Seit knapp 20 Jahre besteht die Datenbank Female Pressure, die bis heute aufzeigen soll, dass Frauen in der elektronischen Musik keine exotische Nebenerscheinung sind. Was ist seitdem passiert, wie agiert die Wiener Szene und was leisten neue Initiativen wie Femdex? Ein Überblick.
»Als Frau aufzulegen war für mich nicht etwas Besonderes. Ich denke auch nicht daran, dass ich eine Frau bin, wenn ich ein Kilo Äpfel kaufe.« – Spricht man mit Susanne Kirchmayr, international erfolgreich als DJ und Producerin unter dem Künstlernamen Electric Indigo, über ihre Arbeit, wirkt es wie eine Selbstverständlichkeit, dass Geschlechterrollen hinter dem DJ-Pult eben keine Rolle spielen. Dabei hat die Künstlerin eine Diskussion rund um ausgeglichenere Geschlechterverhältnisse in der elektronischen Musik mitangestoßen. Vor knapp 20 Jahren gründete sie mit Female Pressure einen »Schwarm an Gleichgesinnten rund um den Globus«, wie Kirchmayr das Projekt selbst beschreibt. Die Initiative in ihrer Gesamtheit zu fassen ist schwierig, da sie letztendlich auch von den gestaltenden Personen abhängig ist und zu deren Werkzeug wurde.
Entstanden aus der sich wiederholenden Frage nach weiblichen Acts entschied sie sich 1998, zu einer Zeit, als das Internet gewissermaßen in den Kinderschuhen steckte und große Firmen wie Google gerade gegründet wurden, dazu, eine HTML-Liste mit weiblichen Artists zu veröffentlichen. Der Open-Source-Gedanke und die von Raum und Zeit unabhängige Verfügbarkeit, die das Internet ermöglichte, faszinierten sie. Aus der Liste wurde zwei Jahre später die von Andrea Mayr programmierte, bis heute bestehende Datenbank, aus dieser entwickelte sich eine Mailingliste zur internen Kommunikation, daraus ein Netzwerk für Künstlerinnen aus der ganzen Welt, aus diesem Umfeld entstanden wiederum Veranstaltungen, verschiedene Projekte und der Report »FACTS«, der Line-ups internationaler Festivals auf ihre Geschlechterverhältnisse analysiert. »Ich habe 1989 angefangen aufzulegen und natürlich gab es auch damals andere Frauen, aber die Präsenz war noch geringer. Ich wurde immer wieder gefragt, ob ich andere weibliche DJs kenne, meistens allerdings um drei Uhr Früh bei 110 Dezibel kurz vor oder kurz nach einem Set. Das ist natürlich nicht das richtige Ambiente, um über komplexe Sachverhalte zu diskutieren. Ich wollte etwas, auf das ich verweisen kann, weil die Leute offensichtlich zu wenige Frauen kannten, die auflegen«, erzählt Kirchmayr in einem Interview via Skype aus Tiflis, direkt nach einem Auftritt im Bassiani, einem der größten und imposantesten Techno-Clubs Osteuropas. Mittlerweile ist Electric Indigo, die ihre Karriere im Wiener Trabant, einem kleinen Lokal im vierten Bezirk, begann, weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Neben ihrer Arbeit nimmt sie sich bis heute jeden Tag selbst Zeit für die Pflege und Erweiterung der Datenbank und der Mailingliste, für die man sich online registrieren kann.
Die Datenbank umfasst heute 2090 Artists aus 74 Ländern, die Mailingliste 988 Mitglieder aus der ganzen Welt, der Großteil der Künstlerinnen stammt aus Europa und den USA. Durch die Offenheit des »Schwarms« ergeben sich durchaus auch unterschiedliche Standpunkte. »Die nicht indoktrinierende Position von Female Pressure ist wichtig, um es so langfristig zu gestalten. Unter den Mitgliedern sind Frauen mit sehr unterschiedlichen Zugängen zu Feminismus und Politik dabei, es gibt eine große Bandbreite, und genau das finde ich so wichtig«, erklärt Susanne Kirchmayr.
Ein Projekt, das Female:Pressure viel mediale Aufmerksamkeit brachte, war die erste Veröffentlichung der »FACTS« vor knapp fünf Jahren. »Wir waren de facto die Ersten, die systematisch Line-ups von elektronischen Musikfestivals nach Geschlecht analysiert haben, und das hat ordentlich Wellen geschlagen«, so Kirchmayr. In einer neuen, 2017 veröffentlichten Auflage zeigt sich, dass der Frauenanteil in den vergangenen Jahren von 9,2 Prozent (bei 31 untersuchten Festivals) im Jahr 2012 bis Mitte 2017 auf 18,9 Prozent (bei 48 untersuchten Festivals) angestiegen ist. Bei einigen Festivals führte die Veröffentlichung durchaus zu einem Umdenken: »Ich kann mich erinnern, dass Mat Schulz vom Unsound Festival 2013 in einem Artikel von The Wire, für den wir beide interviewt wurden, argumentiert hat, dass ein höherer Frauenanteil mit einer Qualitätsminderung einhergehen würde. Wenn man sich die Entwicklungen im Programm ansieht, kam es in den Folgejahren dennoch zu einer deutlichen Erhöhung des Frauenanteils.« Während der Anteil an weiblichen Acts 2012 noch bei 7,4 Prozent lag, erhöhte sich dieser 2016 auf 24,6 Prozent – man kann davon ausgehen, dass dies ohne Qualitätseinbußen passiert ist. Als »Weckruf« sah man die Statistik auch beim CTM-Festival in Berlin – und handelte dementsprechend: Der Frauenanteil stieg in den letzten vier Jahren von 9,9 Prozent auf ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis, 42,9 Prozent der gebuchten Acts waren in diesem Jahr weiblich.
Ebenfalls mit Statistik beschäftigt sich die von Hannah Christ gegründete Wiener Initiative Femdex, die im vergangenen Jahr aus einem Artikel über Diversity in Wiener Clubs entstand und Wiener Clubreihen auf Geschlechterverhältnisse in ihren Line-ups analysiert. Unterschieden wird zwischen Female und Male Acts, zusätzlich werden Main und Local Acts gesondert ausgewiesen – eine Einteilung, die unter Berücksichtigung all jener, die sich keinem Geschlecht zuordnen können oder wollen, nicht ganz greift, dafür aber plakativ ist. »Es handelt sich natürlich um eine extrem binäre Aufschlüsselung, aber es geht hier im ersten Schritt darum, ein Problem möglichst deutlich aufzuzeigen«, erklärt Therese Kaiser, Teil der Initiative und selbst DJ. Während die Statistik deutliche Probleme aufzeigt, soll die ins Leben gerufene Datenbank Lösungsansätze bieten. Bei der Erstellung orientierte sich Hannah Christ, die selbst als Veranstalterin und als DJ Minou Oram aktiv ist, an den analysierten bestehenden Wiener Clubreihen und versuchte, für jedes einzelne Format passende weibliche DJs zu finden, die dem Stil der Veranstaltung entsprechen. »Unsere Datenbank fokussiert sich auch auf die lokale Szene, vor allem in Österreich, teilweise auch in Deutschland und in der Schweiz. Es geht nicht nur um Main Acts, sondern eher um Local DJs, die beispielsweise als Support gebucht werden können«, erklärt Kaiser. Die Datenbank soll das Argument entkräften, es gebe keine weiblichen heimischen Acts. »Wir wollen einfach zeigen, welche Varianz es gibt und wie viele Menschen sich auf unterschiedliche Art und Weise mit elektronischer Musik auseinandersetzen«, so Kaiser weiter.
Mit der Varianz dessen, was Clubmusik aktuell zu bieten hat, beschäftigt sich auch Marlene Engel im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kuratorin von Hyperreality, Festival for Club Culture by Wiener Festwochen. Genug Frauen im Programm unterzubringen, um den, bei einem Event mit öffentlichen Subventionen dieser Höhe gewissermaßen fast vorausgesetzten Anspruch der Repräsentation mehrerer Geschlechter zu erfüllen, sieht sie nicht als Schwierigkeit: »Die Line-Ups, die ich zusammenstelle, fallen alle mehr oder weniger unter Contemporary Club Culture, ein Feld mit extrem vielen interessanten, spannenden Künstlerinnen und Künstlern unter denen oft die marginalisierten, eher am Rand der Gesellschaft stehenden, besonders außergewöhnliche oder spannende Musik machen. Einerseits ist es bei Hyperreality darüber hinaus wichtig, genau das abzubilden, also bewusst Gruppen einzubinden die in der Musikwelt potentiell untervorteilt werden, sei es durch ebenfalls eher männlich (und weiß) besetzte Netzwerke, Presse oder einfach aus Mangel an Kapital. Andererseits hat sich die Programmierung schon allein aus dem Anspruch ergeben, das beste und interessanteste zu zeigen, was in dem Bereich gerade passiert. Programmatisch mussten wir deshalb gar nicht immer aktiv darauf achtet, ein ausgeglichenes Verhältnis zu schaffen. Der Frauenanteil hat sich aus deren Inhalten heraus ergeben«, so Engel. Dabei kann die Kuratorin des Clubformats der Wiener Festwochen freilich auf ein vergleichsweise größeres Budget zurückgreifen als private Clubveranstalter. Doch auch dieses Argument greift nicht ganz, wie Engel, die außerdem die Eventreihe Bliss – die einzige unter 29 von Femdex ausgewerteten Veranstaltungen, die einen Frauenanteil von 50 Prozent erreichte – privat veranstaltet, erklärt: »Ich arbeite bei Hyperreality im Gegensatz zu Bliss mit Subventionen und habe Fördergeld zur Verfügung. Natürlich geht es bei privaten Veranstaltungen auch darum, das Geld wieder reinzuspielen – bei Bliss wusste ich allerdings bis zur Analyse des Line-ups von Femdex gar nicht, wie hoch der Anteil welchen Geschlechts ist – es spiegelt viel mehr die Szene wider, in der ich mich bewege.«
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