Zehn Fragen zum geplanten Sicherheitspaket

Die Bundesregierung will kurz vor der Wahl ein Sicherheitspaket durchbringen. Was steht darin? Und was bringt die Online-Petition von epicenter.works dagegen?

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© murdelta, Flickr Arbeitskreis Vorratsdaten, CC BY 2.0

Bei allen Hinterfotzigkeiten und Phrasen im laufenden Wahlkampf sollte eines nicht unter den Tisch fallen: Die Bundesregierung hat sich auf ein neues Sicherheitspaket geeinigt. Noch einen Monat vor der Wahl, genauer am 20. September 2017, dürfte es den Nationalrat passieren. Momentan läuft das Begutachtungsverfahren für das Vorhaben. Dagegen wehrt sich eine Online-Petition der Gruppe epicenter.works. Warum eigentlich? „Für schlechte Gesetze gibt es niemals gute Gründe“, erklärt epicenter.works-Sprecher Werner Reiter gegenüber The Gap.

Wer hinter der NGO steht und warum sie die Novelle als „Überwachungspaket“ bezeichnet, klären wir in zehn Fragen.

1. Warum will die Regierung das Sicherheitspaket?

Nach einem vielzitierten Ranking des US-amerikanischen Institute for Economics and Peace (IEP) ist Österreich das viertsicherste Land der Welt. Nur in Island, Neuseeland und Portugal lebt es sich heute friedlicher. Das erkennt die österreichische Bundesregierung an. Dennoch pochen die Koalitionsparteien auf „entsprechende Antworten auf die aktuellen Herausforderungen und Bedrohungsszenarien.“ Damit meinen sie explizit die Politikfelder Antiterrorismus, Asyl, Integration und Migration.

2. Wie lauten die zentralen Punkte der Novelle?

Vom Tisch ist bereits die strengere „Überwachung von Gefährderinnen und Gefährdern“, sprich elektronische Fußfesseln für mutmaßliche Terroristen. Geblieben ist etwa die Registrierung von Telefonwertkarten. Das heißt, wer künftig ein Wertkartenhandy beziehungsweise eine SIM-Karte ohne Vertragsbindung kauft, soll das nur noch gegen Vorlage eines Lichtbildausweises können. Bislang ist das anonym möglich und wird etwa von investigativen Journalisten genutzt, um Quellen effektiv zu schützen. Des Weiteren plant der Ballhausplatz den „Ausbau und die Vernetzung der Videoüberwachung“ sowie die elektronische Kennzeichenerfassung. Letzteres ist gegenwärtig nur auf ausgewiesenen Strecken (Stichwort „Section Control“) möglich, um anlassbezogen Raser zu verfolgen.

3. Ich habe eh kein Smartphone. Betrifft mich das Gesetz trotzdem?

Wenn du nicht in einem Baumhaus wohnst und ausschließlich mit dem Kanu oder Rad zur Arbeit fährst, hast du vielleicht ein Auto oder fährst regelmäßig mit den Öffis. Die Polizei soll fortan Lauschangriffe auf PKW unternehmen dürfen. Und Verkehrsunternehmen werden dazu verpflichtet, bei jedem Ticketkauf die Identität des Käufers festzustellen. Wer also ein U-Bahn-Ticket innerhalb Wiens löst oder den Bus nach Eisenstadt nimmt, müsste bei jeder Fahrt neuerlich seinen amtlichen Ausweis vorzeigen und registrieren lassen.

Vielleicht nutzt du ja  Cloud Computing, sicherst zum Beispiel deine Fotos auf Dropbox. Das Paket würde es ermöglichen, jede automatische Synchronisierung mit deinem Heim-PC auf Servern des zuständigen Ministeriums aufzuzeichnen. Damit wird die Online-Überwachung extrem ausgeweitet, wie der langgediente Datenschutz-Experte Erich Möchel bei FM4 erklärt.

Überdies soll das Bundesheer stärker im Innern aktiv werden dürfen. Die Reform sieht mehr polizeiliche Aufgaben bei der Armee in Sachen Grenzraumüberwachung.

4. Warum fährt die NGO epicenter.works eine Petition gegen das Paket?

Epicenter.works versteht sich als „Bürgerrechtsorganisation für das Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung.“ Ihre Petition nennt sie „Stoppt das Überwachungspaket!“  In einem Webtool können User entscheiden, ob sie ihre Unterschrift gegen einzelne oder alle Punkte des Regierungsvorhabens richten.

Epicenter.works befürchtet, dass durch das Sicherheitspaket Grund- und Freiheitsrechte in Österreich unter die Räder kommen. Andere Kritiker mahnen an, dass Sicherheitspolitik das falsche Feld sei, um Fragen von Asyl, Integration und Migration zu beantworten.

5. Wer steht hinter epicenter.works?

Bei epicenter.works handelt es sich nicht um Aluhut tragende Verschwörungsspinner, die in der Wettervorhersage die Chemtrail-Prognose vermissen. Ihre Wurzeln reichen in das Jahr 2010 zurück, als sich Internetaktivisten – Geeks, Juristinnen, Normalbürger – zusammenfanden und den Verein AKVorrat gründeten. Damit opponierten sie gegen die Vorratsdatenspeicherung und das Staatsschutzgesetz. Vergangenen Dezember kam dann der neue Name. Er soll das weit über die Vorratsdatenspeicherung hinausgehende Arbeitsfeld der Organisation verdeutlichen: Die Digitalisierung kremple „in Schockwellen“ die gesamte Gesellschaft heftig um. Gleichzeitig möchte der Verein diesen Prozess aber aktiv mitgestalten, an ihm mitarbeiten. Dementsprechend sieht sie sich auch nicht als kategorischer Gegner von Sicherheitspolitik, sondern will diese in vernünftige, verhältnismäßige Bahnen lenken. Dazu gehöre etwa, vorhandene Sicherheitsgesetze anzuwenden, anstatt immer neue zu produzieren. Über allem stehen die Grundrechte.

Christian Schnettelker/manoftaste.de

6. Steht die Gruppe mit ihrer Kritik alleine da?

Nein, „Stoppt das Überwachungspaket!“ wird von 20 weiteren NGOs und Gruppen getragen. Darunter sind Amnesty International, der Chaos Computer Club Wien, die Freischreiber, Südwind und der Verein gegen Tierfabriken (VGT).

7. Spricht man zurecht von einem „Überwachungspaket“?

Epicenter.works beziehungsweise AKVorrat könnte man guten Gewissens als Global 2000 des Datenschutzes bezeichnen. Der Verein hat in der Vergangenheit die gut besuchten „Daten, Netz, Politik“-Konferenzen (DNP) organisiert. Er greift auf Kontakte in alle gesellschaftlichen Bereiche und einen großen Expertenpool zurück. Auf der DNP14 Ende September 2014 etwa enthüllte der oben zitierte Erich Möchel seine Erkenntnisse zur Pötzleinsdorfer „NSA-Villa“ und weiteren Horchposten der USA.

Insofern kann die obige Frage bejaht werden.

8. Einen Schritt zurück: Was bringt die Unterschriftenliste von epicenter.works überhaupt?

Werner Reiter von epicenter.works lobt zuvorderst einen Nebeneffekt: Das Tool für „Stoppt das Überwachungspaket!“ vermittle „bessere Usability und Accessibility für demokratische Prozesse.“ Der Verein will Menschen vermitteln, „dass jede und jeder das Recht und auch die Möglichkeit hat,“ am Gesetzgebungsprozess teilzunehmen. „Die ÖVP wollte für diese Materie überhaupt keine öffentliche Begutachtung. Jetzt gibt es sie, wenn auch mitten in der Urlaubszeit, und wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, dass es eine breite und fundierte Auseinandersetzung damit gibt“, erklärt Reiter.

9. Ist es angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse im Parlament nicht aussichtslos, das Gesetz zu kippen?

Der Datenschutz-Aktivist meint, es sei immer sinnvoll, „gegen Regelungen anzukämpfen, die weit über das Ziel hinausschießen.“ Er verweist auch auf die Kampagne des AKVorrat gegen die österreichische Vorratsdatenspeicherung. 2014 gelang es dem Verein in einem Verfahren vor dem VfGH, diese Art der verdachtsunabhängigen, anlasslosen Massenüberwachung wegen Grundrechtswidrigkeit zu kippen. 2016 gehörte er zu den lautesten Kritikern, als Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) einen Gesetzesentwurf für eine staatliche Spionagesoftware („Bundestrojaner“) vorlegte. Damit könnten Messengerdienste wie WhatsApp überwacht werden. Der Minister zog das Vorhaben zurück. Und auch beim Polizeilichen Staatsschutzgesetz konnten die Aktivistinnen und Aktivisten kleine Verbesserungen erkämpfen. Der Bundestrojaner jedoch ist wieder im Überwachungspaket enthalten.

10. Gibt es nicht doch einen guten Grund für das Paket?

Für neue Sicherheitsparagraphen bräuchte es vor allem Nachweise für deren Wirksamkeit, meint Werner Reiter. Diese Belege bliebe die Regierung aber schuldig. Der Verein schlägt vor, Gesetze, die in die Grundrechte eingreifen, automatisch mit einem verpflichtenden Ablaufdatum zu versehen. Zumindest nach diesem Datum könnte deren Wirksamkeit effektiv geprüft werden. Ergibt sich eine Wirkungslosigkeit, würde das betreffende Gesetz automatisch gestrichen oder neu verhandelt.

Beim Thema Wertkarten geraten nach Ansicht der NGO Normalbürger unter Generalverdacht. Für international tätige Kriminelle wäre es aber relativ einfach, diese Schranken zu umgehen. So könnten anonyme Wertkarten für Wegwerfhandys leicht im Ausland beschafft werden – ganz ohne Registrierung.

Realität sind schließlich Verschärfungen im Versammlungsrecht und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Sie wurden mit der Gefahr durch rechtsextreme „Staatsverweigerer“ begründet.

Auch diese bereits bestehenden Gesetze möchte epicenter.works kippen. Bis Dienstagmittag hatten bereits 3500 Personen ihre Petition unterstützt.

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