Trotz Corona darf die Viennale heuer von 22. Oktober bis 1. November in physischer Form stattfinden. Eine Herausforderung für Organisation sowie Programm – und natürlich für Festivaldirektorin Eva Sangiorgi, wie sie im ausführlichen Interview mit The Gap erzählt.
Kino in Zeiten von Covid-19. Die Viennale stellt sich dieser Herausforderung in ihrer 58. Ausgabe mit einem kompakteren Programm, zahlreichen organisatorischen Änderungen und dem Glauben an die Magie des Miteinanders im Kinosaal. Festivalleiterin Eva Sangiorgi im Gespräch mit The Gap über organisatorische Hürden und die Höhepunkte des bisherigen Festivaljahres.
Die Viennale führt gewissermaßen die diesjährige Tradition fort, herauszufinden, wie man Kino mit der Covid-19-Situation kombinieren kann. Welche Lösungen haben Sie gefunden?
Eva Sangiorgi: Es ist momentan eine sehr unklare und sich ständig ändernde Situation. Wir versuchen, ein Festival zu schaffen, das die Vorgaben respektiert und den BesucherInnen trotzdem ein abwechslungsreiches Programm und eine großartige Erfahrung bietet. Da sind wir aber auch von den Plänen der Regierung abhängig und davon, wie diese den Herbst managen wird. Was wir momentan tun können: Die Kapazitäten, die wir haben und mit denen wir die notwendige Distanz für die ZuschauerInnen bieten können, festlegen, sowie die Logistik vereinfachen. Was die verfügbaren Tickets betrifft, haben wir neue Kinos als Spielstätten hinzugefügt, um mehr Wiederholungen und mehr Sitzplätze bieten zu können. Aber es wird sich vermutlich vieles wieder ändern und ich muss bis zur letzten Minute flexibel bleiben. Dasselbe gilt für die Anwesenheit internationaler Gäste. Da unterscheidet sich das Prozedere von Fall zu Fall und von Land zu Land.
Bei Festivals geht es ja nicht nur um die Filme, es geht auch darum Menschen zu treffen. Was ist da geplant?
Wir befolgen die allgemein gültigen Vorgaben und können dann beurteilen, was notwendig ist, wie wir die Leute in die Kinos bekommen, wie wir verhindern, dass das Personal in Kontakt mit den BesucherInnen kommt. Es wird regelmäßige Tests geben, mehrmals die Woche, und natürlich die Auflage, dass die BesucherInnen ihre Namen und Kontaktdaten hinterlegen müssen, um das Covid-Tracing zu vereinfachen. Wir werden auch Desinfektionsmittel in den Räumen bereitstellen und dafür sorgen, dass der Ticketverkauf außerhalb der Kinos stattfindet. Wir haben Container für die Kassa organisiert, um den Leuten vor allem in Locations wie dem Gartenbaukino mehr Sicherheit zu bieten. Wie arbeiten auch an einer App – und daran, mehr Eingänge zu den Sälen zur Verfügung zu haben und die BesucherInnen in den Schlangen davor zu schützen.
Sie integrieren dieses Mal mehrere kleine Kinos in das Festival, um sicherzugehen, dass es genug Wiederholungen für die Filme gibt. Sehen Sie das als etwas, das in Zukunft Bestand haben könnte? Vor allem, weil es ja immer wieder heißt, manches Kino stünde vor dem Ende.
Ich freue mich sehr, diese Kinos heuer dabeizuhaben. Ich liebe diese Spielstätten und es war auch Sinn dieser Kollaboration, ihnen zu helfen, da sie ums Überleben kämpfen und einen Gutteil des Jahres nicht bespielt werden konnten. Sie sind Teil unserer Kinogeschichte und in manchen Fällen auch wunderschöne historische Spielstätten. Aber die Strategie ist hier bei etwas anders, sie sind nicht unter unserer Koordination zentralisiert. Wir projizieren nicht, wir nutzen nur die Infrastruktur, agieren sozusagen als Verleih. Dafür erhalten wir einen symbolischen Anteil des Einspielergebnisses. Aber die Viennale selbst ist natürlich auch auf ein gewisses Einspielergebnis angewiesen. Daher ist das Ganze im Moment eine Art Experiment.
Welche Vorteile hat eine Viennale momentan gegenüber den Filmfestspielen in Venedig und Cannes, die in ihrer Funktion ja sehr stark an ihren Wettbewerb und internationale Gäste gebunden sind?
Unser Vorteil gegenüber Cannes ist sicher mal unser Termin im Herbst. Internationale Gäste sind natürlich eine der stärksten Attraktionen eines Festivals, und wir selbst hatten ja auch auf welche gehofft, aber wir haben nun mal jetzt diese Situation. Wir planen momentan aber, zumindest RegisseurInnen aus geografisch näher gelegenen Ländern vor Ort zu haben. Aber die Menschen fühlen sich auch von der Atmosphäre, von der Cinephilie angezogen. Die Viennale ist ein spezielles, gesellschaftliches Event und bietet zusätzlich die Möglichkeit, FilmemacherInnen zu treffen. Mit dem Festival möchten wir eine Verbindung zwischen dem kulturellen Leben der Stadt und den Menschen, die diese Kultur konsumieren, schaffen, die Möglichkeit bieten, FreundInnen, KollegInnen, Menschen mit denselben Interessen zu treffen. Das ist der wahre Vorteil, den wir haben. Wir sind kein Festival, das nur von ein paar spezifischen Stars besucht wird.
Der Festivalzyklus hat sich im Februar nach der Berlinale gezwungenermaßen selbst abgedreht. Es wurden seither bei lokalen und online stattfindenden Festivals auch wenige der Big-Name-Produktionen gezeigt, die für heuer angekündigt waren. War es daher schwer, ein Programm zusammenzustellen?
Ich hatte am Anfang diesbezüglich viel Angst, aber das hat sich dann gelegt. Wir haben alle gewisse Dinge erwartet, aber gerade in der zweiten Hälfte des Jahres wurden dann noch viele Filme veröffentlicht. Das Programm ist heuer sehr viel kompakter als in den letzten Jahren. Ich muss aber zugeben, dass ich unsere Liste an Filmen liebe und als wertvoll für das Publikum erachte. Zudem hat sich bei anderen Festivals auch gezeigt, dass sich diese ganze Knappheit auch ins Gegenteil umkehren kann. Der Plan für die Kinostarts hat sich komplett verändert und nun sind viele FilmemacherInnen, die bis Herbst mit ihren Filmen warten mussten, sehr motiviert, damit bei Festivals vertreten sein zu können. Wir bekommen so große Namen und Filme, auf die wir vielleicht sonst keinen Zugriff gehabt hätten.
Viele Festivals und Veranstaltungen haben als Reaktion auf die reduzierten Veröffentlichungen auch die nationale Filmproduktion hervorgehoben. Bei der Viennale gibt es heuer ähnliche Pläne, indem man die Diagonale mit ins Boot holt.
Ich muss gleich dazusagen, es geht uns nicht darum, die Arbeit der KollegInnen zu übernehmen, sondern – im Fall der Diagonale ganz spezifisch – Möglichkeiten zu bieten. Wir sind alle Teil der Film-Community und es gibt KollegInnen und Mitglieder der Filmindustrie hier in Österreich, deren Veranstaltungen abgesagt wurden und die deshalb nicht ihr Publikum ansprechen konnten. Die Idee dahinter ist also, über die Bedeutung einer solchen Gemeinschaft nachzudenken. Unabhängig voneinander haben wir unterschiedliche Interessen und Perspektiven auf das Kino. Aber wir öffnen die Tore der Viennale, weil diese stattfinden kann. Wir hatten Glück und daher bieten wir in diesem Neustart der Kinolandschaft auch den weniger Glücklichen einen Platz.
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