Wenn beim Song Contest gesungen wird, geht es manchmal um mehr als nur ein Lied heut Nacht. Es geht um uns alle und wie wir sein wollen.
Armenien x Türkei
Auch dieses Jahr bleibt es um den armenischen Beitrag spannend. Der diesjährige Song heißt "Don’t Deny" und wird von einer Künstler-Gruppe aus der armenischen Diaspora vorgetragen werden. Der Song soll an den Genozid an den Armeniern 1915 erinnern, dem bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Der Titel des Songs ist wohl nicht nur eine Botschaft an Aserbaidschan, sondern auch an die Türkei. Beide leugnen bis heute, dass es einen Genozid gab und erst im April diesen Jahres berief die Türkei ihren Botschafter in Wien ab, weil der österreichische Nationalrat eine Erklärung abgegeben hatte, die den Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich als Genozid verurteilt.
Russland x China x Georgien x Ukraine x Asien
Auch Russland gilt als Enfant terrible beim ESC. Bereits vier Jahre nach seiner ersten Teilnahme gab es 1998 den ersten Vorfall. Wegen schlechter Vorjahresplatzierung war Russland nicht zur Teilnahme zugelassen worden, eine Tatsache, die Russland ignorierte. National warb man für die Sängerin Tatjana Owsijenko als Kandidatin, die allerdings nicht auftreten durfte. Russland erhielt daraufhin keine Erlaubnis, den ESC auszustrahlen und durfte auch im nächsten Jahr nicht teilnehmen. Andere Länder nutzen den ESC gerne, um Russland eines auszuwischen.
2014 konnten die für das Land angetretenen Tolmachevy-Zwillinge ihre Zopf-Performance nur unter lauten Buh-Rufen zu Ende bringen, geschuldet Russlands Annexion der Krim und seiner Gesetze gegen Homosexuelle. Wenig subtil servierte auch Georgien 2009 seine Kritik an Russland. Nach dem Kaukasuskrieg im Jahr zuvor, bei dem die russische Armee in Georgien einmarschiert war, wollte Georgien ursprünglich einen Song namens "We Don’t Wanna Put In" (Wortspiel gewollt) einsenden. Nachdem das Land vom Veranstalter aufgefordert war, den Text zu ändern, weil er als zu politisch eingestuft wurde, sah Georgien von einer Teilnahme ab.
Heuer veranstaltet Russland übrigens aus Protest über den Sieg von Conchita Wurst letztes Jahr eine Art Gegenparty. Der sogenannte Intervision Song Contest, der bereits 1977 bis 1981 (während des Kalten Krieges) stattfand, wird im Oktober in Sotschi sein Revival feiern. Teilnehmen dürfen außer Russland noch China und einige zentralasiatische Staaten.
Osten x Westen
Doch nicht alle politischen Botschaften, die auf der Bühne des ESC herumgeistern, sind feindselig. Direkt nach dem Fall der Berliner Mauer etwa nutzten mehrere Teilnehmer die Öffentlichkeit des Bewerbs, um für ein geeintes Europa aufzutreten. Norwegen erwähnte das Brandenburger Tor, Deutschlands Chris Kempers und Daniel Kovac sangen in "Frei zu leben" über das Einreißen von Mauern und für Österreich sang Simone "Keine Mauern mehr". Gewonnen hat am Ende Italien, mit dem Lied "Insieme", was "zusammen" heißt. Unser Phönix Conchita Wurst hat zumindest gezeigt, dass man das bizarre Fest auch für gute Dinge nutzen kann. Finnland hat die Message verstanden und schickt heuer die unter Down-Syndrom leidenden Punks von Pertti Kurikan Nimipäivät (Pertti Kurikkas Namenstag) nach Wien, damit auch mal wer über sowas nachdenkt.
Politik x Keine Politik
Die Regeln des ESC besagen übrigens, dass jegliche Art von politischer Rede oder Geste im Bewerb verboten ist. Die Veranstalter bestehen darauf, dass es eine unpolitische Angelegenheit sei. Ein ziemlicher Witz eigentlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, wozu der ESC erfunden wurde. Als sich nämlich Europa in den 1950ern nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufzubauen versuchte, machte die European Broadcasting Union den Vorschlag, dass man die entfremdeten Länder durch "leichtes Unterhaltungsprogramm" wieder zusammenzubringen sollte.
Der Chef des Schweizer Fernsehkomittees, Marcel Bezencon, hatte schließlich die Idee für den ESC, in der Annahme, dass ein gemeinsamer Fernsehabend durch Simultanausstrahlung Europa zumindest für einen Moment näher zusammenrücken könnte. Mit Erfolg, denn man müsste lügen, wollte man sagen, dass die kollektive Rezeption des ESC-Wahnsinns uns nicht zumindest für einen Abend zu unfreiwilligen Komplizen macht.
Das Finale des diesjährigen Song Contest findet am 23. Mai statt.