Waves Vienna 2019: Das war Tag 1

The Gap und Waves Vienna – das ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch eine innige Angelegenheit. Soll heißen: Wir teilen uns nicht nur den organisatorischen Background (selbes Unternehmen, selbes Büro), sondern haben auch beide große Freude an neuer Musik, frischen Acts und langen, bunten Konzertnächten voller musikalischer Entdeckungen. Pia Gärtner und Dominik Oswald vertreten The Gap heuer »im Feld« und berichten von ihrem Festivalerlebnis.

Das Waves Vienna! Wo sonst sieht man schon lange nicht gesehene Gesichter, mit denen es sich – herrlich arrogant – fachsimpeln lässt? Hier werden Besserwisserdiskussionen ausgekämpft: »Wer ist nun besser? International Music oder doch die Düsseldorf Düsterboys?« Es werden Gespräche über allzu ungerechte Hypes oder der alltägliche Festival-Smalltalk geführt: »Wen schaust du dir heute noch an?« Es ist ein Festival von, mit und für Freundinnen und Freunde. Wie ein kleines Zuhause, quasi. Und ja, es finden sich auch heuer wieder einige Entdeckungen.

Das Moped © Alexander Galler

Das Moped

Der kleine Kalauer sei verziehen: »Bist du Moped!«, ist die Open Air Stage bei der deutschen Gruppe, die durchaus schon für reichlich Aufsehen in der Indie-Szene gesorgt hat, gut gefüllt. Die Stage im Hof der HLMW Michelbeuern, die noch immer ein wenig den Charme einer Bühne eines x-beliebigen Uni-Festes verströmt – positiv gemeint –, ist ja immer ein bisschen Garant für Ekstase. Wer damals etwa bei Chuckamuck dabei war, wird diesen Auftritt wohl kaum je vergessen. Auch Das Moped, die ein bisschen wie unironische Die Kerzen klingen, sind für den Exzess gemacht. Neon ist hier Key, apropos: Keyboard, Keytar – ganz stilecht mit offenem Hemd – und lange Haare: Die Gruppe lässt sich nicht lumpen und lädt mit ihrem Synthie-Pop durchaus zum Tanzen ein. »Wenn du ehrlich bist«, die letzte Nummer und ihr Hit, entlässt das Publikum schwärmerisch-schwelgend in die Nacht.

Mayberian Sanskülotts © Patrick Münnich

Mayberian Sanskülotts

Die ungarische Gruppe Mayberian Sanskülotts ist im Rahmen des diesjährigen Ungarn-Schwerpunkt Teil von Waves Vienna. Popkultur treibt ja häufig in unterdrückten politischen Systemen besondere Blüten, auch die Budapester Band überzeugt im WUK Foyer mit träumerischem Indie-Pop, der entfernt an The Cranberries erinnert und mit der mitunter hohen Stimme auch gar opernhafte Züge trägt.

Good Wilson © Hannah Tögel

Good Wilson

Wie immer am Waves Vienna darf auch eine österreichische Gruppe, die gerade für Höchstgefühle in der Hype-Community sorgt, nicht fehlen: Vor allem »Divine«, die aktuelle Nummer von Good Wilson, sollte mittlerweile jeden Facebook-Feed erreicht haben. Gekleidet wie immer in abgestimmten roten Harrington-Blousons auf weißem Unterkleid exerzieren die Graz-Wiener klassischen Gitarrenrock, der an die Höchstphasen des Classic Rock erinnert (wer »A Horse With No Name« liebt – und wer tut das nicht? – wird zumindest Interesse an Good Wilson haben), aber auch gernetypischen Americana-Einschlag hat – hier schwingt zumindest die Polkov-Vergangenheit von Mastermind Günther Paulitsch mit. Großartig!

Petrol Girls © Alexander Galler

Petrol Girls

Auch die Petrol Girls, ein nationenübergreifendes Projekt – wobei: No borders, no nations! – aus Graz, Großbritannien, Litauen und – natürlich! – Wiener Neustadt, wissen zu überzeugen: In glitzerenden Hotpants geht’s mit extrem straighten Post-Hardcore der alten Schule allem an den Krangen. So entstehen nicht nur die härtesten Klangbilder am Waves Vienna seit dem legendären Auftritt von Zeal & Ardor, sondern auch einige In-die-Fresse-Momente gegen Diskriminierung: Dass trotz des Aufrufs, dass insbesondere Non-binary-Personen die ersten Reihen im Publikum der großen WUK Halle besetzen sollen, pogende Typen rumspringen, ist ein weiterer Beweis dafür, dass es diese Ansagen gegen diese toxischen Männlichkeiten benötigt. An dieser Stelle sei etwa auch an Dives’ Nummer »Chico« und das Verhalten der männlichen »Fans« dabei erinnert.

Kerosin95 © Hannah Tögel

Kerosin95

Wir wissen: Das Waves Vienna macht tendenziell vieles richtig. Etwas ungünstig ist dennoch die Gleichzeitigkeit der Shows der Petrol Girls und von Kerosin95, dem aktuellen Star des feministischen Hip-Hop in Österreich: Die Musik ist zwar gänzlich anders, verschiedener könnte sie wohl gar nicht sein, die Zielgruppen überschneiden sich aber dennoch ziemlich. Trotz Tonproblemen – es gibt nicht »den vollen Kerosin-Sound« zu hören –, ist die Luft vor der Ottakringer Stage in der HLMW Michelbeuern kochend heiß. Die erste Nummer, die der Coverstar der aktuellen und natürlich am Waves Vienna erhältlichen Ausgabe von The Gap, mit Band und neongrüner Mütze vorträgt, ist »Hass« – womit auch die gesamte Linie des Auftritts vorgegeben ist: gegen alles und jeden. Ein Showcase-Festival als Ort der zielgerichteten Kritik am alltäglichen Grauen.

International Music © Anna Zehetgruber

International Music

Die Quasi-Headliner und damit gar nicht so heimlichen Lieblinge des Abends sind International Music aus der schönen (?) Stadt Essen. Der Hype der Stunde im letzen Jahr, mit mehr 5-Sterne-Bewertungen als Uber-Fahrer, der im Sommer 2018 bereits im Böhmischen Prater zu bestaunen war, schart einige Die-Hard-Fans in der großen Halle im WUK um sich. Hier werden Songs noch mitgesungen, am Waves Vienna hört man das auch nicht alle Tage. Die großen Hits wie etwa »Metallmädchen« werden alle gespielt, auch die Nicht-Kenner werden vom surfy Gitarrensound, der zum allgemein recht beeindruckenden Klangbild – schließlich sind International Music ja nur zu dritt – einiges beiträgt. Etwas schade, aber natürlich auch verständlich: Der beste Song ihrer Zweitgruppe, die im Oktober auch endlich ihr Debüt veröffentlicht, »Teneriffa« von The Düsseldorf Düsterboyswird nicht gespielt – es handelt sich (fast) um dieselben Personen, aber eben um ein anderes Projekt.

MNNQNS © Alexander Galler

MNNQNS

Bevor die Nacht zu noch mehr Schabernack und Schandtaten verführt, geben sich die Franzosen von MNNQNS noch die Ehre im WUK Foyer. Postpunk mit Mitsingfaktor hört man auch eher selten. Die Langhaarfrisuren und Frank-Zappa-T-Shirts könnten einem Pinterest-Board entsprungen sein und sind zum Niederknien – mit ihrer auf Exzess und durchaus auch ganz schön hart rausgeprügelte Rockmusik, die klar nach Sex, Drugs und eben Rock ’n’ Roll riecht. Auch wenn noch mancherorts Schlussakkorde angestimmt werden: Ein besseres Ende für den ersten Tag kann es fast nicht geben. Nur: Wie soll man – auch das Publikum am Waves wird gefühlt älter – das noch zwei Tage aushalten?

Das Festival Waves Vienna 2019 findet noch bis 28. September im und rund ums WUK in Wien statt.

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