Zwischen Club, Minoritenkirche und Nationalpark – Abby Lee Tee im Interview

Der Linzer DJ und Producer Abby Lee Tee ist vielen vielleicht als Teil des Hip-Hop-Trios Hinterland bekannt, andere kennen seine Remixes, etwa für A.G. Trios Hit „Countably Infinite“. Mit seinem Solo-Projekt bewegt er sich aktuell abseits ausgetretener Pfade – im musikalischen und im eigentlichen Sinn.

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© System Jaquelinde

Der Linzer Künstler Abby Lee Tee lässt sich musikalisch schwer festmachen – als Beatproduzent für Hinterland erobert(e) er diverse österreichische Bühnen in der Hip-Hop-Sphäre, als DJ und Producer oder im Duo mit Feux nicht wenige Clubs, mit dem eigenen Clubformat „The Future Sound“ beweist er seit Jahren Gespür für aufstrebende elektronische Acts und holt diese als einer der wenigen nach Linz, in der letzten Saison gestaltete er die Musik zu einem Stück am Schauspielhaus Graz.

Daneben lebt Abby Lee Tee eine ausgeprägte Leidenschaft für Dinge aus, die noch weiter weg vom Mainstream sind, als es nicht-ganz-Mainstream-Musik ohnehin schon ist. Gemeinsam mit System Jaquelinde und alias Miau Publishing wurde kürzlich etwa ein Risograph gekauft, mit dem das Kollektiv mittlerweile die erste Ausgabe des Musikmagazins „Rill“ gedruckt hat, das sich teils wissenschaftlich mit Musik auseinandersetzt, unglaublich liebevoll gestaltet ist und das man wohl nicht zuletzt als Herzensprojekt der Autoren und des Kollektivs bezeichnen kann.

Ebenfalls in Zusammenarbeit mit System Jaquelinde startet auch ein neues audiovisuelles Projekt – eine Residency im Nationalpark Seewinkel. Was zunächst doch eigen klingt, macht durchaus Sinn, wenn man Abby Lee Tees Passion für Field Recordings und seine letzten Veröffentlichungen kennt. Bereits Ende 2015 erschien mit By Accident ein Album, dessen Titel, möchte man die Dinge ganz vereinfacht runterbringen, schon auch gewissermaßen Programm ist. Das soll in diesem Fall die Qualität der Musik nicht schmälern, sondern viel mehr die Arbeitsweise beschreiben. Spricht man über Field Recordings, also Aufnahmen außerhalb des Studios, die natürlich entstehen, ist damit zu rechnen, das zumindest im Vorfeld sehr wenig planbar ist. Weniger zufällig entstehen dann die fertigen Tracks, in denen sich diese Takes zu komplexen Klangkonstrukten verweben, zum Teil von Vocals unterstützt werden und damit auch schonmal aus dem Überthema Ambient ausbrechen. Nicht wirklich planbar dagegen war das darauf folgende, letztes Jahr erschienene Remix-Album, mit Beiträgen von Zanshin, Toju Kae, Ritornell, Swede:art, Monophobe oder Kalifornia Kurt, dass, wie Abby Lee Tee selbst sagt, ihm die Möglichkeit gegeben hat, „das zu hören, was man an seiner eigenen Musik vielleicht ein bisschen vermisst, in meinem Fall etwa die Club-Tauglichkeit“. Mit seinem aktuellen Release, Riverside Burrows, konzentriert er sich dagegen wieder eher auf das Feld. Wir haben mit ihm über Clubmusik, Kirchenmusik und seinen Arbeitsprozess gesprochen …

Du arbeitest gerade bei deinen letzten Platten sehr viel mit Field Recordings … warum fasziniert dich das so?

Neben dem Interesse an der Natur an sich und den Sounds der Tierwelt im Speziellen bin ich auch bei Musik schon immer primär auf der Suche nach eigenwilligen Klangfarben anstatt komplexer Melodik oder Rhythmik. In diesen Bereichen hätte ich mangels Virtuosität auch nicht allzu viel beizutragen, so verschreibe ich mich vermehrt dem Herauslösen und Bearbeiten von ungewöhnlichen, meiner Umwelt entstammenden Klängen. Diese bilden eigentlich immer die Ausgangsbasis für Ansätze von Melodien und rhythmischen Passagen, das Arrangement oder auch ganz grundsätzlich das Tempo des Stücks.

Wie kann man sich die Musikproduktion vorstellen? Sitzt du einen Tag lang in der Natur und wartest, was dabei rauskommt oder passiert das doch etwas geplanter?

Bis auf wenige Ausnahmen geschieht das Sammeln von Field Recordings ohne Konzept: mein Tascam Recorder, bzw. oft auch ein Kontaktmikrofon oder ein Hydrophon, befindet sich immer in der Tasche und das Archiv füllt sich stetig. Am liebsten befinde ich mich natürlich irgendwo fernab von Zivilisation und Lärmverschmutzung, aber auch überall im Alltag finden sich interessante Sounds von pfeifenden Wasserkochern bis zu trompetenartig quietschenden Türen. Die überraschendsten Klänge findet man meist unverhofft. So routiniert das Sammeln jedoch passiert, so endlos ausufernd kann das Bearbeiten und Arrangieren der Sounds ausfallen.

Wie spinnt man aus solchen Aufnahmen dann einen Track?

Durch kontrollierten Zufall, im musikwissenschaftlichen Kontext Aleatorik genannt: Ich treffe zwar eine Vorauswahl, lege die Audio-Files für eine erste Skizze aber oft willkürlich übereinander und baue dann alles rund um die darin entdeckten Sequenzen wohligen Zusammenklangs. Schicht um Schicht erweitere ich diese kleinen Figuren um Aufnahmen aus meinem Archiv, loope, zerstöre und resample diese wieder, versuche alle Komponenten den zufällig entstandenen Versatzstücken zu unterwerfen. Oft entsteht so auch zum Beispiel das Outro eines Tracks zuerst oder ich arbeite mich ohne Takt und Raster in alle Richtungen gleichzeitig vor. Es ist im Prinzip ein ewiges Schichten, Schnipseln, Verschieben und Verwurschteln.

Wie bist du darauf gekommen, du hattest ja davor einige Projekte, die doch etwas club- oder bühnentauglicher waren?

Ich mache und liebe als Teil von Hinterland und Leeux, oder auch als DJ nach wie vor auch clubtaugliche Musik. Mein Solo-Projekt ist einem immer breiteren Spektrum an Einflüssen geschuldet, aber stetiger Veränderung unterworfen und steuert derzeit wohl eher Richtung Minoritenkirche beim Donaufestival als zur Prime Time in die Grelle Forelle, auch wenn sich in meinem Live-Set gar nicht so wenige tanzbare Momente finden.

Was hast du aus den Remixen für By Accident für dich persönlich mitgenommen? Es waren ja sehr viele unterschiedliche Künstler beteiligt … 

Es ist immer interessant, seine eigene Musik von anderen interpretiert zu hören und auch eine schöne Möglichkeit, die eigenen Defizite ein bisschen zu umgehen. Mit Remixen oder auch Kollaborationen bekommt man eventuell auch das zu hören, was man an seiner eigenen Musik vielleicht ein wenig vermisst. In meinem Fall ist das derzeit sicher die Club-Tauglichkeit. Bei meinen Solo-Sachen drifte ich ja doch ziemlich ins Experimentellere ab, auch wenn ich nach wie vor an Clubmusik interessiert bin und auch noch gerne auflege.

Du hast gemeinsam mit dem Künstlerinnenduo System Jaquelinde im Sommer eine Residency im Nationalpark Seewinkel … wie kam es dazu und was erwartest du dir davon?

Die österreichischen Nationalparks schreiben jedes Jahr einige Residencies aus und wir wurden für den Neusiedler See ausgewählt, wo wir zwei Wochen verweilen und uns ziemlich frei von Vorgaben mit der dortigen Natur auseinandersetzen, irgendeine Form von Video produzierend. Ich hoffe auf zahlreiche, verschiedenartig trällernde Vogelpopulationen, fiepsende Ziesel und natürlich Fischotter, wenngleich in diesem Fall leider nicht zu erwarten ist, wild lebende Tiere zu Gesicht zu bekommen. Aber vielleicht ja zu hören.

Riverside burrows ist bereits auf Shash Recordings erschienen, erhältlich unter anderem auf Bandcamp

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