»Was ist das eigentlich, der österreichische Film?«
The Gap bat Mirjam Unger, Paul Poet, Nina Kusturica und Stefan A. Lukacs aka Istvan zum Gespräch über die Leidenschaft Film, die Herausforderung, Förderungen zu erhalten, Wünsche an die Kulturpolitik und Fragen nach Identität und Idealen.
von Barbara Fohringer, Michael MazohlWelche Möglichkeiten seht ihr, um das Publikum für den österreichischen Film zu begeistern?
Mirjam Unger: Der ORF spielt mittlerweile viele österreichische Filme um 20:15 Uhr. Da ist auch eine Bewegung drinnen, wobei harte Arbeit von uns FilmemacherInnen dahintersteckt.
Nina Kusturica: Genau. Ich denke aber, dass wir uns damit messen müssen, was für uns realistisch ist. Jeder Film soll natürlich sein Potenzial ausschöpfen, die Frage ist aber immer: Haben wir die Möglichkeiten dafür? Gibt es Ideen? Gibt es eine Verleihstruktur, die das ermöglicht? Viele Verleihe können es sich schwer leisten, auf österreichische Filme zu setzen, weil sie ein Tagesgeschäft haben und bei österreichischen Filmen mehr Arbeit investieren müssten.
Mirjam Unger: Aber die Presse spielt schon besser mit als früher. Wenn ein Film erscheint, werden nun vermehrt die FilmemacherInnen interviewt, es wird mehr zum Thema gemacht.
Paul Poet: Die Medien spielen stärker mit, aber es lesen auch weniger Leute Medien.
Nina Kusturica: Aber dafür gibt es nun soziale Netzwerke. Ich finde, es fehlen Initiativen, die die Medien- und Filmbildung auch schon in den Schulen integriert. Wir sehen den riesigen Bedarf, wenn wir unsere Filme bei Schulscreenings zeigen, es werden viele Fragen gestellt. Das müsste regelmäßig im Schulprogramm inkludiert werden.
Stefan A. Lukacs: Ich glaube, der Schlüssel ist die Zielgruppenarbeit. Das sieht man sehr gut zum Beispiel bei Marie Kreutzer, die eine Fanbase hat. Sie knackt regelmäßig die 40.000er-Marke, das ist ziemlich sensationell.
Nina Kusturica: Es wird wohl aber auch am Cast und den AutorInnen liegen.
Stefan A. Lukacs: Ich denke, es gibt ein gewisses Potenzial bei FM4-HörerInnen und Der Standard-LeserInnen, die sich eben auch einen Marie Kreutzer-Film ansehen und die man gut ins Kino locken kann. Vor allem, wenn man Themen bearbeitet, die aus deren Lebenswelt entspringen, wie es Marie Kreutzer macht. Bei »Die Migrantigen« hat das ebenso super funktioniert: Die haben klar ihr Publikum definiert.
Mirjam Unger: Josef Hader ist auf jeden Fall der einzige österreichische Kinosuperstar.
Nina Kusturica: Bei dem man sicher sein kann, dass seine Filme Erfolg haben werden.
Stefan A. Lukacs: Auf ihn können sich einfach alle einigen.
Mirjam Unger: Bislang gab es meistens eine Person, meistens war es ein Mann, der Starqualitäten hatte. Da könnte es noch mehr geben. Wir sollten uns dafür öffnen, Stars zu haben und zu machen.
Paul Poet: Das war immer der Traum, mit Josef Hader ein Starsystem ähnlich wie in Deutschland aufzuziehen, das hat bei uns bisher nur beschränkt funktioniert.
Mirjam Unger: Michael Ostrowski ist ebenso jemand, der Menschen ins Kino bringen kann.
Paul Poet: Ich glaube, das Wichtigste ist aber, jenseits von bekannten Namen, nicht allen Mustern zu entsprechen und sich eine gewisse Lebendigkeit und Authentizität zu bewahren. Das war für mich auch das Erfolgsrezept bei »Die beste aller Welten« – nicht umsonst neben meinem Favoriten »Hagazussa« der beste heimische Film des letzten Jahres. Beide abseits der üblichen Fahrwasser hergestellt. Es sollte eben mehr Filme geben, die abseits des Systems funktionieren.
Mirjam Unger: Filme wie diese funktionieren gut, weil wir FilmemacherInnen eine Zeit lang – und das sind meistens mehrere Wochen – mehrere Stunden pro Tag aufwenden, um in die Presse zu kommen, auf Facebook alles abzuchecken und so weiter. Und das unbezahlt. Das ist auch energetisierend, spannend und toll. Wir sind voller Leidenschaft, aber eigentlich ist es eine Situation, die so nicht geht.
Nina Kusturica: Es steckt sehr viel persönliches Engagement dahinter und man beginnt immer wieder bei Null.
Stefan A. Lukacs: Weiß jemand von euch, warum man so wenig Verleihförderung bekommt? Warum wird so wenig Geld für Verleihförderung, also genau für diese Arbeit, ausgegeben? Woran liegt das? Ich verstehe das nicht.
Nina Kusturica: Ich möchte jetzt nicht die Argumente der Förderstellen wiedergeben. Es geht ja um die Fragen: In welcher Umgebung und Verwertungslandschaft leben wir? Hier geht es natürlich um Filmpolitik. Welche Strukturen möchte sie ermöglichen und schaffen? Welche Ideen gibt es? Da fehlen bisher echte Visionen.
Paul Poet: Die Verwertungslandschaft ist eigentlich sehr mager. Das liegt daran, dass viele der Meinung sind, man mache erst Geld, wenn man 200.000 ZuseherInnen hat – und da waren wir alle noch nicht dort. Wir beide (deutet zu Nina Kusturica) sowieso nicht. Wie viele ZuseherInnen hattest du bei »Maikäfer flieg«, Mirjam?
Mirjam Unger: So um die 80.000.
Paul Poet: Das ist schon ordentlich, aber es ist noch immer nicht an dieser Schwelle.
Mirjam Unger: Aber im Fernsehen waren es dann 800.000. Das ist ja Wahnsinn, was da noch gehen würde.
Paul Poet: Klar, aber die Verleihe strengen sich nicht so an. Man hat eben einen gewissen Etat, den man ausschöpft und fertig.
Mirjam Unger: Bei mir hat sich der Verleih sehr angestrengt, es war eine super Zusammenarbeit.
Nina Kusturica: Die Frage ist größer als der Verleih. Ich glaube, es ist eine filmpolitische Frage: Was wird dem Verleih ermöglicht?
Mirjam Unger: Ich glaube sogar, dass sich wirklich viele bemühen. Wir bemühen uns eigentlich alle sehr und engagieren uns sehr. Im Verleihwesen trifft man viele Menschen mit Leidenschaft.
Habt ihr Einschätzungen darüber, wie sich Österreichs Kulturpolitik durch die neue Regierung verändern könnte?
Nina Kusturica: Der Kulturteil im neuen Regierungsprogramm ist sehr allgemein gehalten.
Mirjam Unger: Ich denke, wir haben Aufgaben. Wir haben die Aufgabe, selbst Visionäre und Visionärinnen zu sein.
Stefan A. Lukacs: Ich würde mir nun wünschen, dass mehr Anreize für die Privatwirtschaft geschaffen werden, um in den Kulturbereich zu investieren. Ich möchte nicht alles schwarzmalen, es gibt auch Chancen mit der neuen Regierung. Ich hoffe, sie nehmen diese Chancen wahr.
Paul Poet: Ich glaube, wir FilmemacherInnen sind relativ irrelevant für die Regierung.
Stefan A. Lukacs: Ich glaube ebenso, dass wir ein bisschen Glück haben, dass die Filmförderung erst relativ spät Thema für die Regierung sein wird. Die haben nun andere Schwerpunkte. Jetzt kommt einmal erst der ORF dran. Wobei uns das ja auch wiederum betrifft.
Paul Poet: Wer da umgefärbt wird oder wer wen politisch manipuliert, das kann man noch nicht abschätzen, aber das ist natürlich alles möglich. Vorläufig stehen die Institutionen relativ stark für sich da und wurden noch nicht angegriffen, aber falls das passieren sollte, gibt es ja ein paar Leute, die sicher Position beziehen werden bzw. gab es ja letztens beim Österreichischen Filmpreis die #klappeauf-Aktion. Es ist eine wichtige Chance, sich nun für Privatfinanzierungen zu öffnen, die gibt es ja in anderen Ländern bereits. Im Prinzip wäre es ideal, eine Kombination aus Privatgeldern und staatlichen Geldern zu haben. Die Befürchtung ist eben nur: Wenn es sich jetzt Richtung Privatförderung öffnet, dass dann die staatlichen Gelder zurückgezogen werden.
Nina Kusturica: Die Filmbranche muss sich auch die Frage stellen, wie gesellschaftlich relevant die geförderten Filme sind. Bisher spiegeln die durch Steuergeld geförderten Filme die gesellschaftliche Realität nicht wider. Es ist noch immer ein weißer, männlicher Film, der gefördert wird. Wien hat einen MigrantInnenanteil von 35%, dennoch werden Filme finanziell unterstützt, in denen nahezu ausschließlich ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund vorkommen. Wichtig ist ebenso die Frage: Wer darf sprechen? Wer darf überhaupt Filme machen?
In euren filmischen Arbeiten sind Spuren des Politischen zu finden. Inwiefern sind für euch und eure Arbeit Politik und Kultur verbunden? Kann das eine ohne das andere überhaupt existieren?
Nina Kusturica: Der Film reflektiert die Gesellschaft, aber er reflektiert auch auf die Gesellschaft. Filme transportieren Geschichten, die uns wieder etwas glauben machen. Dadurch steckt automatisch eine politische Verantwortung dahinter. Es ist nur so: Wie geht man mit dieser Frage um? Jeder wohl auf seine eigene Art. Ich möchte mir diese Frage immer stellen. Ich finde, es ist ein Privileg, Filme machen zu dürfen, und ich möchte damit behutsam umgehen.
Mirjam Unger: Sobald du mit Medien arbeitest, sobald du sendest, sendest du. Und das ist nicht von ungefähr, dass die technische Revolution, die Verfeinerung der Mikrofonie, des Filmwesens, des Radios gleichzeitig in den 1930er Jahren mit dem Aufkommen der Nazis stattfand. Auch jetzt sind wir mit großen technischen Entwicklungen konfrontiert, wir können auf ganz andere Weise senden, jeder von uns. Das heißt: Wir FilmemacherInnen haben immer eine politische Verantwortung.
Paul Poet: Es gibt kein unpolitisches Kino, auch eskapistische Unterhaltungs-Filme haben eine politische Position. Die Frage ist nur, ob man den Film als Kampfmittel oder als aufklärerisches Mittel einsetzt. Es geht immer auch um eine persönliche Überzeugung, die enthalten ist, eine Beschäftigung mit der Welt, die automatisch politisch ist. Die Frage ist, ob man das offenlegt oder nicht. Ich mag es offengelegt.
Mirjam Unger: Ich möchte zum Abschluss noch Folgendes anmerken: Ich habe irgendwie ein Problem mit dem Begriff österreichischer Film. Ich fühle mich am ehesten – wenn man es eingrenzt – als europäische Filmemacherin. Ich finde es sehr schwierig, das so national zu begrenzen, denn Film ist – ähnlich wie Musik – eine universelle Sprache.
Nina Kusturica: Vor allem sucht man ja seine Geschichten nicht unbedingt in Österreich aus oder mit in Österreich geborenen AkteurInnen. In meinem letzten Film »Ciao Chérie« wird fast gar nicht Deutsch gesprochen, es kommen keine weißen Menschen darin vor, aber es ist trotzdem ein Film, der in Ottakring spielt und als österreichischer Film gilt. Deswegen tu ich mich auch schwer damit: Was ist das überhaupt, der österreichische Film?
Stefan A. Lukacs: Ich fühle mich ebenso überhaupt nicht als österreichischer Filmemacher. Ich bin Österreicher und Filmemacher. Ich bin in vielen Dingen schon stolz auf unser Land, aber ich bin kein Patriot und würde nie auf die Idee kommen, dass ich österreichischer Filmemacher bin. Ich finde das auch nicht relevant. Es ist immer zu wenig, finde ich, wenn ein Film österreichisch ist, denn ein Film muss aus sich heraus irgendetwas Spezielles bieten, sodass er mich interessiert. Das reicht es mir nicht zu sagen: Das ist ein Film, der ist deswegen speziell, weil er aus Österreich kommt. Warum sollte das in irgendeiner Form speziell sein? Es ist ja auch nicht speziell, wenn ein Film aus Lettland, Island oder den USA kommt.
Mirjam Unger: Weil du gerade Lettland ansprichst: Da erzählt mir jemand, der sich dort gut auskennt, von etwas, dass ich so nicht wissen kann. Auf diese Weise könnte ich mich noch eher damit identifizieren.
Nina Kusturica: Vielleicht geht es mehr um Regionalität als um Nationalität.
Mirjam Unger: Es wird ja auch immer gesagt: Mach Filme über Begebenheiten, die du wirklich kennst. Wenn ich Wienerin bin und hier mein Leben verbracht habe, dann kann ich gut Geschichten aus Wien erzählen. Aus diesem Blickwinkel kann ich mich dem Begriff österreichischer Film nähern. Das Großartige ist ja auch, dass du mit Filmen Grenzen sprengen kannst, indem du zum Beispiel mit Menschen zusammenarbeitest, die von überall sind.
Stefan A. Lukacs: Das stimmt.
Nina Kusturica: Kompromiss!
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