Sias Album fühlt sich an wie ein verdammter Blockbuster. Die am häufigsten konsultierte Liedermacherin im Pop-Business holt einmal ordentlich mit ihrem Song-Hammer aus und reißt dabei irgendwie alles nieder. Mit Schmackes.
Bei einem Release dieser Größenordnung würde man für gewöhnlich mit einer klassischen, völlig absurden Riesen-Kampagne inklusive absolut hirnrissigem Rauswerfen von Major-Label-Cash in Form von goldenen Katy Perry-LKWs rechnen. Im Fall von Sia Furlers sechstem Studioalbum »1000 Forms Of Fear« kriegt man davon rein gar nichts. Weil sie nicht mag. Der Veröffentlichung hatte sie von vornherein nur unter der Voraussetzung, auf Interviews und jegliche andere Form von Promotion scheißen zu dürfen, zugestimmt.
Das Albumcover ziert nichts als der blonde Bob, der anscheinend gerade zu ihrem ganz eigenen Amy Winehouse-Bienenstock wird. Künstler, die nur an ihrem Haarschnitt erkannt werden, sind grundsätzlich super. Durch ihr Anti-Fame-Manifesto für Billboard, in dem sie Popstar sein und die ganze »In-der-Öffentlichkeit-stehen«-Sache mit so was wie einer dauernörgelnden Schwiegermutter vergleicht, ist sie nun irgendwie für ihren Wunsch, lieber unberühmt zu bleiben, berühmt geworden. Und natürlich für ihre recht anhörbaren Versuche, Songs zu schreiben. Große Songs, die sie dann an große Künstler weitergibt. Ihr Lebenslauf liest sich mittlerweile ein bisschen wie ein weibliches Popstar-Verzeichnis: Beyoncé, Britney, Celine, Christina, J-Lo, Katy, Kylie, Rihanna, Shakira. Es gibt jedoch auch Material, dessen Frau Furler sich nicht so einfach entledigen wollte und welches nun offenbar ein ganzes Album füllen konnte. Und großer Gott, was ist das für ein Album.
Metaphern und »Woah«
Sia hat mittlerweile ein bestimmtes Rezept für ihre Songs gefunden, das sie soweit noch nicht verändert hat und das auch wirklich nicht tun sollte. Eine essentielle Zutat sind meist beklemmende und dann doch befreiende Lyrics, die banale Gegenstände oder Materialien sinnentfremden und dadurch Metaphern-geschwängerte Zeilen wie »Can’t hide the pain when you’re wrapped in cellophane« hergeben. Wie gut dieses Prinzip funktioniert, wurde schon auf der Leadsingle »Chandelier« bewiesen, die als Opener des Albums einen auch Monate nach Erstveröffentlichung immer noch komplett wegbläst. Bei der Vorstellung, dass der ursprünglich für Rihanna gedacht war, bekommt man eine Gänsehaut. Die Höhen dieses Refrains, der einem watschenartig ins Gesicht donnert, liegen definitiv nicht im Bereich des stimmlich Möglichen für Nasen-Riri. Sia hingegen klingt, auf die bestmögliche Art und Weise, als würde ihr gleich der Kopf explodieren. Für »Chandelier« hat sie sogar gegen ihre eigenen Anti-Fame-Regeln verstoßen und den Song live bei Ellen Degeneres performt. Mit dem Rücken zum Publikum halt.
Der Song bleibt unfassbar gut und ist nicht zuletzt durch das zugehörige Video mit der elfjährigen Tänzerin Maddie Ziegler als Hauptprotagonistin zur bis dato erfolgreichsten Sia-Single avanciert. Kylie Minogue hat von ihr zwar nur ein paar unterdurchschnittliche Sex-Liedchen für ihr Album bekommen, kommentierte aber zum Single-Release: »She’s only gone and done it again«. Wahr, Kylie. Wahr. Nur eben noch mal besser. »Eye Of The Needle« (Metapher!) wurde als zweiter Appetizer im Vorfeld veröffentlicht und macht, ebenso wie »Big Girls Cry«, reichlich Gebrauch von diesen »Woah woah«-Hooks, die Sia so gern verwendet und so speziell und einzigartig betont, dass sogar Beyoncé kläglich am Versuch scheitert, sie zu imitieren. Ihre Röhre ist schon was Besonderes, vor allem dann, wenn sie sich verraucht anhört, leichte Krächz-Ansätze aufweist und dadurch den omnipräsenten Bombast-Melodien einen Hauch von Zerbrechlichkeit verleiht. Auf »Hostage« geht’s dann auch zum ersten Mal in Richtung Uptempo und ja, Feelgood steht Sia sogar ganz gut. Sogar so sehr, dass man wippen möchte. Zumindest so lange, bis man die Lyrics bemerkt, die eine Verliebtheit metaphorisch – duh – als eine Geiselnahme darstellen, und eine Geiselnahme stellt man sich nun mal nicht gerade angenehm vor. Jedenfalls in den meisten Fällen.