Pure Neugier brachten mich dazu, es ein Monat ohne Facebook und Twitter zu versuchen. Vom Leben als digitaler Höhlenmensch.
Sogar das legendäre Statement des anonymen amerikanischen College-Studenten, dass einen die Nachricht schon irgendwie erreicht, wenn sie wirklich wichtig ist, hat plötzlich an Gültigkeit verloren. Die Nachrichten finden mich nicht mehr. Ich muss mich aktiv informieren. In der Früh lese ich Die Presse, ganz old school. Die Nächte verbringe ich auf News-Portalen, schaue auf Blogs von Bekannten vorbei – und bin enttäuscht, wenn sich dort nichts getan hat, seit ich das letzte Mal dort war. Wann davor habe ich das letzte Mal von selbst und ohne mir schmackhaft gemachten Link DerStandard.at oder Sueddeutsche.de angesurft? Es muss 2009 gewesen sein. Überhaupt: Es fühlt sich alles so 2005 an. Eine gewisse Grundinformiertheit gewährleisten zum Glück FM4 und Ö1. Auch eine Kollegin macht mich verantwortungsbewusst immer wieder auf Wichtiges aufmerksam.
Fern sehe ich seit bald zehn Jahren nur mehr an Wahlabenden. Durch die Online-Services der Sender waren Fernsehinhalte zuletzt wieder vereinzelt zu mir vorgedrungen. Ohne soziale Medien sind sie wieder ganz weg. Ohne Twitter und TV-Thek fragt man sich bald sogar, was eigentlich aus Armin Wolf wurde …?
Meine Welt ist zusammengebrochen
Erst nach einer Woche wird mir wirklich bewusst wie gestrig und limitiert der mediale Mainstream, auf den ich plötzlich wieder angewiesen bin, nach wie vor ist. Einerseits. Und andererseits: wie selbstrefenziell und letztlich auch ich-bezogen wir es uns alle in unsrer eigenen „Filter Bubble“ (Eli Pariser) gemütlich gemacht haben. Noch bis vor ein paar Tagen alltägliche, persönliche bedeutsame Themen sind plötzlich komplett von der Bildfläche verschwunden. Die alten Gatekeeper wirken und werken: Subkulturelles, Musik, Design, Umweltthemen, Bio und Landwirtschaft – nichts davon ist Thema. Fast schon absurd wie sehr ausgerechnet zwei börsennotierte Konzerne die Meinungsvielfalt potenziert haben.
Merkbar besorgt über meinen Verbleib ist Facebook
Vom dritten Tag an erreichen mich automatisierte Mails mit der klar ersichtlichen Absicht, mich zurück auf die Plattform zu locken. Schließlich bedeutet für Facebook jeder User bares Geld. Also schickt man mir eine Art personalisierten Newsletter. X, Y und Z haben etwas gepostet, es warten 26 persönlich an mich adressierte Nachrichten, irgendwann wurde ich 99+ mal markiert. Ich lese in der Zwischenzeit wie ein Verrückter: lange aufgehobene Artikel, trage Zeitschriftenberge ab, freue mich über die neue Ausgabe von National Geographic, kaufe seit langem wieder einmal Spex, erfreue mich sogar am neuen Asterix.
Unterwegs amüsiert mich zwei, drei Tage lang „Angry Birds“, das Handy-Spiel: Ich schieße mit Spatzen auf Schweine und mich selbst in den Highscore. Als das nervt, widme ich mich anderen Apps und mache eine gar wundersame Entdeckung: Soundcloud. Mir bislang vor allem als Musikmarketingtool bekannt, von dem Bands und Plattenlabels Gebrauch machen, erweist sich Soundcloud als perfekter Channel für informative Audio-Inhalte. Hier gibt es weniger Geplänkel als auf Twitter, keine egomanischen Schaugefechte, es dominiert der Inhalt. Die als Podcasts ausgespielten Gespräche der Channels der Harvard und Yale University, die Analysen von New Yorker, Guardian, Economist oder Innovation Hub möchte ich auch in Zukunft nicht missen.
Nach zwei Wochen – und fortan alle paar Tage – meldet sich auch Twitter bei mir. Es lockt mit Leuten, die ich kennen könnte. Auch hier haben X, Y und Z neue Nachrichten für mich. Ja, eh.
Thomas Weber, Herausgeber