The Gap und Waves Vienna – das ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch eine innige Angelegenheit. Soll heißen: Wir teilen uns nicht nur den organisatorischen Background (selbes Unternehmen, selbes Büro), sondern haben auch beide große Freude an neuer Musik, frischen Acts und langen, bunten Konzertnächten voller musikalischer Entdeckungen. Pia Gärtner und Dominik Oswald vertreten The Gap heuer »im Feld« und berichten von ihrem Festivalerlebnis.
Den Anfang macht dieses Mal Dominik …
Der zweite Tag am Waves Vienna ist mitunter der schwerste: Während man sich am Vortag noch genüsslich den Genussmitteln hingegeben hat, ist jene Hingabe am Folgetag häufig aus körperlichen Gründen kaum möglich. Ein Glück, dass auch der Freitag wie gewohnt mit einigen großartigen KünstlerInnen aufwartet.
Vögel die Erde essen
Sämtliche katerbedingten Zweifel, ob der Tag aushaltbar ist, werden gleich zu Beginn weggeblasen. Die tolle Gruppe Vögel die Erde essen bespielt nämlich die Open Air Stage, deren Sitzgelegenheiten heute so begehrt sind wie fetthaltiges Fastfood – auch vor Ort erhältlich. Und sie machen es vor: Es gibt keine Kompromisse. Weder bei der Kleidung – die drei Berliner stecken in Hemden von vor 30 Jahren und sind kurzbehost – noch bei der Musik. Auch wenn das im April erschienene zweite Album »Die goldene Peitsche« deutlich softere Töne anschlägt – ob das die extra angereiste Fangruppe vom ersten Wien-Konzert im Das Bach goutiert, bleibt unbeantwortet –, die Gruppe begeistert mit funky Licks und hohen Kopfstimmen, mit denen sie auch den »Mount Everest«, eines der zahlreichen Highlights, erklimmen könnten. Das fängt ja schon einmal gut an.
Titus Probst
Kommen wir zum Negativen eines jeden Festivals: die Entscheidungen. Zeitgleich bespielt nämlich Titus Probst die Hakuma Stage. Na klar, ironischer Wave-Schlager ist – zum Glück! – gerade groß in Mode, jeder sollte das lieben. Der Grazer ist mit Seidenhemd mittlerweile zum optischen Ebenbild des frühen Heinz-Rudolf Kunze mutiert und entwickelt mit seiner tiefen Stimme, den wavigen Beats vom Band und einer – gelinde gesagt, aber positiv gemeint – polarisierten Bühnenpersona hohes Potenzial als Kultfigur. Das ist ganz stark!
Do Nothing
Kleiner Tipp fürs nächste Mal: Bitte für die Ottakringer Stage ein Re-Branding überlegen. Denn: Erfrischend ist es hier nicht. Der Raum ist – wie immer – stickig und heiß, die mit Klamotten aufgeschichtenen Arme der klugerweise im Zwiebellook gekleideten Festivalbesuchenden leisten Schwerarbeit im Sinne der Schwerarbeitverordnung. Sänger Chris Bailey kann es nichts anhaben, er ist in feinstem Zwirn gekleidet. Der junge Jarvis Cocker – mit dem sich Bailey auch die Ausdrucksweise und Mimik teilt – hätte wohl zu Ähnlichem gegriffen. Der Gesang ist durchdringend, was nicht nur an der nicht gerade prickelnden Akustik im Saal liegt. Die Gruppe aus Nottingham, die bereits beim Reeperbahnfestival für reichlich Trubel sorgte, präsentiert auch in Wien zwar handelsüblichen, aber dennoch durchwegs gefälligen Indie-Rock, wenngleich jener wegen zu vieler Breaks temporär noch unentschlossen wirkt.
The Stroppies
Wir können uns den »Kangaroos in Austria«-Schmäh eigentlich sparen, aber: Die Stroppies sind aus Australien und spielen auf der Open Air Stage das Abschlusskonzert ihrer dreimonatigen Tour durch Europa. Die Sitzgelegenheiten kann man hierbei getrost beiseite räumen, denn die vier präsentieren träumerischen Indie-Rock mit Zwiegesang, erinnern dabei an The War On Drugs und unendliche Roadtrips durch das amerikanische Hinterland. Das sympathisch vorgetragene Slacker- oder gar Losertum ist allgegenwärtig, das Klangbild passt in jeden Michael-Cera-Film der letzten zehn Jahre. Stark!
Marissa Nadler
Erwartungsgemäß ruhiger geht’s bei der amerikanischen Singer-Songwriterin zu, als einer der größten Namen des heurigen Festivals füllt sie die ohnehin stets prima besuchte, aber manchmal auch von dauerquatschenden Gästen vollgelaberte große Halle gut aus, erst recht als die ersten und einzigen Regentropfen auf das Festivalgelände fallen. Ihre seidene, häufig auch gehauchte Stimme gibt dem ohnehin reduzierten Klangbild – auf der Bühne instrumentiert durch zwei elektrische Gitarren – eine traumwandlerische Aura, die auch vollste Aufmerksamkeit benötigt.
Penelope Isles
Die vierköpfige Gruppe von der Isle Of Men startet in der großen WUK Halle im Vorschuss mit mehr Lorbeeren als man auf den Fred-Perry-Polos beim Mod-Weekender in Rimini sieht. Das Programmheft erwähnt gar Ähnlichkeiten zu The Magnetic Fields, Deerhunter und – jetzt hör aber auf! – Radiohead. Schon mit den ersten Takten beweisen sie, dass nicht geflunkert wurde: Traumhaft schöner fuzziger Art-Rock mit Shoegaze-Anleihen, die schwelgerischen Gitarren und durchgetretenen Effektpedale laden zum In-die-Arme-Nehmen ein. Man spürt es: Dass Penelope Isles das größte Venue bespielen, ist nur würdig und recht. Der Gesang variiert dabei zwischen dem Geschwisterpaar Lily (Bass und Tasten) und Jack Wolter (Gitarre). Das ist nicht nur künstlerisch wertvoll, sondern angesichts der zunehmenden Zerklüftung der allgemeinen Hörgewohnheiten auch marketingtechnisch nicht falsch, um es weit zu bringen. Potenzial dafür ist auf jeden Fall vorhanden, das Debüt »Until The Tide Creeps In« dürfte sich in der ein oder anderen Bestenliste finden.
Go! Go! Gorillo
Apropos Mod-Weekender: Dort wären auch die österreichischen Beat-Surfer Go! Go! Gorillo gut aufgehoben. Die vier Herren, die den Altersschnitt am Festival, sowohl was Bands, als auch Besuchende angeht, drastisch erhöhen, bespielen das WUK Foyer und machen es am ansonsten eher von Songwriter-Pop und Dream-Rock geprägten Festivaltag zum Tollhaus. Die Instrumentalisten sind anfangs noch in Gorillamasken gekleidet – so hässlich sind sie gar nicht! –, während Sänger Martin Opitz von Anfang an wenig Gefangene macht: Angestachelt von treibendem und schwitzendem Schweinerock schreit er die Frage aller Fragen heraus: »Are you ready for Rock ’n’ Roll?«. Ja.
Weiter geht’s mit Pias Tag 2 …