Verena Altenberger verkörpert in David Clay Diaz’ neuem Film »Me, We« eine freiwillige Helferin, die auf Lesbos Geflüchtete retten möchte. Im The-Gap-Interview spricht sie über die Dreharbeiten, die noch immer in ihr nachhallen, darüber, ob ihre Rollen sie verändern, warum ihre Postings auf Social Media politischer geworden sind und wieso sie sich selten hilflos fühlt.
Die Rollen, die du bisher verkörpert hast, waren mitunter sehr unterschiedlich: In »Die beste aller Welten« hast du eine junge, drogenabhängige und liebevolle Mutter gespielt, in »Magda macht das schon« eine polnische Pflegekraft, aber du warst ebenso bereits Polizistin und aktuell stellst du die Buhlschaft im »Jedermann« dar. Wie entscheidest du dich für eine Rolle und welche Figuren wie Herausforderungen reizen dich dabei? Wen würdest du noch gerne spielen?
Die Auswahl erfolgt über emotionales Verständnis. Kann ich die Emotionen und Handlungsweisen dieser Figur nachempfinden und zwar tief genug, um sie wiederzugeben und um bei anderen im Idealfall Empathie für den von mir gespielten Menschen auszulösen? Ich will mit meinem Spiel Emotionen beim Publikum erzeugen. Darüber hinaus interessieren mich sehr viele unterschiedliche Themen. Mich reizen sehr extreme Vorgehensweisen – so wie es eben bei »Me, We« war: Da wusste ich, ich werde im offenen Meer schwimmen, ich werde mit Laiendarsteller*innen spielen, die mich auf eine ganz andere Art fordern werden. Ich habe Lust auf große Höhen und große Tiefen, auf Lebendigkeit. Mich interessieren unterschiedliche Medien, wobei das Medium für mich kein ausschlaggebendes Kriterium in der Rollenauswahl ist. Es ist mir letztendlich wurscht, ob das Projekt für einen Streaming-Dienst oder fürs Theater ist. Es geht mir um die Geschichte. Es interessieren mich unterschiedliche Regisseur*innen und Kolleg*innen, mit denen ich arbeiten möchte. Orte haben ebenso einen gewissen Einfluss. Ich würde nicht sagen, dass ich in allen Genres zu Hause bin, aber mich interessieren erst mal alle. Ich habe das Gefühl, alles ausprobieren zu wollen.
Lars Eidinger, dein aktueller Partner im »Jedermann«, meinte damals beim Interview, das ich mit ihm geführt habe, dass er durch das Schauspielern viel über sich selbst lernen könne. Wie sieht das bei dir aus? Was hast du durch deine bisherigen Rollen über dich gelernt?
Jede einzelne Arbeit, jede einzelne Rolle hat mich verändert. Ich möchte mir alles so intensiv wie möglich reinziehen. Es gibt natürlich Grenzen. Bei »Die beste aller Welten« zum Beispiel habe mich mir jede Emotion zutiefst zu Herzen genommen, aber ich habe natürlich nicht begonnen, Heroin zu nehmen. Sonst gibt es zwischen mir und den Rollen aber keine Trennung; keine Trennung zwischen privat und Beruf, zwischen ich und die andere. Insofern verändert mich alles: Alles bleibt bei mir. Was ich wirklich so toll an diesem Beruf finde: Ich kann mich so intensiv mit so vielen unterschiedlichen Thematiken auseinandersetzen, dadurch kann ich mich selbst bereichern. Es reichert mein Selbst an, wenn ich mich in unterschiedlichen Welten und Gesellschaftsschichten bewegen kann. Ich darf für kurze Zeit Expertin sein – und das macht mich kompletter.
Du bist ja nicht nur in vielen Rollen zu sehen, sondern auch auf Social Media sehr aktiv. Dort positionierst du dich und postest zu Themen wie Feminismus und Menschenrechten. Wie siehst du deine Aufgabe diesbezüglich als öffentliche Person und vor allem: Was hat dich politisiert?
Social Media gehört natürlich heutzutage fast zum Beruf dazu. Vor 20 Jahren hatte jede*r eine Visitenkarte, später eine Website und heutzutage hat man eben Social Media. Ich habe damit vor ungefähr fünf Jahren begonnen. Ich hatte anfangs eine große Scheu davor, auch vor diesem Aspekt des Selbstmarketings. Mittlerweile liebe ich meine Kanäle, und was über sie möglich ist. Ich bin gerne in den sozialen Medien. Ich habe mir eine zeitliche Grenze gesetzt und bin nicht mehr als eine Stunde täglich dort online, aber ich mache alles zu 100 Prozent selbst. Das muss einfach von mir kommen, finde ich. Mittlerweile habe ich wirklich eine Freude an der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Menschen. Ich habe eine große Lust an Diskussionen entwickelt, ich bin interessiert an unterschiedlichen Menschen, die da zusammenkommen, aber ich habe es auch geschafft, mir auf den Plattformen eine sehr bereichernde, inspirierende sowie mutmachende Welt aufzubauen. Ich folge vor allem ganz vielen tollen Frauen, von deren Mut und Offenheit ich beeindruckt bin, von deren Radikalität. Das gibt mir sehr viel.
Wie kam es dann dazu, dass deine Postings politisch(er) wurden?
Das weiß ich noch ganz genau: Ich wollte ein Strandfoto aus dem Türkeiurlaub posten – mit der unglaublich kreativen Caption »Vitamin sea«. Im Hintergrund lief – ähnlich wie in »Me, We« am Ende – im Radio die Meldung, dass gerade abermals 150 Menschen vor der Küste Griechenlands ertrunken sind. Dann dachte ich mir, dass es nun zwei Möglichkeiten gibt: Ich lösche nun entweder alles komplett und gehe nie wieder online oder ich nutze Social Media jetzt für etwas Sinnvolles. Und dann habe ich eben mein erstes politisches Posting formuliert. Menschen auf der Flucht, die im Mittelmeer ertrinken, darum ging es. Dieses Jahr sind bisher übrigens 995 Menschen ertrunken; also von so vielen wissen wir es zumindest.
Dann war eben dieser erste Schritt gemacht und nach und nach ist es mir immer leichter gefallen. Es hat sich für mich wirklich ein großes Interesse entwickelt, auch an den Gegenmeinungen. Nicht weil ich der Meinung bin, dass man mit Rechten reden sollte – puren Hass lösche ich auf der Stelle, der interessiert mich null. Ich empfinde mich als Kuratorin meiner Seiten, da lesen andere mit und ich lasse da nichts stehen, das Menschen beleidigt. Aber es gibt wirklich schon oft Punkte bei Diskussionen, in denen man in Beziehung treten kann. Ich screenshote immer interessante Sachen und mittlerweile habe ich ungefähr 800 Screenshots von Leuten, die schreiben: »Oh Gott, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass Sie das wirklich lesen.« Alleine dieser Anonymität im Netz etwas entgegenzusetzen, das macht mir wirklich Freude und ich merke, dass es einen Effekt hat. Es freut mich zu sehen, dass da etwas passiert: In der Diskussionskultur, in Haltung, in Meinungen. Ich respektiere jede Kollegin und jeden Kollegen, die/der sagt: Das ist nicht meine Spielwiese. Für mich aber bedeutet eine größere Bühne eine ebenso größere Verantwortung. Es ist für mich einfach zwingend notwendig. Ich könnte nicht anders.
Dein Schauspielstudium hast du 2015 erfolgreich beendet, seither hast du schnell Erfolg in deinem Metier gefunden – auch in der Öffentlichkeit bist du keine Unbekannte mehr. Deine Eltern haben keinen künstlerischen Background, du selbst bist auf dem Land aufgewachsen. In einem Interview hast du zum Beispiel einmal angesprochen, dass es für dich anfangs schwierig war, diese neue Welt zu entdecken. Wie gehst du mit deinem Erfolg und der Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit um? Und siehst du den Zugang zur Kultur für alle Menschen offen?
Ich finde es toll, dass in Österreich Kunst und Kultur so einen hochgeschätzten Stellenwert einnehmen. Aber es ist ein bisschen vergleichbar – finde ich – mit Leuten, die als Erstes in der Familie studieren, denn diese kennen das Fremdsein im universitären Kontext. Man hat oft das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören. Es braucht eine enorme Kraftanstrengung, es gibt viele Ängste und Unsicherheiten. Und diese habe ich auch gespürt, als ich den Schritt in die Kultur gewagt habe. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Sprache nicht kenne, dass ich nicht eingeladen wurde, Teil davon zu sein – weder als Partizipierende, noch im Publikum. Das hat sich sehr lange gehalten; sogar bis vor zwei oder drei Jahren ging es mir so. Als ich da im Theaterpublikum saß, dachte ich mir zu Stückbeginn noch oft: Hoffentlich verstehe ich alles. Diese Unsicherheit ist so tiefsitzend. Ich empfinde Kultur noch immer als viel zu exklusiv. Ich glaube, dass es für uns Kulturschaffende wahnsinnig wichtig ist, alle Menschen einzuladen. Es ist mir ein großes Anliegen, Kultur auf eine Art zu vermitteln, die wirklich niederschwellig ist.
Ich werde im Herbst ein Projekt starten, bei dem ich mit Kindern und Jugendlichen über das Theater rede, und zwar über alles, das ich früher nicht gewusst habe: Wo kaufe ich Tickets? Wie viel kosten diese und bekomme ich sie auch billiger? Was ziehe ich fürs Theater überhaupt an und ist es okay, wenn ich im Theater einen Kaugummi kaue oder lache? Oder auch: Muss ich alles verstehen? Bin ich blöd, wenn ich etwas nicht verstanden habe?
Ich will einen Ort finden, an dem man ganz normal über Theater reden kann – jenseits von Begrifflichkeiten, die nicht alle verstehen, jenseits von dem Begriff »Hochkultur«. Ich finde, wenn Kunst nicht alle meint, ist Kunst gescheitert. Kunst hat die Macht, unsere Gesellschaft auf die Probe zu stellen. Kunst hat die Möglichkeit, Gesellschaft zu probieren, zu verhandeln, Wandel und Änderungen zu testen, Möglichkeiten zu zeigen. Wenn ich das nur für die oberen Zehntausend mache, dann bin ich gescheitert.
Der österreichische Film ist auch im Ausland bekannt und erhält oft gute Kritiken. Welchen Wunsch hast du für den österreichischen Film?
Die Quote.
»Me, We« dreht sich um Themen wie Hilfe, Hilflosigkeit und Menschlichkeit. Fühlst du dich – vor allem in Anbetracht der Corona- und der Klimakrise – hilflos? Oder was hilft dir gegen das Gefühl der Hilflosigkeit?
Ich empfinde tatsächlich eher selten Hilflosigkeit. Das heißt nicht, dass ich nicht auch mal frustriert und hoffnungslos bin, aber ich versuche einfach, der drohenden Hilflosigkeit Handeln entgegenzusetzen. Im Grunde genommen führt mich das wieder auf das Zitat von Muhammad Ali zurück. Man könnte jetzt kapitulieren und sagen: Das wird eh nichts mehr, das ist alles zu viel, ich kann eh nicht die ganze Welt retten.
Aber wenn ich nicht mit einem gewissen Idealismus versuche, irgendetwas besser zu machen, dann kann ich gleich aufhören und dann hätte ich gar keinen Antrieb mehr in meinem Menschsein. Man muss sich nicht zu viel vornehmen. Man muss nicht die Welt retten, aber man muss einfach, um es auf Englisch zu sagen: moving forward in babysteps.
»Me, We« von David Clay Diaz ist aktuell in den österreichischen Kinos zu sehen.