Marianne Engelmann war eine der ersten, die sich für die Betreuung, Bildung und Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge eingesetzt hat. Heute, zwei Jahre nach der Eröffnung des ersten Georg-Danzer-Hauses, kann sie auf eine Geschichte mit vielen Hochs und Tiefs zurückblicken.
Initiatorin Engelmann wollte nicht länger zusehen, wie Jugendlichen eine Familie und der Zugang zu Bildung verwehrt wird und war eine der ersten, die sich privat für die Unterbringung und Betreuung der jungen Menschen einsetzte. Kritik üben allein war ihr zu wenig. Mit dem ersten Georg-Danzer-Haus in Wien wollte sie ein Zuhause für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schaffen, ihnen Zugang zu Bildung und ein vertrautes Umfeld bieten. »Ich bin eine, die nicht lang fragt oder um Förderungen schnorren geht, sondern einfach macht«, erklärt sie pragmatisch. Wenn man mit ihr spricht, wird schnell klar, dass sie nicht leicht aufgibt – eine Eigenschaft, die dem Projekt und dem Verein Fluchtweg zu Gute kam.
Ein Bett alleine reicht nicht
Die von ihr angestoßenen, privaten Wohneinrichtungen gelten immer noch als Vorzeigeprojekte – dabei hat sie sich bei der Eröffnung zunächst nicht nur Freunde gemacht. Streitigkeiten mit den Behörden in Wien, bürokratische Hürden und fehlende Förderungen ließen das Projekt in der Bundeshauptstadt scheitern. Aktuell bieten heute drei Häuser in Niederösterreich Platz für 40 Jugendliche. Neben einem familiären Umfeld war Bildung immer eines der Kernthemen – von Anfang an. Ursprünglich stellte Engelmann auch eine Lehrerin an – vorgesehen waren Weiterbildungsmöglichkeiten im Budget für die Betreuung von Jugendlichen von Seiten der Politik zu dieser Zeit noch nicht. »Mir war damals schon klar, dass ein Bett alleine nicht reichen wird. Man kann diesen Menschen, die nach Österreich kommen, nicht einfach den Zugang zu Bildung verwehren. Außerdem brauchen sie Alltag und Struktur. Bei uns gab es von Anfang an eine Trennung zwischen Wochentagen, an denen gelernt wird und dem Wochenende, an dem Zeit für Freizeitaktivitäten ist. So entsteht weniger Langeweile und alle sind ausgelastet«, so Engelmann. Ziel sei letztendlich aber, das die Jugendlichen die Sprache lernen, einen Schulabschluss machen oder eine geeignete Lehre finden und so in Österreich Fuß fassen.
Der Traum vom eigenen Bildungshaus
Während die jungen Geflüchteten bis zum Sommersemester 2016 öffentliche Schulen besuchen konnten, stellte eine Gesetzesänderung die Betreuungseinrichtungen vor neue Herausforderungen. Seitdem dürfen öffentliche Schulen in Niederösterreich keine Flüchtlinge, die über 15 Jahre alt und damit nicht mehr schulpflichtig sind, aufnehmen. »Wir hatten damals 60 Jugendliche in damals noch vier Häusern in Wien und Niederösterreich in Betreuung, von denen viele ihren Schulplatz verloren haben. Die Enttäuschung war damals natürlich groß, weil die meisten lernen wollen und davon ausgegangen sind, dass sie im Herbst wieder in die Schule gehen können. Wir haben uns dann die Frage gestellt, was wir mit diesen Menschen machen. Natürlich findet man vereinzelt Plätze und wir haben sie in den Häusern weiterhin unterrichtet, aber sie brauchen eine Möglichkeit, den Hauptschulabschluss oder zumindest Deutschzertifizierungen abzulegen«, so Engelmann. Um die Situation für ihre Schützlinge zu verbessern, eröffnete sie kurzerhand selbst eine Schule in Stockerau, die die Jugendlichen im besten Fall bis zum Hauptschulabschluss bringen sollte. Neben dem Deutschunterricht stand auch Ethik, Englisch, Mathematik und Sport auf dem Stundenplan. Zudem wurde auch Unterricht für all jene, die weder Lesen noch Schreiben konnten, angeboten. Während das mediale Echo und der Zuspruch zunächst groß war, musste die Bildungseinrichtung in der Zwischenzeit aus finanziellen Gründen wieder schließen. Den vermeintlichen Rückschlag sieht Engelmann mit einem lachenden und einem weinenden Auge: »Es war für uns alleine ohne die Unterstützung vom Land finanziell letztendlich nicht mehr tragbar. Ich sehe das Projekt dennoch als Erfolg, weil seitdem ein Umdenken stattgefunden hat. In Niederösterreich starten jetzt flächendeckend Weiterbildungsmöglichkeiten, von denen auch unsere Jugendlichen profitieren. Mir geht es nicht um meinen persönlichen Erfolg, mir geht es darum, dass etwas in dieser Richtung unternommen wird.« Sie will jene Organisationen, die die Ausschreibungen für Bildungsangebote von Land und Bund gewonnen haben und damit auch ein gewisses Budget zur Verfügung haben, nun »ihre Arbeit machen lassen«. Letztendlich gehe es darum, nicht nur für ihre eigenen Schützlinge, sondern für alle Jugendlichen in Österreich eine passende Lösung zu finden – ein Auftrag, den sie alleine ohnehin nicht erfüllen könne.
Forderung nach Recht auf Bildung
Je nach Bildungsniveau und Aufenthaltsstatus sind die Jugendlichen der Georg-Danzer-Häuser jetzt in unterschiedlichen Kursen und Weiterbildungsprojekten untergebracht. Während die einen Deutschkurse absolvieren, haben die anderen bereits den Sprung ins Gymnasium oder in eine Übergangsstufe geschafft, wiederum andere besuchen Kurse des AMS. Ohne Bildungsangebote würde es nicht gehen – das hat Marianne Engelmann gerade in der Zeit kurz nach der Schließung des Bildungshauses und bevor einige der Jugendlichen in anderen Weiterbildungsprogrammen untergekommen sind, gesehen. »In den drei Wochen, als sie keinen Unterricht hatten, haben wir die Unruhe in der Gruppe gemerkt. Sie fordern das Recht auf Bildung und kommen dann sogar mit VHS-Kursen, die sich selbst suchen. Sie merken, dass sie wesentlich weiterkommen, wenn sie Deutsch können, sich benehmen und höflich und freundlich sind«, so Engelmann. Entscheidend sei dabei auch die Gruppendynamik und das familiäre Umfeld. Wertebildung und der Umgang mit Mitmenschen ist dabei ein ganz zentrales Thema. Ein Vorteil sind vor allem die kleinen Gruppen von nur 16 Bewohnern, die ein familiäres Umfeld ermöglichen. Das Lernen voneinander und von den Betreuern und Betreuerinnen steht dabei im Vordergrund.
Heute nehmen die Georg-Danzer-Häuser auch Jugendliche auf, die anderen Orts Schwierigkeiten machen – für Marianne Engelmann ein ganz persönlicher Erfolg: »Die jungen Menschen, die in anderen Einrichtungen Schwierigkeiten machen, sind uns oft am liebsten. Das sind meistens die, die ihre Rechte einfordern, gleichzeitig aber auch fordern, etwas zu lernen. Wenn man ihnen die Hand reicht, sie unterstützt und ihnen Vertrauen gibt, greifen sie meist gern danach – diese Hand wird ihnen nur zu selten angeboten.
Die »Happy Refugees«-Familie
Das Konzept des familiären Umfelds will Engelmann mit ihrem Verein nun fortsetzen. Während die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mit dem 18. Lebensjahr eigentlich endet, können sich viele ihrer Schützlinge von dem gewohnten Umfeld nur schwer trennen. Um dem entgegenzuwirken, gründete Engelmann den Verein Unbegleitet, der sie bei Angelegenheiten wie der Wohnungs- und Jobsuche oder dem Asylverfahren begleitet. »Wir möchten ihnen dadurch weiterhin die Sicherheit geben, dass sie nicht alleine sind. Es tut im Herzen weh, wenn man sieht, dass jemand auf einem guten Weg ist und dann durch die neue Situation wieder überfordert und alleine dasteht«, so Engelmann. Mit ihren Häusern will sie ihren »Georg-Danzer-Haus-Kids« eine Familie bieten, die – wie die meisten herkömmlichen Familien – nicht mit dem 18. Lebensjahr auseinanderbricht, sondern letztendlich immer weiter wächst.
Die Georg-Danzer-Häuser sind aus einer Initiative des Vereins Fluchtweg entstanden. Die Finanzierung erfolgt über die vom Land Niederösterreich ausgezahlten Tagsätze für die Bewohner.