bei Hurts überhaupt eine tragende Rolle. Die offiziellen Fotos sind im Stil von Helmut Newton-Mädchen abgesoftet, gemacht wurden sie von Hedi Slimane. Die beiden Künstler wirken darauf ernst, fast stoisch, ebenso wie in den drei bisher veröffentlichten Videos.
Das erste musikalische Ausrufezeichen war „Wonderful Life“, Anfang 2010. Das Cover der Vinyl-EP trägt schwarz und darüber den Namen der Band in silbernen Großbuchstaben. Entnimmt man die Platte, blickt man den Künstlern direkt in die Augen: Hutchcraft ist die A-Seite, Anderson die B-Seite.
Vision Hoffnung
Der Song handelt von einem Typ, der im Begriff ist, sein Leben mit einem finalen Sprung von der Brücke zu beenden. Er wird von einer Frau zurückgehalten, mit den Worten “Don’t let go. Never give up, it’s such a wonderful life.“ Er sieht sie an und es ist Liebe auf den ersten Blick. Für Theo sind es die Extreme, die faszinieren. So trist ein Moment auch sein mag, es besteht immer noch Hoffnung, und das muss eindringlich vermittelt werden. Der Clip dazu – Hutchcraft singt, Anderson spielt, eine Ballett-Tänzerin tanzt – ist in striktem schwarz-weiß gehalten, die Ästhetik lässt an Anton Corbijn und Joy Division denken, der Sound an Tears For Fears. Es wird Raum für Konzentration und Interpretation gelassen, Aspekte, die es laut Hutchcraft ausmachen: „Das Wichtigste an großartigen Songs ist die Vision, die im Kopf des Zuhörers entsteht. Wir wollen eigene Vorstellungen und Gedanken zulassen. Wir wollen inspirieren.“ Hutchraft holte sich seine Inspiration für Hurts unter anderem bei Schiele und Klimt, letztes Jahr auch einmal direkt vor Ort, im Wiener Belvedere.
Hurts sind Perfektionisten. Die Herangehensweise an ihre Arbeit ist dabei keine ungewöhnliche, wie Anderson erzählt: „Ich sitze am Klavier oder der Gitarre und arbeite am Sound, während Theo gleich neben mir sitzt und versucht, passende Melodien zu finden. Wir haben das über ein Jahr lang gemacht, weil wir nicht anders können, als bis ins kleinste Detail zu gehen. Uns ist schon bewusst, dass viel davon bei der breiten Masse nicht ankommen wird, aber das ist in Ordnung, dafür gibt es die großen Melodien. Aber es wird immer noch eine Minderheit geben, die genau hinhört und herausfinden will, wie dieser oder jener Sound entsteht. Wir haben es ihnen relativ schwer gemacht.“
Darf es noch ein Stück intensiver sein?
So eingängig wie eindringlich die Songs auf Platte klingen, so stark die visuelle Komponente auch ist: Live, in der direkten Konfrontation zwischen den Künstlern als (vermeintlichen) Heilsbringern und dem Publikum, das in der Popmusik nach Hoffnung und Glücklichsein sucht, und, drehen Hurts noch einmal an der Intensitätsschraube. Das Duo wird auf der Bühne mit einem Keyboarder, einem Schlagzeuger und einem Opern-Tenor zum Quintett erweitert, was den ohnehin bereits eindringlichen Songs noch mehr Kraft und Tiefe verleiht.
Bei „Stay“ etwa ertönt anfangs nur Theos Stimme über einer einsamen Klaviermelodie, ehe sich, wenn Refrain und Schlagzeug einsetzen, ganz langsam der Brustkorb des ansonsten regungslos scheinenden Opernsängers hebt, um einen Augenblick später den gesamten Raum mit seiner Stimme und einem einzigen Wort auszufüllen. „Stay!“. Nicht mehr und nicht weniger. Die Nachricht bleibt simpel.
Hurts haben bis heute kaum mehr als ein Dutzend Konzerte gespielt. Ihr erstes fand in der St. Philip’s Church in Salford statt, das war, nachdem sie in der Sounds of 2010-Liste der BBC auf Platz vier landeten. Die ungewöhnliche Location war kein Zufall: Hurts wollen jede ihrer Shows speziell machen. „Darum geht es im Endeffekt. Die Wahl zwischen zehn guten Konzerten und einem, das mich umwirft und nicht mehr loslässt, fällt mir aus der Perspektive des Musikliebhabers leicht. Und so machen wir es mit Hurts.“
Ende August erscheint das schlicht „Happiness“ betitelte Debütalbum von Hurts. Plakativer geht es kaum. Theo Hutchcraft und Adam Anderson arbeiten in der Zwischenzeit weiter, was sollen sie auch anderes tun. „Wir haben ein Jahr lang von 50 Pfund in der Woche gelebt, dem Arbeitslosengeld. Alles, was wir ansonsten gemacht haben, war unsere Musik. Sie war der Ausweg aus der Realität.“ Hutchcraft lächelt. Jetzt ist sie es auch in der Wirklichkeit.
„Happiness“ von Hurts erscheint am 27. August 2010 via Sony BMG.