Waves Vienna 2019: Das war Tag 3

The Gap und Waves Vienna – das ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch eine innige Angelegenheit. Soll heißen: Wir teilen uns nicht nur den organisatorischen Background (selbes Unternehmen, selbes Büro), sondern haben auch beide große Freude an neuer Musik, frischen Acts und langen, bunten Konzertnächten voller musikalischer Entdeckungen. Pia Gärtner und Dominik Oswald vertreten The Gap heuer »im Feld« und berichten von ihrem Festivalerlebnis.

Nachdem es tagsüber teilweise dicke Tropfen auf die Hauptstadt geregnet hatte, zeigte sich das Wetter über dem Alsergrund am Abend wieder von seiner besten Seite und stellte die Zusehenden auch am abschließenden Tag des Waves Vienna vor die Qual der Wahl. Nur: Es gab keine falschen Entscheidungen.

Strandhase © Hannah Tögel

Strandhase

Die bereits an den Tagen zuvor gemachte Erkenntnis, dass klassische Bandbesetzungen wieder in sind, bestätigen auch die Wiener Alternative-Popper Strandhase, deren erste EP »Grundrausch« im Juni auf Problembär Records erschienen ist. Sie eröffnen den letzten Festivaltag in der großen Halle des WUK mit durchaus gefälligem, für den Bandnamen adäquatem sommerlichem Soundkleid und Texten, die eventuell sogar tätowiert gut aussehen. Fesch sind sie auch, sie verstehen einiges von tanzbarer Dynamik und Storytelling, das einen in den Bann zieht. Das kann was werden!

The Screenshots © Kiki Heindl

The Screenshots

Das erste große Highlight des Tages sind die Twitter-Popper The Screenshots. Die vermeintliche Lieblingsband Jan Böhmermanns hat sich nämlich unter dem Banner des blauen Vogels zusammengetan und hat etwa mit Kurt Prödel auch den liebsten Cloud-Humoristen deiner Internet-Freunde in ihren Reihen. Dass so ein Konzept nicht immer auf Gegenliebe stoßen kann, ist dabei nicht ganz unlogisch. Linus Volkmann etwa, die Ikone des – positiv gemeint – populistischen Popjournalismus meint gar in seinem sehr empfehlenswerten Instagram-Story-Listicle »Die 20 schwächsten deutschen Acts« gewohnt treffsicher: »Schlecht is’ nicht, aber schlecht kann’s einem von werden.« Na dann. Ein bisschen muss man schon widersprechen, wenn’s genehm ist: Garagiger als gedacht und als auf Studioaufnahme feiern The Screenshots ein rauschendes Fest auf der Open Air Stage im Schulhof. Die Songs sind kurz und knackig, roh und rockig. Zurecht animieren sie das Publikum mit »Vor der Bühne ist noch Platz«, es werden Visitenkarten für Buchungen auf Hochzeiten und Geburtstagen verteilt. Die im Dezember 2018 erschienen LP »Europa« war schon prima, einige neue Stücke lassen auf eine baldige weitere Großtat im Albumformat schließen. Apropos schließen: Mit dem letzten Stück, dem großen Hit »Google Maps«, hauen sie auch eine der wahrsten Zeilen des Festivals raus: »Auf Google Maps gibt’s einen Ort und da wohnst du.«

Two Year Vacation © Julian Slabina

Two Year Vacation

Neben Ungarn ist heuer auch Schweden ein Fokusland. Die Dauerurlauber aus dem Norden bespielen im Anschluss die große WUK Halle. Der Name ist Programm: sommerlicher Beach-Indie-Rock. Das im März 2019 erschienene Debütalbum »Slacker Island« ist geeignet für das Kassettendeck eines Oldsmobile auf der Küstenstraße von Big Sur, aber auch als amüsante Beschallung zum Rätsellösen am Strand von Lignano. Leicht und beschwingt, aber mit ungeheurem Gespür für Popmelodien, geht es hier zur Sache. Die quirky Stimme von Sänger Anton Tuvesson passt hervorragend zum wavy-verspielten Soundkleid. Die Halle – beim ersten Takt noch fast leer – füllt sich binnen Sekunden. Diese sehr fesche Band ist hier, um entdeckt zu werden!

Long Tall Jefferson © Alexander Galler

Long Tall Jefferson

Während auffällig viele Männergruppen auf langes Haar setzen, präsentiert der Schweizer einen astreinen Pilzkopf und konterkariert diesen mit feinstem Schnurrbart. Muss man sich trauen! Musikalisch macht der Showcase-Veteran, der nahezu überall gespielt hat, in Begleitung einer Gitarristin stampfenden Songwriter-Americana-Pop und reißt das zahlreich erschienene, aber mitunter zu gesprächige Publikum im WUK Beisl von Anfang an mit – und animiert dabei die Nicht-Quatscher zum kollektiven und zustimmenden Nicken.

Darjeeling © Kiki Heindl

Darjeeling

Post-Kraut ist das Stichwort für die Gruppe Darjeeling – natürlich aus Wuppertal. Die drei sind mit bereits zwei Alben im Gepäck angereist, das jüngste »Hokus Pokus« erschien im April 2019 auf Listen Records. Mit zahlreichen unterschiedlichen Einflüssen lockt es die Scharen in die größte Venue des Festivals. Krachend und knarzend wird von Anfang an mit Nachdruck auf die hervorragend beherrschten Instrumente eingeprügelt. Genretypische jazzistische Improvisation wechselt sich gekonnt mit durchaus melodiösem Art-Pop ab. Hier werden die Grenzen der Möglichkeiten von Gitarre, Bass, Schlagzeug und Piano ausgereizt. No borders, ey!

The Magnettes @ Kiki Heindl

The Magnettes

Zum Abschluss des Festivals gibt’s gehörig auf die Mütze: Den Auftakt für den Schlussakkord machen die schwedischen Elektro-Popperinnen The Magnettes – super Bandname! – in der sogenannten Aula, einer erstmals bespielten Räumlichkeit in der HLMW9 Michelbeuern. Die beiden Sängerinnen Sanna Kalla und Rebecka Digervall machen zu Beginn den Publikumsraum zur verlängerten Bühne. Auf selbiger werden E-Drum-Kits malträtiert. Aber auch nachdem alle ihren dafür vorgesehenen Platz eingenommen haben, wird der breiige Sound nicht besser. Noch schlimmer: Leider ist vom im Programmheft angekündigten Riot-Grrrl-Feeling nichts zu spüren – die Gruppe ist extrem poppig und hat ein dezentes trashiges Eurovision-Flair. Auch die Frage nach Playback kommt wiederholt auf.

Chastity Belt © Kiki Heindl

Chastity Belt

Den krönenden Abschluss bestreiten die mutmaßlichen Headliner Chastity Belt, die Queens des Westcoast-Rock und Schöpferinnen von melodischen Flow-Punk-Hymnen wie etwa dem Song gewordenen Traum »Different Now«, dessen prägnantes Riff auch beim Konzert mit lauten Jubelschreien bedacht wird. Mit dem erst am 20. September veröffentlichten vierten und selbstbetitelten Album starten die Vier aus Walla Walla ihre Europatour. Sie sind nicht das erste Mal in Wien zu Gast und sorgen dafür, dass sich das Publikum auch zur späten Stunde – das Konzert beginnt erst um 1.15 Uhr und dauert rund 50 Minuten – gleich in ihrer Musik zuhausefühlt. Die neue Langspielplatte, von der die meisten präsentierten Stücke stammen, entfernt sich zwar musikalisch etwas von den raueren Tönen der Vergangenheit, aber auch die neue Langsamkeit, die nun eher an Soccer Mommy, einen entspannten Kurt Vile oder Snail Mail statt an den typischen Lo-Fi-Seattle-Sound erinnert, hat ihren Reiz. Dennoch: Die Stimmen variieren, Instrumente werden getauscht, die Entpuppung aus DIY-Kontexten ist stets spürbar. Ein mehr als nur würdiger Ausklang eines jeden Festivals.

Fazit: Neben den erwartbaren positiven Ereignissen – hier sind vor allem die Besserwissereien mit anderen Besserwissern anzuführen – ist das Waves Vienna auch heuer wieder ein Gradmesser für den Status quo und das »Quo vadis?« von alternativer Popmusik. Das für manche Erfreuliche: Ganz offenbar ist klassische Rockmusik, schön mit Gitarren in jeder Stimmlage, wieder konsensfähig für ein Fachpublikum. Schwärmerischer Dream-Pop und Beach-Rock haben die in den letzten Jahren gefühlt dominierenden Ausprägungen Neo-Soul und Hip-Hop sukzessive als Genres der Wahl abgelöst. Die wohl positivste Entwicklung der Musiklandschaft ist aber eine modische: endlich wieder geile Männerfrisuren!

Das Festival Waves Vienna 2019 fand von 26. bis 28. September im und rund ums WUK in Wien statt. Unseren Nachbericht zu Tag 1 findet ihr hier, den zu Tag 2 hier.

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