Was sind wir Menschen doch für Leute

Was ist das Böse? Warum morden Menschen oder erschiessen andere, weil sie eine andere Religion haben? Stefan Ruzowitzky geht diesen Fragen in seinem neuesten Film nach. Wir haben ihn und Patrick Pulsinger, der die Musik gemacht hat, interviewt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Stefan Ruzowitzky?

Patrick Pulsinger: Stefan kenne ich schon seit Anfang der 90er Jahre, als er noch fürs Fernsehen gearbeitet hat.

Als er dann mit "Tempo" 1996 seinen ersten Kinofilm gemacht hat, hat er mich nach Musik gefragt und ich habe ihm damals den Soundtrack zusammengestellt und auch ein paar Stücke für den Film komponiert. Die Zusammenarbeit war damals schon sehr entspannt und angenehm.

Was hat dich an dem Thema des Dokumentarfilms gereizt?

Musik für eine Dokumentation zu machen ist handwerklich immer eine andere Geschichte als für einen Spielfilm. Wenn es dann noch um so ein ernstes, sehr emotionales Thema wie den Holocaust und Massenmord geht, dann ist das viel schwieriger und man überlegt sich sehr genau, wie man hier vorgehen kann. Kaum ein anderes Thema wird so heftig diskutiert und steht zu recht im Zentrum von Diskussionen.

Die Meinungen dazu, wie man sich dieser Thematik nähern sollte, liegen teilweise stark auseinander. Ich hatte zu Beginn meiner Arbeit keine Bilder zur Verfügung und musste mich an die vorläufigen Ideen von Stefan halten. Das war eigentlich nicht schlecht, da ich die ersten Ideen zur Musik etwas abstrakter, abgekoppelter von den Bildern im Film entwickeln konnte. Mir war einerseits klar, dass Stefan versuchen wird sich diesem Thema auf seine eigene Art zu nähern, dass aber im Endeffekt ein Film entsteht, der die Zuschauerinnen und Zuschauer erschüttern, aufwühlen und aufrütteln soll und wird. Daran mitzuwirken, empfand ich als sinnvoll und als Herausforderung.

Einerseits blickt man technisch und sachlich auf die Aufgaben, andererseits geht’s um echtes Leid. Keine leichte Situation.

Hatte Stefan Ruzowitzky Vorstellungen davon wie die Musik sein sollte oder hatte er dir freie Hand gelassen? Und welche Ansprüche hast du an dich selbst gestellt?

Stefan Ruzowitzky kommt immer mit einer sehr klaren Vorstellung, wo die Reise hingeht, das schätze ich auch sehr an ihm. Bei unserem ersten Telefonat – ich glaube er war da noch in Los Angeles wegen seiner vorigen Regiearbeit – hat er mir seine Vision der Doku erzählt und mich gefragt, ob ich mir dazu düstere elektronische Musik vorstellen könne. Er wollte bewusst auf stereotype Untermalung, wie sie oft bei dieser Thematik gewählt wird, verzichten: keine Trauermusik, kein abstrakt kratzendes Cello, sondern eine pumpende dichte Walze, die Wort, Text und Bild nicht zu stark kommentiert. Die Zuschauer sollten auf eine beklemmende Reise mitgenommen werden.

Wie weit unterscheidet sich deine Arbeit an der Musik für einen Non-Fiction Film zu einem Spielfilm? Gibt es diese Unterschiede für dich überhaupt?

Ja, wie ich oben bereits angesprochen habe, sehe ich hier große Unterschiede. Im Spielfilm soll die Musik emotionale Höhepunkte oft verstärken, eine Szene in das ein oder andere Licht rücken, manchmal sogar Schwächen im Drehbuch oder im Schnitt kompensieren. Da wird oft mit Kitsch und Zitaten nicht gespart. Manchmal beleuchtet eine Musik die Handlung auch genial auf eine unerwartete Art und Weise und auch einem sehr ersten Thema darf man sich unkonventionell nähern, finde ich. Der Grad ist aber eher schmal und wenn die Musik zu eigenständig erzählerisch fungiert, ist es oft schon zu viel des Guten. Ich glaube, dass eine starke Vision seitens der Regie, die dann auch im Schnitt konsequent durchgezogen wird, von der Musik noch unterstrichen werden kann, auch in einem Non-Fiction Film.

Hat der Film bei dir quasi eine Wissenslücke geschlossen oder hattest du dich schon davor mit den interviewten Personen, der Erschießungen in Osteuropa, der Organisation "Yahad – In Unum" beschäftigt?

Der Film hat in der Tat eine gewisse Lücke geschlossen … Ich wusste zwar, dass es nicht nur in den Vernichtungslagern zu diesen unvorstellbaren Zahlen an zivilen Opfern gekommen ist.

Es gibt genug Literatur, die sich mit dieser Thematik und mit der Rolle von "einfachen Soldaten" im Rahmen der Massenvernichtung von unschuldigen Menschen beschäftigt. Gräueltaten an der Bevölkerung gibt es in Kriegsgebieten bis heute. Wenn im Film dann aber die Dokumente und Aufzeichnungen das Ausmaß dieser Taten in doch recht nüchternen Zahlen belegen, dann stellt sich wohl jedem die Frage: Wie war das möglich? Und führt uns zu einer weiteren zentralen und vielleicht noch wichtigeren Frage des Films: Wäre das heute wieder möglich und wie würde ich mich verhalten? Wie Stefan Ruzowitzky in einem Publikumsgespräch sagte: "Leider kann dieser Film am Leid der Opfer von damals nichts ändern, aber er soll uns vor Augen führen, was Menschen jederzeit anderen Menschen antun können.

Was denkst du ist das radikal Böse?

Das radikal Böse fängt dort an wo eine Gruppe von Menschen eine andere als minderwertig betrachtet. Das wird ja im Film auch so gesagt und gezeigt: Wenn die Regeln des friedlichen Zusammenlebens aufgehoben werden und falsches Verhalten ohne Konsequenzen bleibt, Hass und Abgrenzung sogar noch geschürt werden, treten oft die übelsten, finstersten Verhaltensmuster zu Tage. Ich fürchte das trifft auf die meisten Menschen zu.

Spätestens während des Nachspanns registriert man, dass – wenn einem deine musikalische Arbeit bekannt ist – die Musik von dir stammt. Findest du selbst, dass Musik von Pulsinger wie Pulsinger klingt?

Das kann ich wirklich nicht so gut beantworten … wahrscheinlich schon. Kunstschaffende entwickeln mit der Zeit eine gewisse Sprache, die sie im Idealfall von anderen unterscheidbar macht. Bei Einigen ist das klarer erkennbar, bei anderen erst auf den zweiten Blick. Ich hab mich nie besonders darum bemüht, aber ich glaube eine Handschrift kommt mit der Zeit einfach von selbst. Viel wichtiger finde ich, dass man immer wieder in der Lage ist zu überraschen.

Wie war dein Geschichtsunterricht in der Schule? Hast du solche Themen vermissen müssen?

Meine schulische Bildung war zweigeteilt. Die ersten Jahre habe ich ja in der ehemaligen DDR verbracht und dort eine Geschichtsschreibung kennen gelernt, die natürlich auf die Ideale des Kommunismus zugeschnitten war. Das war zwar bereits für ein Kind recht offensichtlich einseitig, wurde aber nicht hinterfragt, zumindest nicht von uns Kindern.

Antifaschismus würde dort bereits mit der Muttermilch verabreicht und das Thema 2. Weltkrieg war natürlich ein großes. Hier wurde immer aus der Siegerperspektive berichtet. Die Sowjetunion als Befreier, Freund und Garant für Frieden und Freiheit. Das war natürlich reine Propaganda und in Verbindung mit fast militärischem Drill, Fahnenappellen und dem Singen von Heldenliedern nicht ohne Wirkung.

Als ich dann Anfang der 80er Jahre nach Österreich kam, wurde mir eine leicht andere Sicht auf die Geschichte vermittelt. Es wurde sich viel mehr der Zeit der Völkerwanderungen, dem Aufstieg und Fall von Österreich-Ungarn und dem ersten Weltkrieg gewidmet. Die Nazizeit war bestens eine Randnotiz. Was mich schon sehr gewundert hat, erklärt sich aus heutiger Sicht aber von selbst. Als dann der eiserne Vorhang 1989 fiel und meine Altersgenossen in den neuen deutschen Bundesländern massenhaft Neonaziparteien, meist aus dem Westen, auf den Leim gingen, war ich endgültig verwirrt und verunsichert. Toleranz und Menschlichkeit kann also nicht nur gepredigt werden, sie muss gelebt sein.

Was sind deine nächsten geplanten Projekte?

Mein grösstes kommendes Projekt ist im Februar Papa werden und dann mal richtig fett im Sommer in Karenz gehen. 🙂

"Das radikal Böse" von Stefan Ruzowitzky läuft derzeit im Kino.

www.dasradikalboese.wfilm.de

Bild(er) © Ruzowitzky: docMovie / Christoph Rau, Pulsinger: Lukas Gansterer, docMovie / Chistoph Rau, Historisches Archiv Zhovka, Sammlung Emil Domanskyy, Filmladen Filmverleih
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