Jeremy Gara, Schlagzeuger von Arcade Fire und die Bescheidenheit in Person, über das neue Album, das Leben in Montréal und die schlotternden Knie als Headliner heimischer Festivals.
Lass uns über euer neues Album „The Suburbs“ sprechen. Was erwartet uns? Gibt es Unterschiede zu den beiden Vorgängern?
J: Ja, ich glaube, dass es sich von den Vorgängern unterscheidet. Wir haben diesmal versucht ein Album zu machen, welches subtiler ist, etwas weniger gewaltig. Am Ende hatten wir mehr Songmaterial als jemals zuvor. Es ist ein langes Album, viel musikalische Information, die aufzunehmen ist. Jedoch sind die Songs weniger ohrenbetäubend, da wir entschieden haben, dass wir nicht immer alles zur gleichen Zeit machen müssen.
Das Thema der Vorstadt ist der rote Faden. Kannst du die grundlegende Stimmung auf diesem Album beschreiben?
J: Das gesamte Album ist, wie der Titel schon verrät, der Umgang mit dem Gefühl, welches wir hatten als wir aufgewachsen sind. Win und Will sind in der Vorstadt von Houston, Texas, groß geworden. Tim und Ich kommen auch verschiedenen Kleinstädten rund um Ontario. Das Ziel dieses Albums war diese Gefühle der Vergangenheit zu verarbeiten und ihnen im heutigen Jetzt eine Bedeutung zu geben.
Es geht um das Leben in der Vorstadt, das Album wurde jedoch in Montréal und New York aufgenommen. Hatten diese Städte Einfluss auf das Songwriting?
J: Nein, eigentlich nicht. Das Songwriting war bereits abgeschlossen bevor wir nach New York gingen. Dort Aufzunehmen war viel mehr die Herausforderung, in einem Studio zu arbeiten, für das wir zahlen mussten. Das hat uns um einiges härter arbeiten lassen. In Montréal hingegen saßen wir im Wohnzimmer unseres Studios oder haben Songs bei mir im Keller aufgenommen.
Wie haben wir uns den Arbeitsprozess in einer siebenköpfigen Band vorzustellen?
J: Das ändert sich von Song zu Song. Man verschwindet nach Hause, um mit zehn kleinen Bestandteilen eines Songs zurück zukommen. Diese musikalischen Häppchen kommen dann zum Rest der Band und jeder gibt seinen Senf dazu. Bei den Aufnahmen denkt jeder über jedes Instrument nach, da wir alle multiinstrumental sind. Das ist ziemlich irre, denn du hast sieben verschiedene Meinungen über sieben verschiedene Instrumente. Allerdings wissen wir mittlerweile wie wir innerhalb der Band zu kommunizieren haben.
Für dich als Drummer: Macht es mehr Spaß Rocksongs wie „Month of May“ zu spielen?
J: Um ehrlich zu sein ändert sich das bei mir jeden Tag. Als wir "Month of May" aufgenommen haben war das sicherlich ziemlich aufregend, allein aufgrund dessen, weil es der simpelste Rocksong ist, den wir jemals geschrieben haben. Aber es ist wirklich von der Laune abhängig. Auf diesem Album gibt es einige Songs die sehr sanft und sehr erwachsen sind. Das sind eigentlich die Songs, die mich als Drummer herausfordern. Es ist hart in diese simplen Songs Gefühl zu legen und diese auch danach klingen zu lassen.
Gibt es für dich als Schlagzeuger ein großes Vorbild?
J: Ich sehe mich gar nicht als so einen guten Schlagzeuger. Ich übe eigentlich nicht so viel und bin überhaupt nicht in Form. Aber für mich ist Brian Blade, der mit seinem Trio oder Quartett spielt, ein unglaublich guter Musiker. Dieser Typ spielt so gefühlvoll und so spirituell Schlagzeug. Ich hoffe, dass ich das auch eines Tages einmal tun werde.
Zurück zur Stadt. Nun lebst du in Montréal. Was bedeutet diese Stadt für dich als Musiker?
J: Montréal ist, seit ich denken kann die große Stadt für mich, in der die ganze Kunst- und Musikszene ihr Zuhause hat. Im Vergleich zu meiner Heimatstadt hat Montréal einfach so viel mehr zu bieten. Hier gibt es zehn verschiedene Musikszenen, die jeden Tag in der Woche irgendetwas veranstalten. Es ist diese zentral gelegene Stadt auf der kulturellen Landkarte. Ich gehe einmal oder zweimal in der Woche zu einer Show, aber ich werde Musik im Ganzen niemals satt haben, denn wenn ich keinen Bock mehr auf Rockmusik habe, dann gehe ich halt zu eine der zehn Elektro- oder Jazz-Shows. Hier passiert einfach so viel, dass es unmöglich ist, sich zu langweilen.
Irgendwelche aufkommenden musikalischen Erscheinungen der Stadt, die du gerade empfehlen kannst?
J: Meine Freunde haben eine Band namens Shapes and Sizes, die gerade ihr drittes Album aufnehmen. Trotzdem sind sie immer noch so etwas wie eine Neuerscheinung, weil sie eigentlich kaum jemand kennt. Ziemlich gute Band aus Montréal, die hoffentlich bald auf Welttournee geht. Es gibt viel Gutes aus dieser Stadt. Es gibt diesen Typen, Tim Hecker, mein Lieblingsmusiker überhaupt.
Ihr seid Headliner des diesjährigen Osheaga Festival in Montréal. Aufgeregt?
J: Das wird cool. Vielleicht ein bisschen komisch so ein riesiges Festival zuhause zu spielen. Das Komischste für mich wird allerdings sein, dass wir nach Pavement spielen, einer der Bands meiner Jugend. Aber Oshega ist ein schönes Festival, es ist sauber und angehnehm, kein brennener Müll oder so etwas und es ist mitten in der Stadt. Ich glaube das wird ein besonderer Tag für uns. Ich freu mich drauf.
Was unterscheidet das Publikum zuhause von dem in dem Rest der Welt?
J: Es ist hart zuhause zu spielen. In egal welcher Band ich jemals gespielt habe, zuhause ist das Publikum immer am schwierigsten. Zuhause muss man die Erwartungen der Leute erfüllen, die mich kennen, die Leute auf das Neue beeindrucken, die uns schon vorher etliche Male gesehen haben. Das Publikum hier sieht uns seit sechs Jahren, in denen wir ununterbrochen live gespielt haben. Da sind die Menschen, die dich schon zehn Mal gesehen haben und denken, das sollte nun die beste Show werden, die sie von Arcade Fire gesehen haben. Dieser Druck ist gut für die Band, umso mehr Mühe werden wir uns geben, diesen Anforderungen gerecht zu werden.