Von Löwen und Therapeuten

William Fitzsimmons, der Sänger mit dem langen Rauschebart, veröffentlicht am 17. Februar sein sechstes Album "Lions". Stephan Brückler hat mit ihm über Tiere, Therapie und Aggression gesprochen.

Dann hast Du auch aufgehört, Therapeut zu sein?

Nein, das kam etwas später, und zwar nach einem Gespräch mit einer sehr guten Freundin, die sehr ehrlich zu mir ist. Auch wenn ich es damals nicht hören wollte, aber sie sagte: “you’re half-assed”, was in Amerika bedeutet, dass man jeweils nur eine Hälfte seines Herzens für unterschiedliche Dinge gibt. Sie sagte zu mir: “Du bist ein guter Musiker und ein guter Therapeut, aber wenn du in einem der beiden Gebiete groß werden willst, musst du eines wählen.“ Dabei geht es auch um Respekt gegenüber meinen Klienten oder den Leuten, die meine Musik hören, zum Beispiel wenn ich in einer Therapiesitzung bin und denke, dass ich daraus einen Song machen könnte. Nach diesem Gespräch entschied ich mich dafür, Musik zu machen. Und ich bereue es nicht, es war die richtige Entscheidung.

Du hattest deinen Durchbruch mit dem Album “The Sparrow & The Crow”, auf dem du deine Scheidung verarbeitest, wie siehst du diese schwierige Zeit aus heutigem Standpunkt bzw. wenn du das Album hörst?

Nun, ich höre mir das Album nicht wirklich an, aber ich spiele Songs daraus. Jetzt fühlt es sich anders an als vor ein paar Jahren, aber damals war es schrecklich, denn ich war über vieles noch nicht hinweg und hatte mir noch nicht vergeben. Ich war selbst nicht in einer Therapie und hatte vieles noch nicht losgelassen. Es gibt eine psychologische Schule, die sich Gestaltpsychologie nennt, und eines der Hauptthemen davon ist “unfinished business“. Dahinter steckt die ursprünglich von Freud stammende Idee, dass, solange man sich nicht mit seinem Hauptproblem auseinandersetzt, es nie verschwinden wird. Und es kann auf anderen Wegen wiederkehren. Ein Alkoholiker mag vielleicht nicht mehr trinken, aber er könnte zu einem Sexsüchtigen oder Arbeitswütigen werden.

Heute habe ich Dinge bewältigt, ich habe mir selbst vergeben und Wiedergutmachung geleistet, soweit es möglich war. Wenn ich diese Songs nun spiele, kann ich zurückblicken und mich an die positiven Dinge dieser Zeit erinnern. Natürlich kann ich mich auch an die Fehler erinnern, aber die sehe ich als Lehrstunden.

Hat dein neues Album “Lions” auch ein umfassendes Thema wie “The Sparrow & The Crow”?

Prinzipiell sind alle Platten thematisch, zumindest gibt es ein vages Thema. Aber bei den anderen Alben war ich mehr Konzept orientiert, basierend auf meinen Erlebnissen, über die ich dann geschrieben habe. Beim aktuellen Album waren es mehr universelle Gefühle, durch die ich gegangen bin. Meine Frau und ich haben vor ein paar Jahren ein Baby adoptiert, dabei haben wir eine interessante und schwierige, aber wirklich großartige Zeit erlebt. Ich habe auch eine Beziehung zur biologischen Mutter meiner Tochter entwickelt. Diese Entwicklung, gleichzeitig involviert zu sein und außerhalb zu stehen, hat mich dazu gebracht, über Verbindung und Separation nachzudenken und was es eigentlich bedeutet, in einer vertrauten Beziehung zu jemandem zu stehen. Auch was es bedeutet, anders und abgegrenzt von anderen Personen zu sein, als eine Art Außenseiter. Das war der Ausgangspunkt des Albums.

Geht es dir dabei mehr um das Individuum oder um Beziehungen?

Beides, im Prinzip ist jeder tief drinnen irgendwie alleine. Der ganze Zweck des Existentialismus ist es, zur Einsicht zu kommen, dass man alleine geboren wurde und alleine sterben wird. Das klingt super depressiv, aber die Idee dahinter, sich dessen bewusst zu werden, ist prinzipiell gesund. Erst wenn man weiß, dass man ein eigenes, von anderen abgegrenztes Individuum ist, kann man erstmals ehrlich eine Beziehung zu anderen Leuten um einen herum aufbauen.

Bild(er) © Stephan Brueckler / Groenland Records
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