Vieler Eltern Kind

»Assassin’s Creed Valhalla« merkt man den Veröffentlichungsdruck und die Pseudomoral der Gaming-Industrie ebenso an, wie die Leidenschaft der Menschen, die an den Details gebastelt haben.

Die Auseinandersetzung mit Videospielen, schrieb der Spiele-Forscher Gordon Calleja 2011 sinngemäß, ist unter anderem deshalb so kompliziert, weil vieles, was wir Spiel nennen in Wahrheit eine facettenreiche virtuelle Umgebung ist, die weit mehr als nur ein Spiel beinhaltet. Ganz besonders gilt das für Open-World-Games. Und hier gehört die »Assassin’s Creed«-Reihe mittlerweile zu den ganz Großen.

Mehr als anderen Titeln ist »Assassin’s Creed Valhalla« anzumerken, dass es ein gewaltiges Mosaik ist, zu dem viele Akteur:innen das eine oder andere Stück beigetragen haben. Manche dieser Elemente sind in alter Handwerkstradition geformt, andere mit viel Liebe geschliffen. Einige geben sich edler als sie sind. Und irgendwann mussten dann gemeine Kiesel herhalten, damit das Ding rechtzeitig fertig wird.

Das Herzstück der »Assassin’s Creed«-Spiele ist und bleibt für viele wohl die Spielwelt. Und da macht auch der zwölfte Teil der Hauptreihe keine Ausnahme. Historische Klöster, lebhafte Städte, singende Wikinger auf Drachenschiffen und rauschende Gelage in kunstvoll gestalteten Langhäusern; drumherum – wie schon in den letzten beiden Teilen – viel Natur, viel Gegend, in der sich ebenfalls einiges entdecken lässt.

Überhaupt setzt »Assassin’s Creed Valhalla« den Weg fort, den »Origins« eingeschlagen und »Odyssey« verfeinert hat: mehr Fokus auf die Vordertür als die Luke im Dach, mehr offener Nahkampf und klassisches Action-Rollenspiel. Schön, dass es wieder Optionen gibt, sich nicht nur von schlichten Wegmarkern zum Missionsziel führen zu lassen, sondern ein bisschen die Karte studieren zu müssen. Erfreulich auch, dass es wieder ein bisschen raffiniertere Umgebungsrätsel gibt.

Schade allerdings, dass die KI der Feinde zu den besonders plumpen Kieselsteinen im Mosaik gehört. Sie war noch nie ein Aushängeschild der Reihe, aber diesmal stolpert sie derart vor sich hin, dass passagenweise mehr mit den Schwächen der KI gespielt wird als im Sinne der eigentlichen Spielidee. Soldaten, die im Kampf überfordert stehen bleiben, um sich niederstrecken zu lassen, fügen sich noch irgendwie in die Spielwelt. Verbündete, die beim Infiltrieren eines Klosters gemütlich und unbemerkt eine Runde durch den schwer bewachten Arkadenhof joggen, machen mit der mühsam gepflegten Immersion dann allerdings das, was Trump gerade mit der US-Demokratie macht.  

Apropos Politik: Die über die Seriengeschichte betrachtet weiterhin erstarkenden weiblichen Charaktere und die Faust-auf‘s-Aug-Queerness einiger Figuren stehen natürlich im krassen Kontrast zu Ubisofts firmeninternen Umgang mit männlich dominierten Machtstrukturen, die diesen Sommer mal wieder in den Fokus der Fachmedien geraten sind. Da waren die norwegischen Invasoren im 9. Jahrhundert offenbar schon weiter als die Big-Player der Videospielindustrie.

Neben den ermüdenden Mustern der AAA-Industrie, die eben auch die »Assassin’s Creed«-Spiele mehr und mehr prägen, steckt in »Valhalla« viel Detailverliebtheit, viel Bemühen um kleine, feine Verbesserungen des Spielsystems und einiges an Humor und erzählerischem Geschick. Die Einzelpersonen, die an diesem Spiel gearbeitet haben und ihre Ideen, scheinen hier spürbarer als in anderen Titeln dieser Größe. Und so passiert es, dass auf einen Spaziergang im Mainstream-Sumpf plötzlich wieder ein Spielmoment folgt, dessen Witz und Raffinesse an kleine Indie-Projekte erinnern. Man muss »Assassin’s Creed« wollen, um »Valhalla« zu mögen. Aber dann stecken da schon viele gute Momente im detailverliebt imaginierten Mittelalter-Wonderland.

»Assassin’s Creed Valhalla« ist bereits für PC und Konsolen erschienen.

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