Würdet ihr bitte endlich still sein? – Cigarettes After Sex im Flex

Das Konzert von Cigarettes After Sex im Wiener Flex ließ die vertraute Intimität vermissen. Es lag vor allem am Publikum.

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© Nikolaus Ostermann

Cigarettes After Sex sind eine Band, die höchstens in Zweisamkeit gehört werden kann. Am stärksten wirken sie aber in völliger Isolation und Einsamkeit. Sie erfordern eine Ruhe und Bereitschaft, damit sich ihr unaufgeregter Dream-Pop ausbreiten kann – nichts reden, keine Nachrichten auf dem Smartphone verschicken, maximal verständnisvolle Blicke mit dem Gegenüber austauschen.

Die Band wurde 2008 im amerikanischen El Paso, Texas, gegründet. Kopf und Stimme von Cigarettes After Sex ist Greg Gonzalez. Die Anzahl ihrer Veröffentlichungen ist bis heute recht überschaubar: 2012 erschien die EP »I.«, auf der sich mit »Nothing’s Gonna Hurt You Baby« auch jenes Stück befindet, das auf Youtube mittlerweile über 50 Millionen Mal gespielt worden und längst kein Geheimtipp mehr ist. 2015 wurden dann zwei weitere Songs veröffentlicht und im Juni 2017 soll nun das erste Album der Band folgen.

Draußen fällt der Nieselregen

Ob der minimalistische Sound von Cigarettes After Sex, der so beruhigend wie düster und verträumt ist, auch live in einem vollen Club funktioniert? Zur Einstimmung auf den Abend läuft im ausverkauften Flex unter anderem »Svefn-g-englar« von Sigur Rós, während draußen leise der Nieselregen fällt. In den hinteren Reihen wird auf einen Geburtstag angestoßen – selbst als die vier Männer die Bühne betreten, wird der Club nicht vollkommen still. Das erforderliche Schweigen für die Band gibt es an diesem Abend nicht. Ein Mädchen versucht aus dem Konzert eine Snapchat-Story zu machen, muss sich aber eingestehen, dass all die Hinterköpfe nicht interessant genug sind und sie ihr Smartphone nicht hoch genug halten kann. Kaum vorstellbar, aber es wird auch gelacht und sich fröhlich und munter weiterunterhalten.

Cigarettes After Sex eröffnen ihre Show mit »K«, der ersten Single aus dem kommenden Album, aber es fällt schwer mit der Band und den Songs in Kontakt zu treten. Zu viel wird im Flex geredet, zu viel gedacht. Auch mit geschlossenen Augen ist es kaum möglich, sich im Konzert zu verlieren. Es ist eine unangenehme Verbindung, die da zwischen Band und Publikum in der Luft hängt, und nicht die vertraute Intimität, die man von den Songs gewöhnt ist – wenn man aus der Nacht nach Hause kommt, noch nicht einschlafen kann und sich von ihren Songs in Richtung Schlaf führen lässt. Angelehnt an Leonard Cohens »Famous Blue Raincoat« schreibt Gonzalez seine Texte an Freunde und vergangene Liebschaften. Dem Hörenden und Einschlafenden, der alles auf sich beziehen möchte, bleibt dadurch nichts anderes übrig, als die Zeilen »Nothing’s gonna hurt you baby / As long as you’re with me, you’ll be just fine« als sein individuelles zärtliches Wiegenlied zu verstehen.

Endlich, unser Song!

Natürlich ist das Aushalten der Abwesenheit von jeglicher Dramaturgie bei dem Konzert eine Herausforderung. Song reiht sich an Song, jeder im selben Tempo und in der gleichen Stimmung gehalten. Das war nun mal nicht anders zu erwarten und darauf durfte man sich eigentlich freuen. Problematisch wird es, wenn Teile des Publikums gekommen sind, um sich den bekanntesten Song der Band als selbstgefilmtes Handyvideo vom Konzert mitzunehmen. Ein großes Aufatmen geht mit dem Einsetzen des Basses von »Nothing’s Gonna Hurt You Baby« durch den Club und die rausgeholten Displays erhellen die Reihen. Fast meint man aus den Mündern zu hören: »Endlich, das ist unser Song!«

Die Versuche, in Gonzalez’ Gesang einzustimmen, können nicht gut gehen. Das fragile Hoffnungsbringende in seiner Stimme wird – zum Glück nur bei eben jenem Song – durch das Publikum übertönt. Nach Ende des Stücks wenden sich die ersten Gelangweilten von der Bühne ab, suchen die Bar auf und vertiefen sich in Gespräche im hinteren Teil des Clubs.

Sich fallen lassen

Mit »Sunsetz« und »Flash« spielt die Band an diesem Abend zwei unveröffentlichte Songs. Gut, der geneigte Fan wird feststellen müssen, dass im Internet bereits Konzertmitschnitte kursieren, deren Qualität – wie nicht anders zu erwarten – zu wünschen übrig lässt. Deshalb gibt es den gut gemeinten Rat für den Tag, an dem das Album erscheint: Bleibt zu Hause und legt euch alleine auf den Fußboden. Dreht eure Anlage auf und lasst euch fallen.

Nach dem knapp 60-minütigen Konzert läuft Gonzalez dann durchs Flex, ohne angesprochen oder überhaupt angeschaut zu werden. Plötzlich ist er nur noch einer von vielen und nicht mehr die Stimme, die uns in den Schlaf singt.

Das selbstbetitelte Debütalbum von Cigarettes After Sex erscheint am 9. Juni 2017 bei Partisan Records. Das Konzert der Band fand am 27. April 2017 im Wiener Flex statt.

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