Vergossene Milch

Die NÖM packt Milch in Tetra Paks mit türkischer Aufschrift, um ihr Produkt auch beim türkischen Greißler optimal an die Kundschaft zu bringen. Was die einen schlicht als Ethnomarketing bezeichnen, ist für manche der schleichende Niedergang der deutschen Zivilisation. Ein GASTKOMMENTAR von Philipp Sonderegger, SOS Mitmensch.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Auf der jüngst gegründeten Facebook-Seite „Wir kaufen keine Niederösterreichische Milch Produkte mehr“ tummelt sich dann auch krude Obskuranten und mehr oder weniger verkappte Rechtsradikale. Einer der besonders aktiven Poster will sich etwa nimmer länger „von dunklen Mächten der Ostküste beherrschen lassen.“ Ein anderer trägt eine historische Schützenuniform und mag Ernst Jünger. Das hat auch der Zeitungsmainstream wahrgenommen und steht der Initiative reserviert gegenüber.

Dennoch, wieso stößt die Forderung nach exklusiv deutscher Produktbezeichnung auf derart breite Resonanz und schafft es in die „Zeit im Bild”? Wieso galten Vorkämpfer des reinen Deutschtums, wie der steirische FPÖ-Spitzenabgeordnete Gerhard Kurzmann vor wenigen Jahren noch als Spinner, während heute bereits erste Schulen Deutsch-Zwang für den Pausenhof ausrufen?

Die Verheißung von der homogenen Volksgemeinschaft

Die Antwort ist so banal wie bedauerlich. Rechte Fundamentalisten mobilisieren mit „Einheit statt Vielfalt“ seit Jahren erfolgreich Modernisierungsverlierer. Sie propagieren ein völkisches Gesellschaftsbild, das eine homogene Alles-wird-Gut-Gemeinschaft verspricht: Wenn wir einmal an der Macht sind, so wird signalisiert, dann wird es keine unübersichtliche Vielfalt mehr geben und mit allen, die heute stören, werden wir aufräumen.

Auf der anderen Seite stehen breite Bevölkerungsschichten, die sich danach sehnen, dass endlich einmal Ruhe ist. Von den notwendigen Vermittlungsprozessen einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin schon tendenziell überfordert, führte der wirtschaftliche Druck der Globalisierung bei diesen Menschen in den vergangenen 15 Jahren zur völligen Überlastung. Geplagt von Abstiegsängsten und ermattet von den ständigen Anpassungsleistungen einer sich immer weiter dynamisierenden Marktwirtschaft hoffen sie, dass einmal alles wieder an seinem Platz sein werde: „Sollen doch die anderen sich einmal anpassen!“

Dabei tut es keinem weh, wenn in einem Supermarkt Milch mit türkischem Aufdruck verkauft wird. Um nicht allzu kleingeistig dazustehen, schieben die Völkischen daher auch rationale Argumente vor. Ihren Angriff auf die Mehrsprachigkeit begründen sie mit der Notwendigkeit, die Staatssprache zu beherrschen. Solche Verquickungen verhelfen ihren Vorstößen immer wieder zu Aufmerksamkeit.

Alle wollen ein freies Leben führen

Wenn wir weiter in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft leben wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir nicht allzu viele Menschen an die Verheißung einer geschlossenen Gesellschaft verlieren. Wenn wir wollen, dass Menschen sich frei entfalten, ihren Vorlieben und individuellen Lebensentwürfen nachgehen können, dann müssen wir verständlich machen, dass der Wunsch eine Punk-Frisur zu tragen oder türkisch bedruckte Milch zu kaufen ein Spiegelbild der eigenen Sehnsucht ist, ein freies Leben zu führen. Und diese Sehnsucht steckt in jedem von uns. Auch wenn sie noch so verschüttet ist, durch Spießigkeit, Ohnmacht oder Wut.

Um die Sehnsucht bei jenen freizulegen, die sich heute von der Moderne abwenden, müssen ihre objektiven Lebensbedingungen verbessert werden. Eine gute Arbeit, Bildungschancen; damit es die Kinder einmal besser haben und ein gesundes Leben mit Freunden und Familie – das sind laut Studien die zentralen Wünsche auf der ganzen Welt. Mit der Kampagne „Machen wir uns stark“ versuchen einige Gruppen der Zivilgesellschaft diese Themen auf die Agenda zu bringen. Mit einer großen Kundgebung am Heldenplatz am 18. September wollen die Initiatoren Spaltungsdiskursen das Wasser abgraben und die wichtigen Zukunftsthemen auf Tappet bringen: Bildung, Verteilung des Wohlstands und Zusammenleben.

Philipp Sonderegger ist Obmann der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch und als solcher auch im Rahmen der Kampagne „Machen wir uns stark“ aktiv. http://www.sosmitmensch.at

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...