»Death Stranding« ist ein schlechtes Spiel. Und trotzdem ist es gut, dass es erschienen ist.
Zu Hideo Kojimas Selbstverwirklichung, repräsentiert durch einen postapokalyptischen Postboten, ist in den letzten Monaten einiges geschrieben worden. Zum Geniekult, den Kojima selbst immer wieder einfordert, hat sich Rainer Sigl im Standard geäußert. Und zur erzählerisch verhauten Moral des Menschen-Verbindens hat Christian Huberts für die Zeit geschrieben. Recht angetan war hingegen Sinem Kiliç (ebenfalls Zeit Online), die in ihrer kunstkritischen Honorierung allerdings alle spielerischen Elemente außen vor lässt; interessant und irgendwie stringent. Denn dort versagt »Death Stranding« auf vielen Ebenen.
Dass die sperrige Menüführung für’s Rucksack-Packen und Missionen-Annehmen Teil des Konzepts ist, wirkt glaubwürdig. Ebenso wie das unpräzise steuerbare Gestolpere des sich über mehr als 50 Stunden selbst kasteienden, leidenden Helden, Sam Porter Bridges. Aber spätestens mit dem ersten freigeschaltenen Motorrad wird’s ungewollt komisch. Dass Ding nimmt Steigungen, die ein Gamsbock umgehen würde, bleibt an kleinen Steinen aber abrupt hängen – was blöd ist, in einer zerstörten Version der USA, die über weite Strecken isländischen Vulkanlandschaften gleicht. Um die Gefährte irgendwie nutzbar zu machen, wurde eine Eingabe für das Springen mit dem Fahrzeug mitgeliefert. Mit dem ochsenformatigen Bike kann Sam also aus dem Stand springen. Und als wäre das nicht absurd genug: Mit einem voll beladenen Truck geht das auch. So hoppeln und ruckeln sich die Fahrzeuge durch die Landschaft.
Umso weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr wird Sam der Porter zum Krieger. Zuerst gibt’s ein Seil zum Würgen, dann Granaten und dann Feuerwaffen. Und von denen soll immer öfter Gebrauch gemacht werden. Wie aus dem Game-Design-Lehrbuch fordert einer der letzten Bosse dann auch dazu auf, all die gelernten Tricks gegen ihn anzuwenden. Nur veranlasst das grauenhafte Kampfsystem über die ersten 45 Spielstunden dazu, im Zweifelsfall zu rennen, statt sich mit den Tricks und Kniffen der Waffennutzung auseinanderzusetzen. Da greifen Spieldynamik und Boss-Design ganz schlecht ineinander. Aber es gibt natürlich ein Menü, in dem Versäumtes nachgelesen werden kann.
Die ganz große Niederlage als Spiel erleidet »Death Stranding« allerdings in seinen letzten Stunden. Da stellt es Spielerinnen und Spieler vor Entscheidungen, die sie dann nicht treffen dürfen, erklärt tatsächlich stundenlang eine Geschichte, die nicht selbst entdeckt werden durfte und blendet in nicht enden wollenden Abschlussszenen irgendwann einfach nur noch Textzeilen ein, die beschreiben, was zu tun ist. Zu dem Zeitpunkt scheint sich Kojima selbst darüber zu ärgern, ein Format mit aktivem Publikum gewählt zu haben. Wie man dieses subtil leitet und motiviert, hat er nun offenbar endgültig verlernt.
Und trotzdem ist es schön, dass es dieses Spiel gibt. Weil derartige Brüche mit Konventionen zugunsten einer künstlerischen Vision bisher fast ausschließlich von kleinen Indie-Titeln gewagt wurden, die ein sehr spezifisches Publikum erreichen. »Death Stranding« hat durch die Größe der Produktion und den Namen Kojima eine breite Öffentlichkeit gefunden und viele Überlegungen angeregt, was digitale Spiele abseits der großen Genres noch alles sein können. Einige waren begeistert, andere warten jetzt vielleicht gespannt auf mehr derartige Innovationen. Und das wäre – neben dem einen oder anderen tatsächlich erbaulichen Spaziergang in den postapokalyptisch isländischen USA – eine wertvolle Errungenschaft.
»Death Stranding« ist bereits für PC und PS4 erschienen.