Der Brite Chris Morris steht für schlaue Komik abseits der Safety Zone. Jetzt kommt der erste Langfilm des Mediensatirikers ins österreichische Kino: die Selbstmordattentäter-Buddy-Komödie »Four Lions«.
Witze sind unzuverlässig. Sie folgen, gerade wenn sie gelingen, keinen Parteilinien. Auch nicht denen jenes liberalen, linken Humanismus, der sich so gern in den Dienst politischer Aufklärung gestellt sähe. Über das vertrackte Verhältnis zwischen Komik und Kritik weiß derzeit niemand besser Bescheid als Chris Morris. Vor zehn Jahren löste der Brite ein mediales Strohfeuer aus, als sich eine Spezialfolge seiner TV-Satire »Brass Eye« dem Reizthema Pädophilie widmete: Die Fake-Reportagesendung karikierte nicht nur böse die Sensationalisierung von Pädophilie durch Medien wie Tagespolitik (in einem Sketch fackelt ein Eltern-Lynchmob einen riesigen aus Korb geflochtenen Phallus ab), sondern führte auch leichtgläubige Prominente mit abstrus erfundenen Anliegen aufs Glatteis. Ein überlisteter Labour-Parlamentarier warnte vor der Gefahr aufblasbarer Hosen, mit denen Pädophile ihre Erektionen verbergen würden, während Phil Collins eine frei erfundene Organisation zum Kampf gegen »Kinderschänder« (umgangssprachlich: »nonces«) unterstützte: »I’m talking nonce sense.« Jetzt läuft Chris Morris’ erster Langfilm »Four Lions« (2010) in Österreich an: eine ziemlich lustige, aber auch einigermaßen bedrückende Komödie über eine Gruppe britischer Islamisten, die sich auf ein Selbstmordattentat vorbereitet.
Djihadismus und andere Subkulturen
Bei so viel Kontroversen-Zündstoff verteilen sich die Rollen wie von selbst: Die Tageszeitung The Sun schrieb anlässlich der Pädophilie-Sendung 2001 von „the sickest TV ever“, während Qualitätsmedien Morris als unnachgiebigen Tabubrecher feierten. Der Film »Four Lions« wurde in Großbritannien vergleichsweise gelassen zur Kenntnis genommen (und ein solider Publikumserfolg). Die Rollenzuschreibung des engagierten Subversiven oder geschmacklosen Schlagzeilen-Trittbrettfahrers Morris dominierte aber auch hier die Berichterstattung. So einfach ist der wohl erstaunlichste britische Comedian seiner Generation (sorry, Ricky Gervais!) aber nicht zu fassen: Die Gattungsbezeichnung »Satire« findet Morris erklärtermaßen dubios, weil sie zu oft selbstgerechtes Witzeln unter Gleichgesinnten bedeutet.
Geblödel ist wohl tatsächlich der seriösere Begriff für das, worauf sich Morris spezialisiert hat: Anstatt Pointen um Themen zu bauen, stellt er Redeweisen und Habitusformen nach, um sie dann mit absurder Folgerichtigkeit wuchern und aufplatzen zu lassen. Dieser avancierte Maturantenhumor mit seiner Lust an poetisch bescheuerten Formulierungen und verwegenen Gedankenexperimenten genügt sich gern einmal selbst – etwa in den kristallinen Schlagzeilen (»De-frocked cleric eats car park«, »More oxygen needed, says France«), die Morris in seiner Radionachrichten-Parodie »On the Hour« (1991-92) zu verlesen pflegte.
Kritik ist hier keine Sache der polemischen Absichtserklärung, sondern ergibt sich aus der Konsequenz, mit der Morris sich an bestimmten Formen abarbeitet. Damit hat er auch einige popkulturelle Selbstentwürfe in ihrem lächerlichen Kern getroffen: 1999, als die britische Lad Culture um Britpop und Nick Hornby mit ihrer ironischen Feier männlicher Unverbesserlichkeit zur Macho-Attitüde erstarrt war, erfanden Morris und Robert Katz das Kolumnisten-Alias »Richard Geefe«. Der schrieb im Observer zuerst launige Prosa über Hangovers, Frauen und Autos, dann über seinen angekündigten und terminlich fixierten Selbstmord. Mit Charlie Brooker schuf Morris ein paar Jahre später die schrille Sitcom »Nathan Barley« (2005), deren Gegenstand die Medien-Hipsteria des Londoner In-Viertels Shoreditch war: Der gallige Kommentar auf kalkulierte Trash-Appropriationen à la Vice stellt zugleich die minutiöseste Dokumentation dieser Kultur dar, die das Fernsehen bis heute geleistet hat.
Auch »Four Lions« behandelt den Djihadismus primär als Subkultur, deren Versatzstücke und Phantasmen sich längst verselbständigt haben. Rädelsführer Omar (sympathietragend: Riz Ahmed) und seine vier Komplizen haben sich den »Heiligen Krieg« abseits internationaler Terrornetzwerke angeeignet. (Ein desaströser Besuch im pakistianischen Trainingslager isoliert sie endgültig.)
Die Rhetorik vom erbarmungslosen Kampf gegen die Ungläubigen eignet sich zwar hervorragend als Blaupause für interne Machtspielchen und Beschimpfungstiraden, schießt aber absurd über die Fähigkeiten der angehenden Terroristen und ihre Lebenswirklichkeit in der mittelenglischen Provinz hinaus. Bricht das Auto zusammen, gibt der von der rechtsextremen National Front übergelaufene Barry (Nigel Lindsay) den »jüdischen Zündkerzen« die Schuld. Der schüchterne Faisal (Adeel Akhtar) wiederum favorisiert als aussagekräftige Anschlagsziele Drogerien, weil: »They sell condoms that make you wanna bang white girls.« Nicht dass Omar und seine Bande, die mit den logistischen und symbolischen Komplexitäten eines Attentats hoffnungslos überfordert ist, die einzigen Dödeln im Film wären: Am Ende steht den linkischen Terroristen ein Sicherheitsstaat gegenüber, dessen Vollzugsorgane nicht weniger lächerlich zwischen Selbstüberschätzung und Hysterie schwanken.
Dass das jüngste Mitglied der Truppe ein Rapper ist, für den sich »martyrs« auf »tomatoes« reimt, darf man programmatisch verstehen: Wie so viele interessante Komödien der Gegenwart – und wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass Morris übers Radio zur Comedy gekommen ist – ist »Four Lions« vor allem ein Sprach- und Klang-Erlebnis. Wie in den Dialogen der fünf assimilierten Mujaheddin konsumkulturelle Referenzen und islamistische Ideologie übereinander stolpern, muss man im englischen Original mit Urdu-Einsprengseln gehört (und auf Untertiteln mitgelesen) haben. Zumindest Disneys »König der Löwen« wird man danach nicht mehr mit gleichen Augen sehen.
Falsche Sicherheiten
Komik, die so spezifisch funktioniert wie die von Morris, lässt sich nicht beliebig oft wiederholen: Die Scherzinterviews und Zweckentfremdungen von Nachrichtenmaterial, mit denen seine Fake-Nachrichtensendungen der 90er arbeiteten, sind längst ins Grundinventar des Spaßfernsehens übergegangen. Währenddessen hat er sich kontinuierlich wie eigensinnig weiterbewegt. Mit der Serie »Jam« (2000) ist die Kompromisslosigkeit vorübergehend zum Selbstzweck geronnen: Verzerrte Bilder zu dröhnenden Scores erzählen kühle Sketches, die routinemäßig von Kindstod, Vergewaltigung oder Inzest handeln. In seiner düsteren Gekünsteltheit ist »Jam« ziemlich nervtötend und markiert zugleich die äußerste Konsequenz von Morris’ konzeptueller Orientierung: eine Comedyshow, in der die Gags nur mehr untergeordneter Teil einer unguten Gesamtatmosphäre sind.
Im Kontrast dazu ist die unfähige Attentäter-Bande in Morris’ Langfilmdebüt überraschend warmherzig gezeichnet. Das wirkt hier allerdings nicht wie die Bändigung eines wilden Talents durch die Kompromissmaschine Kino. (Übertragen spielt »Four Lions«, hauptproduziert von der Filmdivision des Plattenlabels Warp, in derselben Budget-Kategorie wie die von Morris für Nischen produzierten TV-Arbeiten.) Eher ist dieser Zugang das Ergebnis der Suche nach einer passend verstörenden Form: Die charakterorientierte Erzählhaltung gibt der nach wie vor durchschimmernden Sketchrevue-Dramaturgie einen emotionalen Anker.
Und genau darin steckt schon die nächste Perfidie. Denn im Gegensatz zu bisherigen Komödien, die designierte Selbstmordattentäter als sympathiefähige Figuren eingesetzt haben (»American Dreamz«, »An American Carol«), sollte man hier besser nicht auf einen rettenden Selbsterhaltungstrieb setzen: Diese Terroristen meinen es, bei aller Patschertheit, ernst. In seiner dunkelsten Stunde sprechen dem verzagten Omar seine schlaue, schöne, selbstbewusste Frau und sein herziger Sohn Mut zum Märtyrertod zu. Diese ungeheuerliche Szene hat Morris freilich durch ein sehr selektives Porträt der muslimischen Bevölkerung erschummelt: Neben den kulturell assimilierten, aber zornigen Attentäter-Protagonisten und einigen friedfertigen, aber rückständigen muslimischen Eiferern gibt es in der Erzählwelt von »Four Lions« schlicht keine Alternative. Allerdings: Wer eine Serie von Witzen mit Milieurealismus verwechselt, ist selbst schuld.
Medien-Comedian: 5 x Chris Morris
»On the Hour« (1991-92)
Fake-Radionachrichten zwischen Satire und Surrealismus, mit Chris Morris als hyperartikuliertem Host und Steve Coogan als Sportreporter Alan Partridge. Ein Meilenstein, wie auch das TV-Spinoff »The Day Today«.
»Why Bother?« (1994)
Tolle Audio-Improvisation mit Komiker-Altspatz Peter Cook: Interviewer Morris befragt den Lebemann Sir Arthur Streeb-Greebling (eine Lebensrolle Cooks) unter anderem über seine Experimente mit Aalen und seine Rolle in den Rodney King-Riots.
»Brass Eye« (1997 & 2001)
Böse, schlaue Fake-Reportage-Sendung mit haarsträubenden Sketches und Promi-Interviews zu erfundenen Anliegen. Legendär: Tory-Abgeordneter David Amess warnt vor »Cake«, einer neuen »made-up drug« aus Prag.
»Nathan Barley« (2005)
»Stupid people think it’s cool. Clever people think it’s a joke. Also cool.« Mediensatire über den bescheuerten Trash-Guerillero Nathan, der den Journalisten Dan unabsichtlich in den Wahnsinn treibt.
»The IT Crowd« (2006)
Morris’ Schauspielerauftritte abseits eigener Arbeiten sind spärlich. Die erste Staffel der hübschen Büro-Sitcom von Graham Linehan veredelt er trotzdem als energischer Boss Denholm Reynholm.