1000 Arten, mich Hure zu nennen

In meinem Schreibtisch liegt ein Ordner, in dem ich die herausragendsten geistigen Leistungen des Internet-Pöbels zu meiner Person und meiner Arbeit sammle.

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In meinem Schreibtisch liegt ein Ordner, in dem ich die herausragendsten geistigen Leistungen des Internet-Pöbels zu meiner Person und meiner Arbeit sammle. Es sind Mails und Ausdrucke von User-Kommentaren, unter deren Verfassern offenbar große Einigkeit darüber besteht, dass ich eine undersexte linksrechtspopulistische Drogenhure bin. Mein Lieblingsstück ist ein Mail eines angeblichen zweifachen Doktors und Universitätsprofessors (ha!), die da so geht: „Unfickbare Sozi-Oktopusse wie Sie, sind der Grund, dass dieses Land den Bach hinunter geht.“ Lieber Herr Professor, bitte erklären Sie mir gelegentlich, was ein Sozi-Oktopus ist und schicken Sie mir wenn möglich eine Zeichnung mit, denn ich bin sehr neugierig.

Ich kenne keinen Journalisten und keine Journalistin, der oder die nicht schon dutzende solche Kommentare oder Zuschriften bekommen hat. Während männliche Kollegen mit relativ neutralen Kraftausdrücken überhäuft werden, kriegt man als Frau öfter einmal gesagt, man solle sich doch bitte einen Lover suchen, damit man nicht mehr so frustrierte Artikel schreibt. Ermutigungen sich doch mal wieder so richtig rannehmen zu lassen sind defintiv ein wiederkehrendes Motiv, ebenso wie der Lieblingsausdruck meiner vielen Fans: „dreckige Hure“.

Man hat es nicht leicht. Erst unlängst tröstete ich eine kaum 18-jährige Kollegin, die bei der Lektüre solcher Zuschriften in Tränen ausbrach. Haters gonna hate, habe ich gesagt. Es gehört zu unserem Beruf mit dieser Flut an Beschimpfungen, Verschwörungstheorien und der kompletten Wirrniss in den Köpfen mancher Leser zu leben, habe ich gesagt. Nimm es dir nicht zu Herzen, denn so ist das eben.

Aber warum eigentlich? Wieso muss ich mir von irgendeinem hasserfüllten Irren, der sich in der Anonymität versteckt, allein dafür, dass ich meinen Job mache, solche Sachen anhören? Ich weiß, dass Journalisten beinahe ebensowenig getraut wird wie Politikern und Gebrauchtwagenhändlern. Doch was hier passiert ist mehr als nur Misstrauen. Es gibt da draußen eine ganze Reihe von Personen, die an uns schreiben und uns nicht als Menschen sehen. Sie sehen die gesichtslose Zeile mit unseren Namen da stehen und wissen nichts über uns. Auch wir sind nur Leute. Leute, die für euch arbeiten.

Die Tatsache, dass wir Journalisten sind, macht uns für sie ihres Respektes unwürdig. Niemals würden die meisten von ihnen ihre Ärztin, Friseurin oder Straßenbahnerin eine dreckige Hure nennen. Sie glauben, dass sie uns nicht brauchen, mehr noch, dass wir eine heimliche Agenda gegen sie verfolgen.

Ein weiteres Problem ist, dass man oft schon beim Schreiben eines Artikels darüber nachdenkt, wie man Dritte vor so einer Welle des Drecks beschützen kann. Wenn ich heute über Migranten, Obdachlose, psychisch Kranke oder Drogensüchtige schreibe, weiß ich, dass ein Großteil der dämlichen Kommentare sich gegen sie richten wird, anstatt gegen mich. Man spielt schnell einmal dunklen Mächten in die Hände, wenn man über soziale Probleme schreibt, denn es dauert meistens nicht lange, bis sich jemand findet, der die Geschichte für seine Zwecke instrumentalisiert und komplett die Aussage des Artikels verdreht.

Ich habe während meiner Zeit im Journalismus so einigen Kollegen kennenlernt, der versuchte unsichtbar zu sein, wenig Angriffsfläche für die Vollidioten da draußen zu bieten. Doch es ist nicht unser Job, jene, die zivilisatorisch am Ende der Nahrungskette stehen, hinter den Ohren zu kraulen. Wir dürfen Themen, die Aufregung in der User-Community verursachen nicht ausklammern, denn auch wenn ich heute nicht über irgendeine Gruppe am Rande der Gesellschaft schreibe, die in Schwierigkeiten geraten ist, spiele ich den Falschen in die Hände.

„Was ich an Zeitungen am nützlichsten finde, sind die User-Kommentare“, sagte unlängst ein Bekannter von mir. Wenn ich sowas höre wird mir einfach nur schlecht. Nein, sie sind nicht das nützlichste. Sie sind hasserfüllter Dreck, verbale Gewalt, oft demokratiefeindliche Auswüchse einer Szene von der du und ich uns nicht wünschen, dass sie mehr Mittel zur Verfügung hat, als mich anonym zu beschimpfen.

Und an euch Giftzwerge da draußen: Was geht eigentlich mit euch ab? Wenn ich daran denke, dass ihr autofahren dürft und Kinder großziehen und womöglich jeden Tag in der Stadt an mir vorbeirrennt wird mir ganz anders. Seid doch bitte einmal ein bisserl leiwand. Es tut auch gar nicht weh.

Für uns hinter den Autorenzeilen bleibt als einzige Waffe Humor. Wir werden daher weiterhin eure Werke auf unsere Pinnwände hängen und lustige Sozi-Oktopusse zeichnen, denn auch darum muss sich irgendjemand kümmern.

Die Autorin kann man auf Twitter Hure nennen: i>@_schwindelfrei_

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