Undergroundisierung des Mainstreams

Die Ukrainerin Irena Karpa im Interview über ihre Kollaboration mit Tosca, Sowjetnostalgie und vieles mehr.

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Die ukrainische Musikerin, Autorin und MTV-Moderatorin Irena Karpa weilte für ein paar Tage in Wien um an ein paar Tracks in Zusammenarbeit mit Tosca zu arbeiten. Lisa Stadler sprach mit Karpa (Faktychno Sami, Qarpa) unter anderem über ukrainischen Pop, die Moralkommission und wie es ist, am Cover des Playboy zu sein.

Du arbeitest gemeinsam mit Tosca an neuen Songs, kannst du schon ein paar Details verraten?

Es ist alles gerade im Entstehen, wir hatten gerade das erste Meeting tête-à-tête. Wir haben vor allem sehr viel Material und Rupert (Rupert Huber von Tosca, Anm. d. Red.) wird jetzt wahrscheinlich als Co-Produzent für uns arbeiten. Zuerst wollen wir nur ein Remix Projekt machen, aber nun wollen wir ihn in den Producing-Prozess mit einbinden. Das Album ist jetzt zur Hälfte fertig und wir sind gespannt auf seine Inputs, Rupert wird wahrscheinlich auch Keyboard spielen. Er mochte insbesondere einen Track von uns, der einen italienischen Text hat, wir haben dann aber beschlossen, dass der Song besser auf Ukrainisch rüberkommt. Es ist jedenfalls sehr interessant mit professionellen Künstlern zu arbeiten, die guten Geschmack haben, speziell weil man unterschiedliche Ansichten hat, zum Beispiel was sie Songauswahl betrifft.

Welche Aufgaben übernimmst du bei der Produktion?

Ich singe und schreibe die Songs, aber ich produziere nicht. Die anderen Bandmitglieder kümmern sich um die Arrangements, also prinzipiell machen wir alles DIY.

Wie habt ihr eigentlich Tosca kennengelernt?

Über Markus Huber (Bruder des Tosca-Mitglieds Rupert Huber, Anm. d. Red.). Ich kannte Tosca aber schon vor dieser Connection, es war eines der ersten zeitgenössischen Musikprojekte aus Österreich, die ich kennenlernte – ausgenommen von Falco in meiner Kindheit natürlich. (lacht)

Du arbeitest nicht nur als Musikerin, sondern bist auch Schriftstellerin und TV-Moderatorin, hast du ein Lieblingsgenre?

Eigentlich nicht, für mich war das alles immer selbstverständlich. Das Schreiben begann bei mir lustigerweise mit dem Zeitpunkt als ich Schreiben lernte. In der Grundschule habe ich schon Geschichten für meine Mitschüler geschrieben, später für meine Teenie-Freunde. Mittlerweile habe ich sechs Bücher auf Ukrainisch veröffentlicht und es gibt einige Übersetzungen in andere Sprachen. Ich versuche immer etwas Neues auszuprobieren, das habe ich schon als kleines Kind gelernt, denn da konnte niemand sonst gut schreiben – an meiner Schule zumindest. Was die Musik angeht war es nicht so einfach, ich war nämlich ein hässliches Kind, dick und meine Haare waren nicht lang und lockig, also durfte ich nie Solos singen. Da habe ich bemerkt, dass es besser ist, anders zu sein, nicht dem Standard und dem Schönheitsideal zu entsprechen. Mit 15 habe ich dann meinen ersten Song geschrieben, das war total cheesiger Pop mit Hip Hop Elementen, das würde ich natürlich heute niemandem zeigen. Pop ist nicht so mein Ding, da steckt zu viel Geld drin, da muss man ein anderer Mensch sein, ohne Hirn. Deswegen habe ich mit ziemlich experimenteller Elektronik angefangen, dann haben wir ein paar Instrumente hinzugefügt und so ändert sich der Stil von Album zu Album. Wir bleiben nie gleich und das ist gut so.

Du wirst zwar in der Ukraine als alternativer Artist eingestuft und distanzierst dich von Pop, gleichzeitig sieht man dich aber als Musikerin und Moderatorin auf MTV und du hast dich sogar für Magazine wie FHM in freizügigen Posen ablichten lassen. Wo ist für dich die Grenze zwischen Alternative und Mainstream und stellt die Positionierung ein Problem für dich dar?

Nein, das ist eigentlich kein Problem, da habe ich ja noch viel Schlimmeres hinter mir, ich war auch schon am Cover des „Playboy“. Ich habe aber dem Fotoshooting zugestimmt, weil es erstens provokativ ist und ich wenn ich alt bin meinen Enkeln etwas zeigen kann, worauf sie stolz sein können. Hätte ein schlechter Fotograf den Auftrag bekommen, hätte ich nicht zugesagt, aber da war eine talentierte Stylistin und ich kannte den Fotografen ganz gut, also wusste ich, dass auch die Fotos gut werden. Wenn etwas in eine arty Richtung geht, bin ich dabei. Tja, und MTV ist nicht das schlechteste in meinem Leben, ich war zum Beispiel schon Moderatorin in einer politischen Talk-Show, das war wirklich übel und so etwas werde ich nie wieder machen.

Wenn wir schon von Politik reden … Wie hast du die Orange Revolution und deren Nachwirkungen erlebt? Aktuell stehen bei euch ja auch die Präsidentschaftswahlen an, wen hättest du gerne als Präsident?

Keinen der beiden, da gehe ich lieber in Wien ins Museum als dort meine Zeit zu vergeuden. Ich würde nie einen dieser Kandidaten unterstützen. Bei der Orangen Revolution war ich aber sehr wohl aktiv dabei und das werde ich nie bereuen, denn damals war das etwas sehr einzigartiges. Es war anders, weil damals das Volk noch mehr betrogen wurde, da haben die Ukrainer anscheinend viel Pech, seit dem Kiever Rus betrügen uns die Machthaber immer. Bei diesen Wahlen gab es aber keine großen Skandale und das ist schon mal etwas. Da bin ich große Optimistin, ich denke das geht in die richtige Richtung. Wir haben aber immer noch keine guten Führungskräfte.

Wie sieht es mit der ukrainischen Jugend aus? Bemerkst du hier Veränderungen?

Ja, es gibt wirklich viele junge Menschen, die den Mief der Sowjetunion loswerden wollen, auch ich möchte zu dieser Befreiung beitragen. Meine message ist: „Mach, was du willst, du kannst frei sein.“ Als ich mit der Uni fertig wurde, habe ich mich nicht zum Bürosklaven machen lassen und für die Karriere geschuftet, damit ich ein fettes Auto fahren kann, sondern ich bin nach Indonesien gegangen, praktisch ohne Geld herumgereist und habe Erfahrungen gesammelt. Ähnlich sind meine Leser und Hörer sehr offen für alles, sie sprechen Englisch, lesen viel, sehen gute Filme und verherrlichen die Sowjetunion nicht. Diese Jugendlichen sind ganz gleich wie viele aus New York, Berlin oder anderswoher und entsprechen nicht dem Klischee der goldbehangenen Russen. Der Großteil lebt aber leider immer noch in sowjetischen Zeiten, ich weiß auch nicht, warum viele meines Alters sagen „Oh, es war alles besser damals“, ich antworte dann immer „Aha, wie willst du das wissen, du warst damals im Kindergarten, ok, da gab es gratis Grütze … aber das war’s auch schon.“ Aber Schritt für Schritt wird es besser.

Seit kurzem gibt es bei uns eine zensurierende Moralkommission, die ganze CDs, Bücher und Filme verbieten will. Das ist verrückt. Wenn etwa „unmoralische“ Elemente in Büchern vorkommen, sagt die Kommission, dass diese nur mehr in schwarzen Plastiksäcken verkauft werden dürfen und im Regal hoch genug platziert sein müssen, damit Kinder und Jugendliche nicht rankommen. Bis jetzt handelt es sich nur um Empfehlungen, mich betraf das aus irgendeinem Grund bis jetzt nicht, aber ein paar Autoren mussten ihre Bücher schon einstampfen lassen. Wir versuchen nun dagegen zu kämpfen, das ist ja schließlich gegen die Verfassung. Für Künstler ist das wirklich eine schreckliche Situation.

Man fängt dann ja auch an, sich selbst zu zensurieren.

Ja, natürlich. Die Qualität der Kunst leidet immens, und diese Idioten haben einen lustigen Job: Sie können den ganzen Tag Pornos ansehen und bekommen dafür bezahlt. Sie haben auch Einfluss auf andere, weil sie ja schließlich zum Moralkomitee gehören.

Von dir gibt es Songs auf Ukrainisch und Russisch, werden manche übersetzt?

Grundsätzlich singe ich nur auf Ukrainisch, die russischen Songs sind Teil eines einmaligen Projekts mit einem russischen Artist, wofür ich meine Songs übersetzt habe. Ehrlich gesagt bin ich nicht so sehr am russischen Markt interessiert, da gibt es zwar interessa

nte Leute, eines meiner Bücher wurde auch ins Russische übersetzt, ich konzentriere mich aber auf den Westen. Ich bin ja auch aus der Westukraine, die Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war, mein Vater wuchs in einem Haus eines österreichischen Architekten auf, das ist mir also viel näher. In der Westukraine haben wir auch eine ganz andere Mentalität als die im Osten.

Singst du für Tosca auch auf Ukrainisch, oder nur auf Englisch?

Die Tracks für Tosca sind auf Englisch, mit Ausnahme eines Songs, den sich Rupert auf Ukrainisch wünschte. Er meinte, ich würde sicherer und offener auf Ukrainisch klingen. Das ist aber von Song zu Song verschieden.

Welche Künstler haben dich in deiner Arbeit beeinflusst?

Meine Lieblingsautoren sind Hemingway und Bukowski, was die Musik angeht, mag ich Sonic Youth, Rage Against The Machine, Portishead, Massive Attack, Muse, Radiohead, das sind alles Sachen, die ich viel höre, aber mit der Band versuchen wir nie, wie diese Gruppen zu klingen.

Was hältst du von Serhij Zhadan, er ist bei uns gerade recht bekannt?

Oh ja, er ist ein genialer Poet, er ist wirklich mein absoluter zeitgenössischer Lieblingslyriker. Ich weiß ja nicht, wie seine Texte in den Übersetzungen rüberkommen, aber er ist genial. Taras Prochasko ist auch ein Autor, der mir sehr am Herzen liegt.

Siehst du Unterschiede im Musikbusiness in der Ukraine und in Österreich?

Ja, ich kann natürlich eher über die Ukraine sprechen, aber dort bietet sich dem Außenstehenden ein trauriges und lächerliches Bild. Wir haben ein Phänomen, das wir „singing panties“ nennen, Girl Groups, die von Sugar Daddies finanziert werden, bei denen es nur um ass und tits geht, man kann die Mädels nicht einmal von einander unterscheiden. Die sind die ganze Zeit im TV, weil dafür bezahlt wird. Da geht es noch gar nicht mal um die Musik, sondern nur um die Industrie. Aber wir haben auch interessante elektronische Acts wie Tomato Jaws, die sind authentisch.

Fotos: Gersin Livia Paya

Hier noch ein paar Einblicke ins Werk Irena Karpas:

Video 1

Video 2

Video 3

Leseprobe

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