Zu Jack Garratt tanzen und sterben

Wer nicht auf die Texte von Jack Garratt hört, könnte seine Musik missverstehen. Sie lässt in menschliche Abgründe blicken. Manchmal auch mit Hände in die Höhe. Mehr dazu im Interview.

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Pop Musik ist nicht immer nur ein berechnetes Produkt der Musikindustrie. Jack Garratt berechnet seine Musik selbst. Er steht seit seinem Sieg über die BBC Sound of 2016-Liste an der Pforte zum britischen Pop-Himmel. Mit seinem Album präsentiert er ein nicht zu aneckendes relativ massentaugliches Album. Pitchfork gefällt das mit einer 5.6 nicht so gut, gibt aber trotzdem zu "Jack Garratt is to big to fail".

Die Eingängigkeit seines Albums und die Adaption von Elementen bekannter Künstler wie James Blake, Mumford & Sons oder Florence And The Machine wird ihm bei vielen Album-Kritiken vorgehalten. Seine starke Radio-Präsenz und seine steigende Aktivität innerhalb der Musik-Industrie und ihrer Promo-Maschinerie möchte man ihm nicht so richtig gönnen.

Wenn Radio coole Musik spielen will

Aber was erwartet man denn auch von Jack Garratt? Seine erste Station in seiner Musiker-Biografie ist die Bewerbung für den Junior Eurovision Song Contest im Jahr 2005. Ironischerweise belegte er damals den letzten Platz. Auch wenn Garratt die Beweggründe für die damalige Teilnahme heute bereut, er wollte immer schon Musik für die Massen machen und macht das im Gegensatz zu früher mittlerweile auch äußerst erfolgreich. Musik für das Radio kennt nunmal Grenzen. Jack Garratt überschreitet sie und zieht sich im richtigen Momente auch wieder zurück. Seine eher oberflächlich gehaltenen radiotauglichen Texte, die teilweise aus "ja eh"-Phrasen bestehen, können manchmal auch einfach nerven. Dahinter steckt jedoch eine bedächtige Persönlichkeit, der es manchmal besser manchmal schlechter gelingt sich zu beschreiben.

Jack Garratt ist mittlerweile so groß, dass er die ganze, lange Promo-Tour mit hunderten Interviews absolviert. Dementsprechend eng sind seine Zeitpläne und das Gespräch mit fünfzehn Minuten auch etwas kurz geraten. Weil Jack gerne viel und gut redet, gibt es trotzdem einiges zu lesen. "Where were you five hours ago", sagt er irgendwann im Gespräch, nachdem er vorher bei einem wohl eher uninspiriertem Ö3 Interview war. Die Musik scheint in dem Interview eher Nebensache zu sein. Viel mehr erzählt Jack über sich selbst.

Die Beats bei deinem neuen Album "Phase" sind ziemlich tanzbar. Die Lyrics eher traurig. War das Absicht?

Ich schätze schon. Tom Waits hat einmal gesagt, er liebt es, wenn Tragik durch eine schöne Melodie erzählt wird. Ich kann ihm da nur zustimmen. Musik ist fantastisch, weil es so viele verschiedene Emotionen hervorrufen kann und verschiedene Sounds können solch verschiedene Reaktionen von den Zuhörern erzeugen.

Ich möchte die Musik, die Sounds und die Beats so machen, dass die Leute das Gefühl haben, sie müssen mit dem, was sie machen aufhören und dazu tanzen. Ja, die Lyrics sind nicht immer fröhlich und aufmunternd. Weil das Leben es auch nicht immer ist. Alles, was wir machen, hat auch eine dunkle und finstere Seite. Alles, was wir machen, hat irgendwann ein Ende. In meiner Musik versuche ich auf der einen Seite darüber zu sprechen und auf der anderen Seite Leute dazu zum Tanzen zu bringen. Wieso kann man nicht auch so Spaß haben? Meine Texte sind jedoch nicht absichtlich finster. Es ist keine gekünstelte, sondern die natürliche Dunkelheit in uns. Die Musik dagegen soll inspirieren.

In deinen Texten setzt du dich auffällig oft mit dem Tod und dem Altern auseinander. In "Breath Life" redest du von deinen "dead lungs" in "Weathered" von deinem "heart stops beating". Denkst du oft über den Tod nach?

Ja. In der Weise, in der jeder in seinen frühen Zwanzigern darüber nachtdenkt. Ich denke aber nicht mehr so oft wie vor einem Jahr darüber nach. Der Tod ist nicht weniger relevant, nur weil ich jung bin. Er ist allgegenwärtig und er kann auch dich jederzeit treffen. Wenn er dich dazu inspiriert dein Leben in vollen Zügen auszuleben, kreativ zu sein und dich animiert dich in Kunst und Kultur zu verwirklichen, dann ist der Tod etwas, das man sich immer wieder in Erinnerung rufen sollte.

Er kann aber auch etwas Gefährliches, Dunkles und Obszessives sein, was mir auch wiederfahren ist. Ich habe ein gutes Jahr verloren damit das Thema überzustrapazieren, schlaflos zu sein und mir viele Sorgen darüber zu machen. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe viel darüber geschrieben und ich beziehe mich auch darauf. Ich versuche mich aber auf einer grundsätzlichen Ebene damit auseinanderzusetzen, als auf der Ebene, das Menschen einfach sterben. Der Tod, über den ich spreche, ist der emotionale Tod, Selbstaufopferung und die obszessiven Neigungen, die wir in uns haben.

Gibt es Momente, wo du lieber mit einer Band touren würdest?

Ich würde gerne mit einer Band die Bühne betreten und verlassen. Aber brauchen tue ich sie nicht. Wenn ich eine brauchen würde, dann würde ich mir schon eine zulegen. Ich gehe aber nicht alleine auf die Bühne, weil ich die Aufmerksamkeit so gern habe. Ich spiele alleine, weil ich vor zweieinhalb Jahren keine andere Möglichkeit hatte meine Shows zu spielen. Also musste ich einen Weg finden, um das möglichst günstig und schnell hinzubekommen. Der einzige Weg das zu tun, war es alleine zu machen. Wenn ich eine Band brauchen sollte, dann werde ich mit einer spielen. Ich habe nichts dagegen, ich habe nur jetzt einfach keine. Und ich werde auch in naher Zukunft keine haben, wenn alles gut läuft.

Manchmal hat man das Gefühl, du willst Dance Music machen?

Ich verwende 4-to-the-floor Rhythmen, um die anderen Rhythmen zu akzentuieren. Wenn du dich nur auf die Kick Drum konzentrierst, verpasst du alles rundherum. Ich verwende die Kick, damit die Leute, etwas haben, dem sie folgen können, während darum herum das Chaos passiert. Als Producer liebe ich es das zu machen. Ich liebe es Synkopen zu verwenden, die das Bekannte mit Unbekanntem, Unterschiedlichem oder auch Gegensätzlichem konterkarieren.

Ich bin in den letzten zwei Wochen zwei Mal über die Beziehung meiner Musik zu Dance Music gefragt worden. Ich werde das sonst eigentlich nie gefagt. Es fasziniert mich, weil ich mich nicht als Dance-Producer sehe. Ich mag es Musik zu machen, die die Leute zum Tanzen bringen. Dance Music kann aber auch fad, unoriginell und überzogen sein. Wenn sie Leute zum Tanzen bringt, bin ich aber an Bord. Ich hatte Konzertbesucher, die improvisionell und abstrakt zu meiner Musik getanzt haben und das macht micht echt happy. Über solche Dinge denke ich auch auch nach, wenn ich meine Musik mache. Ich sitze da und denke mir: "Kann jemand einen interessanten modernen Tanz dazu machen?" Wenn ich das bejahen kann, dann ist es ein guter Beat, wenn nicht und die Leute dazu nur auf und ab springen können, dann arbeite ich weiter daran. Ich will ihn dann interessanter machen und mehr Tiefe geben, als die ganze Zeit einen einfachen 4-to-the-floor Beat zu haben.

Live schaut es so aus, als würdest du dich in Grund und Boden spielen. Nur Show?

Ich verwende viele Samples und einige Loops. Aber ich steuere alles selbst. Es gibt kein Playback. Ich spiele zu keinem Click Track, das heißt ich muss den Takt selbst halten. Ich bin überzeugt davon, dass ich meine Fähigkeiten als Musiker nutzen muss, um mit dem Publikum eine Verbindung herzustellen. Bei mir ist alles live. Wenn ich alles mit echten Instrumenten machen könnte, dann würde ich das machen. Ich habe aber schlicht und einfach keine Gelegenheit gefunden ein neues Set zu konzpieren. Das Set, das ich vor zweieinhalb Jahren gemacht habe, benutze ich jetzt auch. Es ist sehr minimal und sehr klein. Ich habe fünf Kanäle die ins Mischpult gehen. Alles Samples die ich auf meinem Roland Spd-Sc verwende, muss ich premixen, damit sie zu dem Rest passen.

Viele Leute sagen, ich bin ein Kontrollfreak. Und das bin ich auch gewissermaßen. Ich muss alles kontrollieren können, sonst kann ich keine echte Performance abgeben und das ist das Wichtigste für mich. Ich könnte ganz einfach Knöpfe drücken, so wie das viele Andere machen. Ich gebe aber lieber eine ehrliche, intensive und emotionale Performance ab. Ich spiele eine Show niemals zwei Mal.

Jack Garratts Debut-Album "Phase" ist seit 19.2 erhältlich.

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