Vom Terror zum Spiel

Radikale Elemente der Gaming-Kultur fußen im Nicht-Verstehen und Nicht-verstanden-Werden. Und in der Verurteilung von Gefühlen.

Man müsse die »Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen«, meint Horst Seehofer nach dem antisemitischen Anschlag in Halle. Und damit hat er recht. Wenn auch nur zufällig, denn was Seehofer hier bedient, sind alte, faktenbefreite Stereotype vom durch Spiele verrohten Gamer, der reale Gewalt für ein Spiel hält. Kein Wunder also, dass die Wogen hochgehen und sich SpielerInnen gegen platte Schuldzuweisungen verwehren, während von journalistischer und wissenschaftlicher Seite über Radikalisierungsprozesse innerhalb von Gaming-Communities diskutiert wird.

Es gibt keinen simplen Kausalzusammenhang zwischen Videospielkultur und rechtsradikal motiviertem Massenmord. Aber es gibt eine Geschichte der Radikalisierung innerhalb eines kleinen Teils derer, die Videospiele als Teil ihrer eigenen Identität betrachten.

Christian Stöcker, Spiegel Online

Viele wichtige Punkte wurden – etwa durch Christian Stöcker und Markus Böhm für Spiegel Online oder Yasmina Banaszczuk für taz – bereits zur Diskussion gestellt: Die Gaming-Bezüge des Anschlags von Halle sind kein Nachweis für eine generelle, moralische Verwahrlosung von Spielenden. Spiele machen keinen Terrorismus. Eine Tat wie diese durch die Wirkung eines Unterhaltungsmediums erklären zu wollen, ist feig und gefährlich. Und trotzdem sollten Radikalisierungstendenzen unter männlichen Gamern stärker in den Blick genommen werden.

Was in dieser und ähnlichen Diskussionen zumeist aber fehlt, sind die Abkehr vom schlichten Täter-Opfer-Denken und die Unterscheidung von Emotion und Argument. Im Zuge meiner kulturwissenschaftlichen Forschung zur Gaming-Kultur habe ich mit Spielern gesprochen, die Gamergate durchaus etwas abgewinnen konnten – Männer, die als Teenager mit der Killer-Spiel-Debatte der 2000er zu kämpfen gehabt hatten und die es gewohnt waren, unter Generalverdacht zu stehen, süchtig, asozial und ferngesteuert zu sein. Weiße, heterosexuelle Männer, die sich gar nicht so mächtig fühlten, wie sie die feministische Kritik darstellte und die sich nicht gleich als Misogyne bezeichnen lassen wollten, nur weil den Frauen in ihren Rollenspielen die Brüste aus der Rüstung quollen.

Auf argumentativer Ebene waren da viele Lücken, Missverständnisse und gefährliche Schlussfolgerungen, aber das Gefühl, als Männer zur Zielscheibe und zum Feindbild geworden zu sein, ist ernst zu nehmen – weil Gefühlen nicht rational beizukommen ist. Klar waren die interviewten Spieler Teil einer privilegierten Gruppe und gehörten im Gaming-Kontext zu den Mächtigen. Aber subjektiv erlebten sie sich als weitgehend machtlos im periodisch wiederkehrenden Kampf gegen meist uninformierte und pauschale Vorwürfe. Und jetzt kommt Seehofer und bringt sie mit rechtsradikalem Terrorismus in Zusammenhang und viele Gamer steigen wieder auf die Barrikaden, blind für den Unterschied zwischen fundiertem Argument und pauschaler Schuldzuweisung.

»Ich war doch mal ein Linker«, hat einer meiner Gesprächspartner damals gesagt. Aber dann kam die linke und feministische Kritik an seinen Spielen und erschien ihm ebenso undifferenziert und verurteilend wie die christlich konservative Kritik seiner Jugend. Und sie gab ihm das Gefühl, dass er kein Recht habe, sich machtlos zu fühlen, weil er doch ein weißer Mann sei. Argumentativ lässt sich da viel dagegen vorbringen. Aber zuerst muss das Gefühl verschwinden, in die Ecke gedrängt zu sein. Und das tut es nicht durch den Verweis, dass das Gefühl dumm ist.

Emotionen als falsch und unzulässig zu bewerten ist ein Fehler, der in derartigen Diskussionen immer wieder gemacht wird und der massiv zum Frust mancher Betroffener beiträgt. Dann sind schnell alle Feministinnen hysterisch und alle Linken gegen die freie Meinungsäußerung. Das haben rechte Aufwiegler spätestens mit Gamergate erkannt und für sich genutzt.

Die Gaming-Kultur muss stärker in den Blick genommen werden. Es braucht ein behutsames Heraustreten aus der Verteidigungshaltung. Und dafür wiederum braucht es eine differenzierte und in ihrem Ansatz wohlwollende Auseinandersetzung mit dem Medium; keine Querschüsse, keine Pauschalverurteilungen und keine akademischen Belehrungen.

Letztlich steht und fällt aber alles mit dem Männerbild, das Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg gegeben wird. Denn im Vergleich zu diesem Bild entsteht das Gefühl der Benachteiligung. Und da stecken wir noch viel tiefer im Gewalt heroisierenden Patriachat, als wir wahr haben wollen. Und auch hier haben Spiele viel aufzuarbeiten.

Harald Koberg schreibt für The Gap über digitale Spiele, forscht an der Uni Graz dazu, stellt sie bei Ludovico zur Diskussion und veranstaltet das jährliche button Festival of Gaming Culture in Graz.

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