Universale Verstörung

Der Extremperformer Ivo Dimchev mutet seinem Publikum nur das zu, was er sich selbst auch zumutet: Alles.

Ivo statt Lourdes

Heilende Kräfte werden auf jeden Fall der Stimme von Ivo Dimchev zugeschrieben. Sein Timbre erinnert stark an jenes von Antony And The Johnsons-Sängerin Anohni. Diese Stimme kennt kein Geschlecht und kann von fast transparenten Falsett-Lauten bis zu einem Vibrato das einer Singenden Säge alle Ehre macht, alles produzieren. Bis in die samtigen Gefilde des Baritonregisters zeichnet sich seine Stimmführung durch allerhöchste Präzision aus. Diese Präzision ist ein Alleinstellungsmerkmal des Phänomens Dimchev: Seine Sprache ist genauso geschärft wie der durchdringende Blick. Gemeinsam mit dem androgynen, aalglatten Körper bekommt dieses Bühnenwesen etwas maschinenhaft Unheimliches. Extrem einnehmend und abstoßend zugleich.

Befreiter Nachwuchs

Den unverschämt weit gefassten künstlerischen Wirkungsbereich des Extremkünstlers fassbar zu machen, ist keiner Bildungsinstitution gelungen. Abgesehen von einem Master an der renommierten Das-Arts Akademie in Amsterdam hat er keinerlei akademische Ausbildung absolviert. Die Schauspielschule brach er ab – der Weg war ihm zu eng gesteckt. Das Berufsbild Allroundkünstler und Extremperformer war im Bulgarien der Jahrtausendwende einfach noch nicht etabliert. Mit der Zuschreibungs-Problematik aus eigener Erfahrung bewandert, schafft Ivo Dimchev nun offene Räume zur Selbsterfahrung für nachfolgende Künstlergenerationen. In den von ihm gegründeten Volksroom in Brüssel und dem Mozei in Sofia können Arbeiten die zwischen den Stühlen aller Gattungen sitzen, erstmals einem größeren Publikum präsentiert werden und müssen sich keiner kuratorischen Vorauswahl stellen. Oft weiß man es als Künstler ohnehin am besten. Dimchev selbst, der große Autodidakt ist dafür das allerbeste Beispiel.

Konventionen gesucht

Während seiner Zeit als Schauspielschüler nahm Ivo Dimchev auch Unterricht bei einem Opernsänger. Der Gesang ist ein essentieller Teil seines Vokabulars geblieben. Selbstgeschriebene Songs kommen in vielen seiner Shows zum Einsatz. Wieso er nicht Sänger geworden ist? Weil er es nie wollte. Und die Theaterbühne braucht, wie er beim Interview schildert: "Ich liebe das Theater und seine Konventionen. Was immer man auf der Bühne tut steht immer in Verbindung zum Gebäude und zur Tradition des Gebäudes und der Kunstform an sich. Das hat einen ganz großen Einfluss auf meine Arbeit."

Sing für uns!

Und doch könnte man sich Ivo Dimchev, der mit den kleinsten Gesten auch ein schwarzes Loch füllen könnte, gut auf den ganz großen Musikfestivals der Welt vorstellen. Die berückend schönen, fragilen Kompositionen aus seinen Shows können auch ohne die schützende Ummantelung eines dramaturgischen Konzepts bestehen. Dem Drängen seiner großen Fanbase nachgebend, gibt Dimchev nun auch manchmal Liederabende. Und hat mit "Operville" seine ganz eigene Auseinandersetzung mit dem behäbigen Genre Oper geschaffen. Oder eher damit, was er sich darunter vorstellt – eine ganze Opernvorstellung hat der Teufelsperformer nämlich noch nie durchgesessen. Da hat er Besseres zu tun: Ein Buch über sein Bühnenschaffen im Eigenverlag herauszugeben, beispielsweise. Mit mehr als 500 Seiten ist es ein richtiger Ziegel geworden. Sonst übliche, schwülstig-bildhafte Zwischentexte werden durch Copy-Paste von Facebook-Fragestunden ersetzt. Durch das Buch hat er seinen weiten Tätigkeitsbereich noch einmal erweitert. Choreograf, Performer, Komponist, Herausgeber und zuletzt auch noch findiger Anzeigenverkäufer: Zur Finanzierung seiner Monografie hat er einige Seiten des Wälzers nämlich als Werbeflächen an ihm verbundene Kunstinstitutionen vercheckt. Alles für die ach so verstörende Kunst eben.

Ivo Dimchev ist diesen Sommer mit fünf verschiedenen Arbeiten beim Impulstanz-Festival zu Gast: "Paris" mit Christian Bakalov, 21. Juli 2016, 23.00 Uhr, Kasino am Schwarzenbergplatz; "Operville", 25, Juli, 21:00, Akademietheater; "I-Cure", 10. August, 23.00 Uhr, Schauspielhaus; "Songs from my Shows", 11. August, 23:00, Schauspielhaus; "Concert Improvisation & Book Presentation" mit Lea Petra, 14. August, 22.30 Uhr, Leopold Museum. Informationen zu Tickets und Terminen gibt es hier.

Bild(er) © Ivo Dimchev
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