Wenn beim Song Contest gesungen wird, geht es manchmal um mehr als nur ein Lied heut Nacht. Es geht um uns alle und wie wir sein wollen.
"Es ist alles Politik" ist ein Satz, den man in Zusammenhang mit dem Eurovision Song Contest (ESC) öfter hört. Meistens ist damit der Zusammenhalt ehemals verfeindeter osteuropäischer Staaten gemeint, die sich – egal wie bizarr die Performance war – gegenseitig stets die meisten Punkte geben. Das sogenannte Block-Voting ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs, denn der ESC ist eine riesige Zurschaustellung sogenannter Cultural Diplomacy. Im besten Fall geht es bei diesem Begriff darum, der Welt durch Kultur – also Kunst, Musik, Literatur – sein eigenes Land vorzustellen und so ja wirklich Brücken zu anderen Nationen zu bauen.
Realistisch betrachtet, und das lässt sich bei Veranstaltungen wie dem ESC gut beobachten, versuchen Staaten stattdessen eher ein Image zu bewerben, dass sie in der Welt gerne hätten. Das aktuellste Beispiel dafür ist wohl Conchita Wurst, mit deren Teilnahme Österreich ein Bild von einem toleranten und weltoffenen Land zeichnete, das wir – sind wir uns ehrlich – erst noch werden müssen.
Der ESC hat in der Vergangenheit auch neuen europäischen Staaten dazu gedient, sich Europa vorzustellen. Als die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Slowenien, Kroatien und Bosnien Herzegowina 1993 seine Bühne stürmten, befanden sich Kroatien und Bosnien noch mitten in einem Krieg, der große Teile des Westbalkan in Schutt und Asche legte und zahllose Menschenleben forderte. Der für Bosnien antretende Sänger Fazla sang damals "Sva Bol Svijeta", was so viel heißt wie "All der Schmerz der Welt" und Zeilen enthielt wie "All der Schmerz der Welt ist heute Nacht in Bosnien / Ich bleibe, um dem Schmerz zu trotzen und habe keine Angst, mich gegen eine Mauer zu stellen / Ich kann singen, ich werde gewinnen". Bosnien bekam damals keinen einzigen Punkt von Kroatien und Slowenien und landete auf Platz 16 von 25.
Kosovo x Albanien
Dass man trotz Krieg und Zerstörung Zeit hatte, an eine Teilnahme bei Europas größter Bad Taste Party zu denken, zeigt, wie ernst manche Staaten den ESC nehmen. Es ist beinahe so als gäbe es ein ungeschriebenes Gesetz, demzufolge man erst ein Staat ist, wenn eine aufgedonnerte Volltussi mit falschen Wimpern im Fernsehen die Wertung seines Landes ins ESC-Studio durchgibt. Ein Land, das bisher gescheitert ist, dies zu erreichen, ist der Kosovo.
Bereits seit seiner Unabhängigkeitserklärung von Serbien 2008 bemüht sich der öffentlich-rechtliche Fernsehsender RTK um die Aufnahme in die European Broadcasting Union, denn nur deren Mitglieder dürfen am ESC teilnehmen. Für eine Mitgliedschaft müsste man aber zuerst bei der Internationalen Telekommunikations-Union ITU Mitglied sein und das dürfen wiederum nur Mitglieder der Vereinten Nationen, von denen der Kosovo bis heute nicht anerkannt ist. Allerdings trickste Albanien 2012 das System aus und schickte die kosovarische Sängerin Rona Nishliu ins Rennen, die Balkan-Twitteria überschlug sich vor Euphorie und Feindseligkeit.
Armenien x Aserbaidschan
Territorialstreitigkeiten sind beim ESC nichts Exotisches. Während des Halbfinales 2009 eskalierte die ohnehin angespannte Situation zwischen Armenien und Aserbaidschan innerhalb des ESC. Armenien hatte in seinem Vorstellungsvideo ein Bild des Tatik Papik-Monuments gezeigt. Das Problem? Das Ding steht in der selbsterklärten Republik Berg-Karabach, ein Stück Land, das zwar von Armeniern bewohnt ist, dessen Unabhängigkeit von Aserbaidschan aber mit Ausnahme von Armenien kein Staat der Welt anerkennt.
Auf die Beschwerde Aserbaidschans hin musste das Video für das Finale geändert werden. Als es jedoch Zeit für die Punktereihung war, schlug Armenien zurück und die Vorjahreskandidatin Sirusho verlas ihre Punkte vor einem riesigen Screen, auf dem das Monument abgebildet war, und hob dann provokativ ihr Clipboard, auf dessen Rückseite sich ebenfalls ein Bild des Tatik Papik befand. Wenig überraschend schenken sich die beiden Länder Jahr für Jahr gegenseitig 0 Punkte. Doch 2009 berichtete die BBC, dass einige der 43 Menschen in Aserbaidschan, die dem Nachbarstaat dennoch ihre Stimme geben wollten, von der Polizei verhört wurden. Sie wurden beschuldigt, unpatriotisch und ein potenzielles Sicherheitsrisiko zu sein. Drei Jahre später sagte Armenien seine Teilnahme am Bewerb überhaupt ab, da der ESC 2012 in Aserbaidschans Hauptstadt Baku stattfand.